S H O R T  S T O R Y

 

Wer aber glaubt, die feinsinnige Art hemme die Führungs- und Entscheidungskraft, der Irrt gewaltig. Manfred Roth ist so hartnäckig wie auch glasklar. Und er zieht seine Striche Messerscharf, systematisch und verbindlich. Gengensätze sind das freilich nicht. Im Gegenteil. Bei ihm weiss man, woran man ist.

Roth, der Koch, Küchenchef, Eidgenössisch diplomiert. Kochlehre in einer Berner Lastwagenbeiz. Vorher Küchenchef unter anderem in Singapur, Manila, Tokyo und zuletzt im Jungfrau Victoria in Interlaken. Es sagt, Koch, das sei für Ihn immer noch der schönste Beruf, ein wunderbares Handwerk.

Zum Berufsbild: „Unser Beruf hat Zukunft.“ Punkt. Es sei sensationell, was er bei den Jungen Köchen und Auszubildenden sehe. „Die Jungen sind in der Grundbildung viel weiter als wir es vor 30 Jahren im selben Alter waren.“ Das hänge sehr stark mit der Digitalisierung und den daraus resultierenden neuen Wissensflüssen zusammen, die fabelhaft seien. Youtube – wo Köche ihr Handwerk erlebbar machen. Es ist geradezu eine Wissens-Emanzipation.

Eine Emanzipation erlebt mit dem Umbau des Universitätsspitals Basel derzeit auch die Spitalverpflegung. Im Gespräch mit Manfred Roth wird klar, dass in Basel das herausgerissen wird, was andere heute noch als «State oft the art» einbauen.

Vor 10 Jahren wurde der Umbau geplant – wie gehabt am Band anrichten mit den herkömmlichen Speiseverteilsystemen - und sollte jetzt bereits fertig sein. Vor fünf Jahren standen Roth uns ein Team voll auf die Bremse und überdachten alles nochmals.

Die Planungen entsprachen nicht dem, was sie eigentlich wollten. Der neue Grundgedanke für die Zukunft war: Flexibilität, Entkopplung der Gästebetreuung von der Produktion und vom Tagesgeschäft. Manfred Roth fast es so zusammen: „(...) wir möchten die volle Leistung in aller Qualität zum Patienten bringen und ihn wie einen Gast betreuen. Wir wollen zeigen, was Dienstleistung auch noch sein kann.“ Mit den gängigen Speiseverteilsystemen war das nicht machbar.

Die grösste Bedeutung, auch in einem Spital, habe in Zukunft das Welcome am Empfang und das Goodbye bei der Verabschiedung. Übersetzt heisst das, die Hotellerie-Leistungen werden immer wichtiger. Ein Tag Spitalpflege kostet soviel wie Essen, Trinken und Schlafen im besten 5 Stern-Hotel. Das musste berücksichtigt werden.

In Zukunft sollen zentral ganze Mahlzeiten in Form von Fertiggerichten produziert, haltbar gemacht und auf die Stationen verteilt werden. Dazu wird ein Teil der Belegschaft aus der Küche auf die Stationen in kleine Satellitenküchen – sie nennen es «Office Station» -ausgelagert. „Was wir grob gesagt machen“ sagt Manfred Roth, „ist, die Pflege von nichtpflegerischen Tätigkeiten zu entlasten und diese dem neu geschaffenen Hotelservice anzugliedern, so dass sich alle auf das konzentrieren, was sie am besten können.“

Um das zu erreichen, brauchte es Konsequenz, vor allem auch in der Fragestellung. Welche Prozesse werden gestaltet und verändert? Wie wirken sich diese Prozesse auf die Qualität des Produktes aus? Wie entwickelt sich der Preis des Produktes? Und so weiter. Die Kehrtwende um 180 Grad war dann einfach das Resultat der Konklusion.

Der Begriff «Convenience» war lange ausschliesslich ein Produkt, eine Sinneinheit, ein Terminus der Nahrungsmittelindustrie. Es war im Grunde das Outsourcen gastronomischer Leistungen an die Industrie. Der neue Weg im Universitätsspital wird den Sinn hinter der Terminologie jedoch verändern. Selber machen ist die Devise. Frisch kochen, abpacken, haltbarmachen und bei Abruf fertigen und servieren. Sozusagen Home-made-Convenience (Siehe auch hier unter Future Trend Letter auf Das Pauli Magazin). Das bringt unter anderem die Vorherrschaft des Geschmacks aber auch die Marge zurück in die Gastronomie.

Im Universitätsspital Basel manifestiert sich gerade die Zukunft der Hotellerie und Gastronomie des Spitals.

 

 

L O N G  S T O R Y  /  G E S P R Ä C H

 

Romeo Brodmann: Koch. Unser Beruf. Noch bis vor kurzer Zeit hatten Fertigprodukte aller Conveniencestufen Hochkonjunktur, jetzt stagnieren sie auf hohem Niveau. Die Tendenz, wieder frisch und selber zu produzieren, nimmt gleichzeitig progressiv, avantgardistisch zu. Die Bedeutung der klassischen Küche, immer noch Basis von fast allen Stilrichtungen, nimmt in der Praxis mit dem Beizensterben ab, während Burger-Food-Stores&Trucks mit aller Wucht die Dönerläden ablösen. Es ist wahrhaftig eine Welt der Extreme. Lange Rede, kurze Frage: Wo geht unser Beruf hin?

Manfred Roth: Also zuallererst, der Beruf Koch ist für mich noch immer einer der schönsten Berufe, ein wunderbares Handwerk. Das zweite: Unser Beruf hat Zukunft. Ich war gerade am Culinary Cup, da bin ich in der Jury, wie auch beim Gusto. Was ich dort sehe, ist sensationell. Die Jungen sind in der Grundbildung viel weiter als wir es vor 30 Jahren im selben Alter waren.

Romeo: Was ich noch oft höre, wenn sie als Kochlehrlinge durchhalten, dann wollen sie sehr schnell auch richtig Gas geben können.

Manfred: Die jungen Köche, die Auszubildenden wollen heutzutage mit ihrem Handwerk schnell auf den Teller kommen, sie wollen zeigen, was sie können. Die Zeiten, in denen man zuerst einmal ein halbes Jahr Salat und Härdöpfel rüsten musste, sind definitiv vorbei. Da müssen wir als Ausbildner in Zukunft anders funktionieren.

Romeo: Was meinst Du, woher kommt diese plötzliche Entwicklung?

Manfred: Das sehe ich bei meinem 12-jährigen Sohn. Letzthin kam er zu mir und fragte mich, ob ich einen Gordon Ramsey kenne. Ich sagte ja und drückte ihm ein Buch in die Hände. Das schaut er schnell durch, ging dann aber online. Auf den Videokanälen wie Youtube sieht er den Gordon Ramsey in Aktion.

Romeo: Ja klar, jetzt wo du das so sagst, früher musste man Saisons absolvieren, von Haus zu Haus gehen, um den Grossen auf die Finger zu schauen. Und die Jungen können das Wissen aus Youtube ziehen.

Manfred: Wenn die Jungen etwas wissen wollen, gehen sie online. Dort können sie aktiv sehen, wie etwas funktioniert. Da ist ein fabelhafter Wissensfluss vorhanden. Und der wird von den Jungen auch genutzt.

Romeo: Youtube, wo Köche ihr Handwerk erlebbar machen. Ist mir noch gar nicht in den Sinn gekommen, das ist geradezu eine Wissens-Emanzipation.

Manfred: Die gehen also «youtublen» und sehen etwas, als das, was es ist und wie es gemacht wird. Und dann kommt mein Sohn und erzählt mir, was eine Ganache ist, wie die Creme aus Couverture und Rahm hergestellt wird und wofür und wie sie angewendet wird. Und die Hälfte von dem, was er mir schilderte, wusste ich selber nicht. Also ich: „Woher hast du das?“ Er: „Jo weisch, i ha e bitz g’youtublet.“ Ich selber hätte noch Bücher angeschaut.

Romeo: Da wären wir, mittendrin in der Digitalisierung. Digitalisierung von Wissen.

Manfred: Ich denke, in diesem Sinne ist die Digitalisierung auch ein Glücksfall. Die Wissensflüsse und Wissensvermittlungen verändern sich genauso wie sich das Handwerk verändert. Das ist heute auch anders als vor 20 Jahren. Und in anderen Berufen ist das auch nicht anders. Ein Schreiner braucht heute auch andere Maschinen, andere Holzverbindungen, um etwas Tolles herzustellen, aber das Grundhandwerk muss immer noch gelernt werden.

Romeo: Mich lässt einfach nicht los, dass Bücher je länger je weniger gelesen werden. Ich weiss auch nicht, aber ich habe einfach immer das subjektive, nicht zu begründende Gefühl, Bücher hätten mehr Qualität als digitales Wissen.

Manfred: Bücher in gedruckter Form werden schon eher weniger gelesen. Doch Bücher sind ja auch Digital erhältlich. Dort sind die Jungen schneller drin und sie bewegen sich auch ganz anders in dieser virtuellen Welt. Im Übrigen, mit den heutigen technischen Mitteln sind Bücher auch immer dabei und jederzeit verfügbar.

Romeo: Ich weiss, ich bin ein alter Stänkerer und befürchte Nachteile, wenn wir nicht mehr in gedruckten Büchern wühlen und das Handwerk anfassen. Ich gebe auch zu, dass es ein Bauchgefühl ist.

Manfred: Es wird online auch sehr viel mit Bildern gearbeitet. Gerade in Bezug auf handwerkliche Abläufe sagen Bilder mehr als Sätze und Wörter und online sind diese Abläufe gut abbildbar. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass das eine nicht ohne das andere geht. Das Innehalten und etwas lesen ist in dieser schnellen Welt enorm wertvoll.

Romeo: Überall Baustellen im Universitätsspital Basel. Vor allem in der Küche...

Manfred: Wo wir gerade mitten in den Arbeiten sind ... fertig sein wird das alles erst Mitte 2019.

Romeo: Wenn ich es richtig verstanden habe, sollen in Zukunft zentral ganze Mahlzeiten in Form von Fertiggerichten produziert, haltbar gemacht und auf die Stationen verteilt werden. Dazu wird ein Teil der Belegschaft aus der Küche auf die Stationen in kleine Satellitenküchen ausgelagert. Dort soll der Pflege die Restauration und Hotellerie abgenommen werden. Was steckt dahinter?

Manfred: Zuerst einmal, das ist korrekt. Was dahinter steckt ... Als ich hier 2011 angefangen habe, sagte man mir, grösste Bedeutung hätten in Zukunft in einem Spital das Welcome am Empfang und das Goodbye bei der Verabschiedung. Übersetzt heisst das, die Hotellerie-Leistungen werden immer wichtiger. Das bestätigen mir auch Gespräche mit Patienten. Jemand sagte mir einmal: „Für das, was das hier im Spital pro Tag kostet, esse und schlafe ich im besten 5 Stern-Hotel.“ Was will man da noch sagen?

Was wir grob gesagt machen, ist, die Pflege von nichtpflegerischen Tätigkeiten zu entlasten und diese dem neu geschaffenen Hotelservice anzugliedern, so dass sich alle auf das konzentrieren, was sie am besten können.

Der Service, das Essen verteilen, Essen abräumen, Getränkeservice, das war alles nie Kerngeschäft der Pflege.

Romeo: Klingt vernünftig...

Manfred: Die Patienten, Gäste, Kunden ... heute sind viele weitgereist, lebenserfahren, sie haben ganz andere Bedürfnisse als früher. Das lässt sich am Kaffee am einfachsten erklären...

Romeo: Klar, die meisten waren in Italien, die meisten haben zuhause eine Kaffeemaschine mit allem Schnickschnack...

Manfred: Et Voila ... Es fängt an mit: „Ich hätte gerne einen guten Kaffee, Cappuccino, Espresso, Milchkaffee.“  Wir werden in Zukunft keinen Filterkaffee mehr servieren können, der irgendwo in einer Kaffeeküche 5 Stunden vorher aufgebrüht worden ist.

So ist das auch mit dem Essen. Wir wollen das Essen nicht gerade zelebrieren, aber wir möchten die volle Leistung in aller Qualität zum Patienten bringen und ihn wie einen Gast betreuen. Wir wollen zeigen, was Dienstleistung auch noch sein kann.

Romeo: Spitalküchen sind bis dato ja immer statisch. N’est pas?

Manfred: Der Gast muss heute bestellen, was er morgen um 12 Uhr essen möchte. Dann wird gekocht, in der Küche am Band angerichtet, alles auf ein Plateau gesetzt, in Wagen geschoben und so auf die Stationen befördert. Das Plateau kommt um 12 Uhr im Zimmer an und dann ... hoffentlich ist der Patient auf dem Zimmer. Wenn nicht, wird das Plateau zur Seite gestellt, und später wieder aufgewärmt und serviert. Das wollen wir in Zukunft nicht mehr.

Romeo: Und was wollt ihr dann?

Manfred: Wir wollen flexibel sein, schnell reagieren können auf das, was der Patient will und braucht. Dazu bringen wir den entscheidenden Teil der Küche hinauf auf die Station.

Romeo: Das würde man dann Dezentralisierung nennen. Seit wann seid Ihr da dran?

Manfred: Eigentlich wurde der Umbau vor 10 Jahren geplant und sollte sogar schon fast fertig sein. Das wäre aber nach dem alten System gewesen: Am Band anrichten mit den herkömmlichen Speisenverteilsystemen. Dann stoppten wir vor 5 Jahren und überdachten alles nochmal.

Romeo: Das, was ihr hier verworfen habt, wäre aber auch nicht falsch gewesen?

Manfred: Im Gegenteil. Man kann sogar sagen, das, was wir hier herausreissen, wird andernorts noch als «State of the art» neu eingebaut. Doch es hat unseren Bedürfnissen und Anforderungen, also unserem Grundgedanken für die Zukungt, überhaupt nicht entsprochen: Flexibilität und Entkopplung der Gästebetreuung von der Produktion und vom Tagesgeschäft.

Romeo:  Wenn ich das richtig verstanden habe: Ihr produziert selber Gerichte, packt sie sozusagen als Fertiggerichte ab, liefert sie auf die Stationen, wo sie frei nach Gästewünschen verfügbar sind und in der Mikrowelle aufbereitet werden. Ist eine wesentliche Komponente nicht die Technische? Ihr produziert ja im industriellen Standard – produzieren, verpacken, haltbarmachen. Sind die Maschinen erschwinglich geworden? Und ist die Technik in kleinen Küchen anwendbar?

Manfred: Sie ist überall anwendbar. Per se ist das alles auch nicht wirklich neu. Soldermann selig machte das schon vor 30 Jahren ... am Mikrowellen «herumnuschen» und ganz nach dem System «Versuch und Irrtum» neue Produkte, neue Verfahren zu Entwickeln. Dazumal war das revolutionär, heute haben wir das einfach perfektioniert.

Es geht aber nicht primär darum, ob solche Maschinen bezahlbar sind. Diese Technik ist schnell einmal etabliert und amortisiert. Das ist eine rechnerische Sache.

Vielmehr geht es um das Produkt, das dann in dieser Schale vor dir liegt.

Romeo: Prêt à Manger...

Manfred: Es ist ein Fertigprodukt. Welche Prozesse werden gestaltet und verändert? Wie wirken sich diese Prozesse auf die Qualität des Produktes aus? Wie entwickelt sich der Preis des Produktes?

Diese Konsequenz, diese Hartnäckigkeit in der Fragestellung braucht es, wenn so etwas von A bis Z durchgezogen werden soll. Das ist die effektive Umstellung und Herausforderung. Die Kehrtwende um 180 Grad ist dann einfach das Resultat der Konklusion.

Romeo: Prêt à Manger könnte man aber auch einfach von der Industrie fix fertig zukaufen.

Manfred: Könnte man. Haben wir auch geprüft. Diesen Prozess mussten wir über uns ergehen lassen, um zu sehen, was das heissen könnte. Wir haben Fertigmahlzeiten der Industrie unseren eigenen Gerichten gegenübergestellt.

Gut, das Resultat war absehbar. Wir haben extrem viel Wissen und Können vor Ort und kamen zur Erkenntnis, dass wir das produzieren können und wollen. Im Übrigen nicht zuletzt, weil wir auch die Grösse dazu haben. Das ist ein wichtiger Faktor. Eine gewisse Grösse bringt enorme Vorteile.

Romeo: Die Diäten dürften auch ein wesentlicher Entscheidungsfaktor gewesen sein.

Manfred: Das war auch ein Novum im Ganzen. Das von uns bevorzugte System hat sich letztendlich für die Diäten als vorteilhaft herausgestellt. Wir können diese in den Fertiggerichtschalen zusammenstellen. Wichtig ist hierbei, dass die Diätküche immer auch etwas kostet. Du brauchst eine separate Equipe, die das macht. Mit unserem neuen Ansatz entfällt das, weil die Diätköche in die Produktionsküche integriert werden, somit kann mit dem Wissen vor Ort die Diät in die Reguläre Produktionslinie eingebaut werden.

Romeo: Anzumerken ist, dass das geht, weil in Zukunft angeschrieben ist, welche Gerichte für welche Diäten taugen. Da kommen wir aber wieder auf die den Küchen fremden technische Komponente: Kommissionierung und Verpackung. Ihr müsst abfüllen, verschweissen, begasen, haltbarmachen, etikettieren etc. ...

Manfred: Mit «Micro Past» haben wir die für uns passende Technik gefunden. Im Grunde ist das nichts anderes als ein Duromatic, ein Schnellkochtopf.

Mit den in Schalen angerichteten und eingeschweissten Gerichten gehen wir in einen Tunnel, in dem die Hitze von überall gleichmässig auf die Gerichte abgegeben wird. Sie werden pasteurisiert und sofort wieder gekühlt.

Romeo: Und wie lange sind die Gerichte haltbar?

Manfred: Vier Wochen. Und das notabene ohne Qualitäts-, Geschmacks- und Nährwertverlust.

Romeo: Und wie nahe an den Patienten könnt Ihr damit gehen, zeitlich gesehen?

Manfred: Die Gerichte sind ja alle in den Station Office kühl gelagert. Dort werden sie herausgenommen, im Mikrowellengerät aufbereitet, aus der Verpackung heraus auf einem heissen Teller angerichtet und sofort serviert. Der Patient bestellt also 10 Minuten bevor er isst, was er möchte.

Romeo: Was bedeutet das eigentlich auf der Etage für die Pflege?

Manfred: Wir haben den Hotelservice jetzt etabliert. Veränderungen sind nicht ganz einfach. Es hat aber begleitend auch banale technische Änderungen nach sich gezogen, die allem einen Sinn gaben. Wenn in einem Spital ein Patient den Klingelknopf für die Pflege drückt, kommt die Pflege angerannt, ob er jetzt etwas gegen Schmerzen braucht oder einen Kaffee will. Jetzt haben wir zwei Knöpfe, einen für den Hotelservice und einen für die Pflege. Die Dienstleistungen Hotel und Pflege werden - auch ersichtlich an der Arbeitskleidung - voneinander getrennt. Das gibt für den Patienten, alleine schon aus dem Dienstleistungsgedanken heraus, ein ganz anderes Bild.

Romeo: Mir wäre das unangenehm, die medizinische Betreuung wegen eines Kaffees zu belästigen. Wenn jemand wählen kann, wen er wofür ruft, macht das die Sache angenehmer.

Manfred: Wir haben jetzt auch ein Housekeeping wie in einem Hotel.

Romeo: Bezüglich Flexibilität, wie ist die Gerichte-Auswahl?

Manfred: In Zukunft haben Patienten 20 Menus zur Auswahl, plus Komponenten. Jeden Tag.

Romeo: Ganz naiv gefragt, ist das genug?

Manfred: Ja. Es sind zwar jeden Tag die gleichen 20. Doch früher waren es jeden Tag drei Gerichte, aus denen am Vorabend gewählt werden mussten. Ein Pilotprojekt hat uns

gezeigt, dass Patienten gerne Mal dasselbe bestellten, weil sie es gerne hatten. Und ja, am Abend gibt es zusätzlich auch kalte Gerichte, die die Auswahl noch ergänzen. Beispielsweise Café Complet, Birchermüesli, kalter Teller etc..

Romeo: Wenn ich mir vorstelle heute zu sagen, was ich morgen zu Mittag esse...

Manfred: Das geht noch weiter. Aus einem Grund ist man ja im Spital. Da kann es einem auch nicht so gut gehen, und man mag gar nicht essen. So können wir wirklich nah an das Bedürfnis des Patienten heran, was mit dem heutigen starren System nahezu unmöglich ist. Auch «Foodwaste» ist ein Thema. Oftmals wird für morgen bestellt, was dann gar nicht gegessen wird. Das geht heute alles in den Abfall, in Zukunft aber wird das nicht mehr der Fall sein. Wenn jemand keinen Hunger hat, sagt der Hotelservice, ich komme in einer Stunde wieder. 

...

Ausserdem ist es ganz einfach so, dass ein Restaurant einem Gast, der beispielsweise mehrmals in der Woche das Menu isst, über das ganze Jahr gerecht werden muss, weil er ja regelmässig zum Essen kommt. Bei uns ist der Patient ein paar Tage im Haus, möchte so schnell wie möglich wieder nach Hause und will auch nicht mehr zurückkommen. Wir müssen dem Patienten also eine viel kürzere, begrenzte Zeit gerecht werden.

Romeo: Und es bleiben Eure Gerichte, Eure Rezepte, Euer Geschmack.

Manfred: Wir haben alles in der eigenen Hand, in die Gerichte kommt nur rein, was wir bestimmen.

Romeo: Stimmt. Das Handling von fremden Inhalts- und Zusatzstoffen fällt in der Deklaration auch weg.

Manfred: Vor allem bestimmen wir Nährwert und Vitamine. Das haben wir ausgiebig getestet. Wir Köche wissen doch alle, das Schlimmste für die Nährstoffe und Vitamine ist Kochen und Warmhalten. Das ist aber genau das, was wir wie fast alle Spitalküchen jetzt noch tun. In Zukunft produzieren wir in 8 Minuten, kühlen sofort runter und bereiten das Gericht in 3 Minuten auf. Damit können wir Textur der Speisen, Farben und Nährwerte sowie die Vitamine besser erhalten.

Romeo: Selbst über die Dauer der Haltbarkeit von 4 Wochen?

Manfred: Ja.

Romeo: Was bedeutet das eigentlich kostenmässig?

Manfred: Wir werden massiv Kosten einsparen. Wir produzieren ganz anders. Dies an 5 Tagen die Woche - versus 7 Tage wie bisher. Die Produktionsteams werden kleiner, wie die Produktionsflächen. Gleichzeitig wird die Produktionsmenge massiv erhöht. So sieht es aus. Zu betonen ist jedoch, dass keine Stellen abgebaut werden, sondern dass wir eine Verlagerung auf die Stationen haben, auf denen wir den Hotellerie-Service anbieten. Das bedeutet für viele Angestellte einen Wechsel oder sogar eine Karrieremöglichkeit.

Romeo: Wie alt war eigentlich die alte Küche?

Manfred: Die sieht nicht so alt aus, wie sie eigentlich ist ... 40 Jahre und rund 45 Millionen Mahlzeiten alt. Die Küche dürfen wir jetzt also ruhig in Pension schicken. Um das neue Konzept zu realisieren, muss die gesamte Gebäudestruktur und Technik angepasst respektive neu gebaut werden. Im Moment werden Provisorien errichtet, sodass wir während des Umbaus im laufenden Betrieb weiterproduzieren können. Die neue Produktionsküche wird in 9 Bauetappen bis Mitte 2019 fertiggestellt.

Das ist logistisch eine spannende und lernreiche Herausforderung für die nächsten zwei Jahre.

Romeo: So über den Daumen gepeilt, getraue ich mich zu behaupten, dass für die Gemeinschaftsverpflegung generell eine ziemlich grosse Veränderung ansteht. Ich meine, wenn wir davon ausgehen, dass unabhängig von der Gästeanzahl frisch gekocht und vom Gast frei gewählt werden kann ... das würde ja nicht nur Kosteneinsparungen in der Produktion bedeuten, sondern auch, dass wir in den Küchen in der Lage sind, uns mit dem Verzicht auf Convenience, die ausgelagerten Margen zurückzuholen.

Manfred: Bis dato war nur die Frage, ob warme oder kalte Linie. Wir haben uns tatsächlich die mutige Frage gestellt, ob diese beiden Linien noch Zukunft haben. Wir sind zu einem Nein gekommen und haben uns gesagt, wir machen etwas anderes, um die Dienstleistung für den Patienten zu verbessern.

Romeo: Gibt es Referenzbetriebe?

Manfred: In der Schweiz gibt es das noch nicht. Im Ausland schon. In Deutschland und vor allem in Holland sind sie vom Denken und von den Prozessen her wesentlich weiter als die Schweiz. Die lassen wirklich keinen Stein auf dem anderen, schauen alles an, hinterfragen alles. Es ist nicht immer alles besser, aber es ist interessant, wie sie die Prozesse denken und lenken. Wir sind allerdings die einzigen, die Fertiggerichte auch selber produzieren. In Deutschland und Holland lässt man sie von der Industrie produzieren.

Letztendlich ist zu sagen, dass wir uns den Prozess zu eigen gemacht haben. Das Essen der Deutschen und Holländer an sich, naja, wir wussten, dass unser Essen um ein Vielfaches besser sein muss.

Romeo: Hat der Vorsprung, den Deutschland und Holland bei den Prozessen haben, damit zu tun, dass sich die Gemeinschaftsverpflegungs-Gastronomie in Schweizer Spitälern nie durchsetzen konnte?

Manfred: Das ist so. Obwohl ich nicht sagen würde, dass die Schweizer Spitalverpflegung per se im Rückstand ist. Kulinarisch sind wir immer noch besser. Aber die Spitalküchen sind hierzulande nie derart unter Kostendruck wie andernorts. Dieser nimmt aber auch hier immer mehr zu. Ich meine, gerade in Deutschland ist der Druck enorm hoch, weshalb dort schon vor Jahren ganz andere Ansätze gewählt werden mussten.

Und die «Outsourcerei» war dort auch immer wieder ein Thema. Wir im Universitätsspital Basel gehen den entgegengesetzten Weg, wir «Insourcen» und der Erfolg gibt uns Recht.

Romeo: Was meinst Du genau mit «Insourcen»?

Manfred: Wir bauen eigene Marken, eigene Identifikationen auf. Wir haben ja auch eigene Restaurants im Spital, in denen wir täglich frisch produzieren, es gibt à la carte an Front-Cooking-Stationen etc.. So stellen wir Synergien her. Die Abteilungen respektive die Restaurants können Dienstleistungen und Produkte untereinander abrufen. Ein einfaches Beispiel ... hat ein Gast Lust auf Wähe, die auf der Etage nicht im Angebot ist, können wir ihm diese jetzt schnell bringen. Das geht jetzt dank dem Hotelservice auf der Etage. Das war vorher so nicht möglich.

Romeo: Der Kostendruck ist ja schon länger auch in der Gastronomie ein Thema. Was würdest du sagen, wie klein oder gross muss eine Küche, ein Betrieb sein, um dieses System «Micro Past» anzuwenden?

Manfred: Ich weiss, dass das einige Restaurantküchen schon lange machen, darunter auch Sternebetriebe. Ich kann dir sagen, 1987 hat in Tokio ein ganzes Hilton Hotel auf der Basis von Sous-Vide funktioniert. Das alles ist also nicht neu. Die Qualität der Produkte ist, richtig angewendet, hervorragend und die Möglichkeiten sind heute unbegrenzt. Unser Küchenchef Christian Kech und ich sind in der Testphase bisweilen erschrocken und haben uns verwundert in die in Augen geschaut, weil Qualität, Geschmack, Aroma, Konsistenz so gut waren. Oftmals besser, als wir es mit dem heutigen System hätten frisch kochen können.

Romeo: Also auch ein Thema für die gemeine Gastronomie.

Manfred: Definitiv. Ein Bergrestaurant bei Schlechtwetter oder ein Hotel mit 24 Stunden Etagenservice ... wollen die immer einen Koch auf Abruf haben? Da sind solche Lösungen perfekt ... etwas haltbar machen und abrufen, wenn man es braucht. Flexibilität und Entkopplung vom Tagesgeschäft und es ist immer noch frisch gekocht.

Romeo: Wie gehabt, es ist und bleibt eine Frage des Interesses. Man muss nur den Mut haben, Neues anzuschauen und zu denken. Wie dein Sohn, der plötzlich besser weiss als du, was eine Canache ist.

Manfred: So ist es.