Der von mir hoch geschätzte Theatermann Samuel Schwarz ist der Meinung, dass die ursprüngliche Einleitung dieses Beitrags missverstanden werden könnte. Ich nehme die Kritik ernst und möchte nicht, dass das wichtige Anliegen, das ich damit vertreten möchte, durch eine sachfremde Diskussion entwertet wird.

Es geht mir um die Megafusion, die sich zwischen den Zeitungen der NZZ-Regionalmedien und der Mittellandpresse anbahnt, und ich frage mich erschrocken, wer am Ende, wenn dieser Zeitungspool mit dem bereits bestehenden TAMEDIA-Pool gleichgezogen hat, triumphieren wird: die Medienbesitzer, die entlassenen und die verbleibenden Journalisten bzw. Journalistinnen, die Leserinnen und Leser? Mit Sicherheit werden es nicht die letzteren sein, und doch beruht die winzige Hoffnung, die es noch gibt, den totalen GAU der Schweizer Zeitungen zu verhindern, auf eben diesen Leserinnen und Lesern, die durch die Entwicklung für dumm verkauft werden sollen und die etwas verlieren, was ihnen nie wieder zurückgegeben werden kann: i h r e Tageszeitung, von Menschen aus ihrer Region für sie geschrieben und bebildert, mit dem wachen Blick auf die Region selbst, aber auch auf die ganze Schweiz und die ganze Welt, verantwortet und gedeutet von Leuten aus dem eigenen Lebensraum, den gleichen Erfahrungen und Hoffnungen und lokalen Prägungen wie sie selbst.

Der Zeitungspool der TAMEDIA, der den «Bund», die «Berner Zeitung», den «Landboten», die «Zürichseezeitung», bald auch die «Basler Zeitung» und nicht zuletzt den «Tagesanzeiger» selbst zu lokalen Kopfblättern einer Zentralredaktion von einer Art Top-Journalisten, die kaum jemand kennt, gemacht hat, funktioniert bereits, und wer die fraglichen Zeitungen nebeneinanderlegt, kann erkennen, wie fatal diese Einheitskostzubereitung sich auf die Identität, die Eigenart, die Besonderheit der einzelnen Blätter auswirkt, die nun bloss noch im lokalen Bereich eine armselige Rumpfredaktion beschäftigen.

Nun aber steht die Vereinheitlichung, die Amalgamierung, die Konzentration oder wie man das immer nennen will der restlichen, noch verbliebenen Zeitungen im Verband «CH Media» ins Haus. Es ist der nach dem Muster der Tamedia vollzogene Schulterschluss der bereits stark vereinheitlichten NZZ-Regionalmedien mit den Zeitungen der Mittellandpresse nach dem Integrationsprogramm «Kolumbus», das vierzig «Projekte» genannte Medien unter einem Pool mit einer Zentralredaktion in Aarau versammeln wird, von wo aus den bis jetzt noch weitgehend unabhängigen Zeitungen der sogenannte «Mantel» geliefert wird, also Inland, Ausland, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Gesellschaft, Sport, so dass alle vierzig Zeitungen zu einer einzigen, auch im Layout gleichgeschalteten Zeitung zusammengepresst werden und die verbleibenden Rumpfredaktionen bloss noch lokale Ereignisse wie Feuerwehrübungen, Bestattungen, lokale Unterhaltungsabende oder Nekrologe lokaler Politgrössen beizusteuern haben.

Genau so also, wie der anonyme Pool und die im Lokalen verbliebenen Redaktionen von «Bund», «Landbote», «Tagesanzeiger» usw. das heute schon erleben.

Um nur die eigentlichen Tageszeitungen zu zählen, werden dann 21 Zeitungen mit dem gleichen Layout und bis auf die lokalen Seiten gleichen Inhalt erscheinen, so dass beispielsweise eine Buchbesprechung oder Filmkritik einundzwanzigmal gedruckt erscheint und alles Kontroverse, Vielfältige, Vielgestaltete, meinungsmässig Individuelle im Keim erstickt wird. Nicht einmal eine Diskussion zwischen den Vertretern der zwei Poole wird noch möglich sein, sind doch die grösseren Städte, die bis anhin zwei oder drei meinungsbildende Zeitungen besassen, alle in der Hand eines der beiden Poole: Bern und Basel sind Tamedia-Bereiche, St.Gallen, Frauenfeld, Rorschach, Appenzell, Luzern, Zug, Aarau, Solothurn und Olten CH Media-Zonen. Einzig Zürich, wo neben der Tamedia auch die nach wie vor unabhängige NZZ domiziliert ist, ermöglicht noch verschiedene Meinungen, und solange sie sich einem Anschluss zu verweigern vermögen, sind auch an den Rändern die Zeitungen der Somedia in Chur sowie die Schaffhauser Nachrichten, das Bieler Tagblatt und fern im Wallis der «Walliser Bote» noch unabhängige Medien.

Diese Entwicklung ist für alle, denen eine eigene, in Luzern, St.Gallen oder Appenzell produzierte und geschriebene Zeitung am Herzen liegt, eine echte Katastrophe. Und natürlich ist sie es auch für den Schweizer Journalismus, der entweder in die Arbeitslosigkeit oder in den Marketingbereich abgedrängt wird oder unter den entwürdigenden Bedingungen einer Zweiklassengesellschaft von hochgelobten Zentralredaktoren und minderwertigen, der Zentrale unterworfenen Lokaljournalisten weiter zu funktionieren hat.

Viele potente Talente sind bereits in die rein elektronischen Medien abgewandert, und bei Lichte besehen steht hinter der Rosskur, mit der die Schweizer Zeitungslandschaft zertrümmert und homogenisiert wird, eine unverkennbare zynisch-pessimistische Endzeitstrategie für das gedruckte Medium an sich: solcherweise «redimensioniert» und «harmonisiert» sind die Zeitungen bestens dafür gerüstet, die gedruckte Ausgabe ganz einzustellen und nur noch im Internet zu erscheinen, wie die Tamedia es vor Jahresfrist zum Entsetzen unserer Landsleute von Neuenburg bis Genf mit der meistgelesenen Welschschweizer Tageszeitung, «Le Matin», auf rücksichtslose Weise vorgemacht hat, die nun nur noch elektronisch zu lesen ist.

Wer sich fragt, ob man die Entwicklung in letzter Minute noch stoppen könnte, verfällt in dunkelste Schwermut: die Journalisten, die um ihre Stelle bangen müssen und im Hintergrund bereits um einen Sozialplan feilschen, sicher nicht. Die Leserinnen und Leser, denen ohne ihre Einwilligung etwas Wichtiges geraubt wird, infolge mangelnder Kohärenz und publizistischen Möglichkeiten wohl auch nicht – eine Demonstrationswelle für den Erhalt der regionalen Tageszeitungen analog zu den Umweltdemonstrationen der Schülerinnen und Schüler ist ja wohl undenkbar – , und so könnte wohl einzig die Politik den fatalen Vorgang noch verhindern, indem sie einen nationalen Pressenotstand erklärt und Verleger, Journalisten und Repräsentanten der Städte und Kommunen, vor allem aber auch Vertreter der interessierten Leserschaft an einen Tisch bittet, wo, unter Umständen unter staatlicher Finanzhilfe, eine Lösung erarbeitet werden müsste, die dem vielgestaltigen Zeitungsland Schweiz und seiner regional verwurzelten politisch-gesellschaftlichen Identität gerecht würde und die endgültige Zertrümmerung der vielgestaltigen Zeitungslandschaft Schweiz noch in letzter Minute verhindern könnte. Und sollte jemand argumentieren, mit der Vernichtung der Tageszeitungen könnten ganze Wälder gerettet werden, sei daran erinnert, dass Holz im Unterschied zu den Ingredienzien von Tablets und PCs zu den wenigen wirklich effizienten erneuerbaren Energien zählt…

Dr. phil. Charles Linsmayer, Mitglied BR des Schweizerischen Pressevereins, Mitarbeiter von «NZZ am Sonntag», langjähriger Literaturredaktor am «Bund», Empfänger des Literaturpreises für Vermittlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft 2017, Träger des Deutschen Sprachpreises und des Oertli-Preises.