Text und Bilder: Romeo Brodmann

Es ist Samstag, der 12. März 11.30 Uhr. Auf die Frage, ob André Jaeger schon im Haus ist, strahlt die Rezeptionistin mit einer Mischung aus Freude und Erstaunen – letzteres, weil André Jaeger doch zuerst immer die Runde im Haus mache. Irgendwie ist sie erleichtert, dass er noch nicht gekommen ist. Und als er kommt, strahlen auch die Gesichter der Angestellten. Er begrüsst alle und alle begrüssen ihn.

Im ersten Stock in der Brasserie geht es weiter. Der Küchenchef Cyrill Anizan kommt an den Tisch. Gut gelaunt. Und der Lernende übernimmt den Tisch und das ebenfalls mit offensichtlicher Freude und schon gar nicht geprägt von der Angst, Fehler zu begehen. Ein deutlicher Hinweis auf die fruchtbaren Umgangsformen im Haus und von André Jaeger.

Auf die Idee, den Grundgedanken angesprochen, erklärt André Jaeger die Herausforderungen. Das Storchen Hotel ist ein Traditionshaus und obwohl in einem sehr alten Kleid, positioniert und etabliert bei einer sehr traditionellen Klientel, war das Haus stets von Erfolg geprägt. Die Umsatzzahlen zeigen, dass die Gastronomie sehr gut geführt und sehr beliebt ist und die Leute den Weg immer wieder hierher finden und gefunden haben.

Die Idee war also, keine Sterne- und Punkte-Gastronomie anzustreben, sondern das Wohlbefinden des Gastes ins Zentrum zu rücken. Vorderhand war der Entschluss also einfach: Gute Sachen und Gerichte beibehalten, und nicht so erfolgreiches oder umstrittenes überdenken, ändern oder weglassen. Dieser Grundsatz decke sich auch mit der Philosophie des Managements und der Besitzer.

Moderne, eindrückliche Konzepte gibt es heute sehr viele. Die Schilderungen und Aussagen von André Jaeger sind immer sehr klar. Der Gast, respektive der Konsument, und das sagt er deutlich, werde in der Planung aber in ebendiesen Konzepten äusserst selten bis gar nicht berücksichtigt. Das Konzept im Storchen sollte also so gestaltet werden, dass der Wiedererkennungswert für das bestehende Publikum da ist, dass das Neue aber so attraktiv ist, dass eine neue Klientel, namentlich auch junge Gäste, den Weg zum Storchen finden.

André Jaegers Bezeichnung für die effekthaschenden Speisen ohne Bezug zu Wünschen und Freuden der Gäste ist „Gedöns.“ Und seiner Meinung nach sollte eine Küche wachsen ohne Effekthascherei, ohne eben dieses „Gedöns.“  Eine Küche, in der die Produkte eine Rolle spielen, die dem Gast Freude bereitet, das war das Ziel. Es hört sich einfach an, aber  es ist eine Herausforderung, die André Jaeger von Anfang an spannend und belebend findet.

Und natürlich gab und gibt es da noch einige Schwierigkeiten zu meistern. Das alles muss gemischt als Gastronomiebetrieb und als Hotel auf höchstem Niveau stattfinden – sieben Tage offen, Frühstück, Lunch, Dinner, à la carte, die Terrasse – im Winter leer, im Sommer bis zum Explodieren gefüllt. Dann gab es bauliche Barrieren – das Hotel Storchen ist Denkmal geschützt und zur Terrasse hin gibt es eine Stufe, die nicht abgebaut werden durfte und die beim Service mit dem Wagen ein grosses Hindernis darstellt. Natürlich soll der Betrieb auch bezahlbar sein und verdient werden muss ja auch noch etwas. Doch im Grunde habe er sich einfach an das Gebot seiner Freunde aus Gstaad (Gourmetfestival Saveur Gstaad) gehalten: Genuss, Genuss und nochmals Genuss.

Zu guter letzt aber ist André Jaeger besonders deutlich – es sei ihm sehr, wirklich sehr wichtig, es soll Spass machen, es darf nicht verkrampft sein. Die Gäste sollen geniessen und die Mitarbeiter auch. Wenn letztere keinen Spass haben, brennen sie aus, sie gehen und Mitarbeiter-Fluktuation bedeute immer auch Wissens- und Geldverlust.

Deshalb lehnt André Jaeger den Ausdruck Lösen von Knacknüssen ab. Sie hätten ein Jahr Zeit gehabt – zu überlegen, zu diskutieren, zu evaluieren, auszumalen, zu entscheiden, zu planen und umzusetzen. Und das zusammen.

Eine Knacknuss lösen zu wollen werde sehr schnell als die Lösungen von oben nach unten zu diktieren aufgefasst. Das provoziert dann das berüchtigte „ja aber“  – eine negative Prägung der Vorgehensweise galt es von Anfang an auszuschliessen.

Der Ansatz galt also dem „warum nicht.“ Dazu wurde der partizipative Ansatz, also die Beteiligung der Betroffenen an der Lösungsfindung, gewählt. Eine demokratische Herangehensweise sei halt immer eine Herausforderung, dafür sei das Resultat in aller Regel wesentlich besser – vor allem auch weil Widerstände stark verringert werden – wer will schon Widerstand gegen die eigene Lösungsidee leisten.

Wie das konkret aussieht, zeigt er am Beispiel des Amuse Bouche. Er sei ein grosser Gegner vom Kopieren. Diese Grundhaltung trug auch die Küche mit. Er habe ja schon alles gesehen. Das Krampfhafte suchen nach Amuse Bouche ende oft damit, dass das alte Zeug, welches weg muss, aufbereitet werde, dass die Häppchen vorbereitet im Frigor stehen. Man fand zusammen schnell heraus, dass es am Mittag keine Amuse Bouche geben soll – es sei ein Zeitverlust, der Gast erwarte es nicht und es sei auch unnötig, wenn alles andere gut ist. Dafür werde jetzt das Ganze am Abend zelebriert. Die Zutaten der „Vorfreude bringenden Häppchen“ werden einzeln und frisch vorbereitet, angerichtet und auf dem Amuse Bouche-Wagen aufgestellt. Dann seien da beispielsweise Blinis, Sauerrahm, ein Tatar, Fleur de Sel etc. darauf und die Mitarbeitenden stellen dem Gast persönlich das Amuse Bouch so zusammen, wie er es sich wünscht. So sei das dann für Auge und Gaumen ansprechend und köstlich. Und ab und an gebe es halt auch, dass zum Beispiel Lyoner Würste von Beduzzi mit einer Senf- und Brotauswahl zur Auswahl stehen. Eine Rugeli Wurst – wie früher in der Dorfmetzg – das mache doch glücklich. Und an heissen Sommertagen sei es dann auch schon mal eine Caspacchio mit Hummer oder Krevetten.

Jedenfalls multiplizierte sich die Idee bei den Mitarbeitenden auf allen Stufen. Heute verfügt die Rôtisserie über Champagnerwagen, einen Friandisewagen, einen Amuse Bouche-Wagen etc. – und die Gäste lieben es. Jetzt müsse halt eine Lösung für das Wagenparking gefunden werden, das sei in Zürich ja generell nicht so einfach.