Neuro (altgriechisch Neuron = Nerv,) -logie (die Lehre) ist die Wissenschaft des Nervensystems, inklusive des Zentralnervensystems, also dem Gehirn und dem Rückenmark.

Das Limbische System (eine auf verschiedene Hirnareale übergreifende Funktionseinheit) ist die ursächliche Genese von Emotionen. Hier werden, um dieses unfassbare Thema einzugrenzen, aufgrund von Gemütsbewegungen zwischen 70 und 85 Prozent (je nach Quelle) der Kaufentscheidungen unbewusst fällt. Das ist die Grundannahme und Hypothese, die dem Neuromarketing zu Grunde liegt.

Marketing als Aktivität ist das Unterfangen, den Absatz von Produkten durch Kundenansprachen, Beobachtungen, Analysen und Lenkungen von Märkten sowie entsprechenden Produktentwicklungen und -anpassungen zu lancieren, zu fördern und zu steigern.

In logischer Konsequenz wird versucht, zu messen und sichtbar zu machen, was im Nervensystem wann wie und warum bei welchen Anreizen passiert: Wann gebiert das Hirn wo (in welchen Hirnarealen) unter welchen Einflüssen und Stimulationen welchen (Kauf-) Entscheid.

Der grosse Marketingnutzen: 

Im Limbischen System werden auch die Bereitschaften zu bestimmten Verhaltensmustern (Triebverhalten) angestossen. Diese Verhaltensmuster sind fassbar und einteilbar. Individuen werden den einzelnen Verhaltenstypen (z.B. sieben Gehirntypen nach Häusler) in Bezug auf die entsprechende Stimulation zugeteilt.

Die Verhaltensmuster wiederholen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer wieder, und anstatt 9 Mio. Schweizer Individuen gibt es einige wenige Verhaltenstypen, denen ein Produkt entsprechen muss, bzw. deren Kommunikation. Diese Aufschlüsselung und Anordnung unbewusster Entscheide bilden die Grundlage für die Skalierbarkeit eines zu vermarktenden Produktes. 

Das bildet auch die Grundlage der Kritik. Die Individuen werden auf eine bestimmte Anzahl Verhaltenstypen reduziert, eingeschmolzen und als Matrizenformen gegossen. Mit ein paar wenigen Matrizen lassen sich Produkte und Kommunikation auf die einfachsten gemeinsamen Nenner in die richtige Form pressen. Das wird einerseits einfach als ultimative Entmenschlichung betrachtet und andererseits als Bedrohung der Selbstbestimmung von Konsumenten wahrgenommen.

Ein einfaches Neuromarketing-Praxisbeispiel auf ein Produkt herunter gebrochen.

«Richtiges» Neuromarketing setzt den Zugang zur Beobachtung und Messung der Hirntätigkeiten voraus, dazu sind nicht bzw. minimal invasive Untersuchungsmethoden notwendig.

Das typische Erdbeeraroma einer echten Erdbeere setzt sich aus mehreren hundert einzelnen Aromen zusammen. Dieses künstlich herzustellen ist zu aufwändig und wäre zu teuer. Also muss sich ein Erdbeeraroma auf wenige Aromen als Komponenten reduzieren lassen, um rentabel zu sein. Auch müssen diese «reduzierten» Aromen die Aromen-spezifischen Bedürfnisse des Konsumenten treffen.

Um ein Erdbeeraroma «typisch» auf ein Produkt abzustimmen (Kaugummi, Eis, Creme etc.), muss also herausgefunden werden, wann das menschliche Hirn ein Erdbeeraroma als «richtig» bezeichnet. Rachenraum und Nasenhöhlen werden mit Sensoren bestück, welche die molekulare Zusammensetzung des Duftes erkennen, der zugeführt bzw. eingeatmet wird. Gleichzeitig werden die Reaktionen im Hirn z.B. mit Elektroenzephalografie EEG oder funktioneller Magnetresonanztomografie festgehalten. Mit letzteren Hirnscannern kann auch der Stoffwechsel im Gehirn sichtbar gemacht werden.

Damit lässt sich pragmatisch feststellen und festhalten, wann das menschliche Gehirn auf welche Erdbeeraromen wie reagiert. Der Hersteller der Aromen kann jetzt nicht nur das «richtige» Erdbeeraroma für das entsprechende Produkt liefern, er kann bzw. könnte auch noch das notwendige Wissen liefern, mit dem sich alle Nachfolgeprodukte von Erdbeerjoghurt bis Erdbeersirup ohne Erdbeeren geschmacklich und aromatisch gestalten lassen, um den Verkauf anzukurbeln.

Die Neuromarketer

Diese haben in der Regel keinen oder nur begrenzt Zugang, um Hirntätigkeiten zu messen und zu analysieren. Sie nehmen als Grundlage bereits publizierte Untersuchungen und deren Ergebnisse aus der Neurologie oder aber entsprechende marketingorientierte Sekundärliteratur. Sie versuchen die Produkte anhand dieser Erkenntnisse zu gestalten und/oder die Kundenansprache dafür zu entwerfen.

Der deutsche Diplom-Psychologe Hans-Georg Häusel ist für viele Neuromarketer der Ausgangspunkt für ihre Arbeit. Er forschte und publizierte zum Thema Hirnforschung in Bezug auf Konsumverhalten und Marketing wie kein anderer.

Gerade KMUs dürften eine «echte» wissenschaftliche Erforschung, z.B. sichtbar zu machen, wie das Hirn auf ein Produkt reagiert, aufgrund fehlender Ressourcen (Geld, Mittel, Wissen, Spezialisten etc.) kaum umsetzen können. Hier helfen Neuromarketer, bekanntes und breit abgestütztes Wissen einzusetzen und auf gegebene Produkte anzuwenden. Diese greifen meist auf Häuslers «Limbic-Modell» zurück, das Neurowissenschaft mit Erkenntnissen aus Psychologie, Evolutionsbiologie verbindet. Hierbei werden Konsumenten per Persönlichkeitstest in sieben «Gehirntypen» eingeteilt. Damit lassen sich klare Markenpositionierungen an unbewusste Motivstrukturen anpassen und Verpackungen, Kommunikation etc. «hirngerecht, bis ins kleinste Detail optimieren» (Häusler).

Es geht darum, herauszufinden und zu verstehen, wie Kunden Werbe- oder Kommunikationsreize empfinden und begreifen, wie sie gedanklich Erwartungen formen, wie sich Erwartungsspannungen unter der Vorausschauenden Komponente im Geiste entwickeln und wie schlussendliche der Entscheid gefällt wird. Auf dieser Basis lassen sich Produkte, Verpackungen, Kommunikation etc. erarbeiten oder verbessern, ohne eine Forschungsreihe anzustossen.

Beispiel gefällig? Konzerne mit den grossen Budgets…

Die US-Amerikanische Chips-Marke des PepsiCo-Konzerns Frito-Lay wollte den Absatz bei Frauen fördern und liess untersuchen, wie die Verpackung wahrgenommen wird. Die fMRI-basierte Studie diagnostizierte, dass die glänzende Verpackung im Gehirn der Frauen Scham- und Schuldgefühle befeuerte. Die Verpackung ist heute neu gestaltet, mattfarben und Frito-Lay erreichte einen wesentlich höheren Absatz bei Frauen. Pepsi hat auch Erfahrung mit neurologischen Untersuchungen. Im sogenannten «Cola-War» zwischen Coca Cola und Pepsi Cola.

(Humoristische Note am Rande: 1985 lieferte Coca-Cola für das Space Shuttle Challenger die «Coca-Cola Space Can» damit die Astronauten Cola tinken konnten. Dafür liess Pepsi das Überschall-Passagierflugzeug Concorde blau steichen. Es ist kaum verwunderlich, dass den beiden Unternehmen auch schon unterstellt wurde, allen Ernstes den Mond als Werbetafel nutzen zu wollen um die Marke noch stärker in die Hirne der Menschen zu brennen. Das ging nicht spurlos am belgischen Comic-Zeichner André Fraquin vorbei. In Spirou und Fantasio-Comic-Band «Der Plan des Zykotrop» muss auch der Grössenwahnsinnige Wissenschaftler die Unterwerfung der Welt irgendwie finanzieren und erhält den Auftrag, das Coca-Cola-Logo auf den Mond zu projizieren, das gelingt, allerdings setzen es seine Sinnentleerten Zyklomänner spiegelverkehrt um: aloC-acoC. immerhin war die Coca-Cola aus der Space-Can 1995 der erste Softdrink im All und es gibt tatsächlich das Columbus State University's Coca‑Cola Space Science Center).

Das Baylor-Colleges in Housten setzte in einer Studie den Probanden zuerst blind beide Colas zum Geschmackstest vor. Die Mehrheit der Probanden sagte klar, dass Pepsi besser schmecke. Danach wurden die Marken offengelegt und nochmals getestet, dabei änderten viele ihre Meinung und sagten, dass Coca Cola besser schmeckte. Das Beispiel zeigt, wie durchdringend sich Marken und Gestaltungen im Hirn manifestieren und auch über den reinen Geschmack triumphieren.

Grosse Budgets? Es dauert nicht mehr lange, bis einige «Verhaltens-Vermessungs-Methoden» auch für kleine Budgets erschwinglich sind. Bis zu den EEG-Systemhauben mit der entsprechenden Software für den gemeinen Gebraucht ist es nicht mehr weit. Hyundai liess damit von Probanden ein Auto betrachten. Aufgrund der Resultate wurde das Design des Autos geändert. PayPal fand heraus, dass die Respons-Rate mit der Gewichtung auf Geschindigkeit und Bequemlichkeit deutlich höher liegt als mit dem Focus auf die Sicherheit der Zahlung.

 

Einfacher 4-Punkteplan aus dem Neuromarketing für jeden:

  • Einfachheit und Klarheit: Kommunikation, Texte, Bilder etc. müssen einfach zu verstehen sein.
  • Positivität: Produkte, Kommunikationen, Gestaltungen etc. sollen positive Reaktionen auslösen. Menschen mit einem Lächeln lösen im Gehirn der Betrachter das Gefühl von Freude aus.
  • Spannung: Produkte, Kommunikationen, Gestaltungen etc. sollen als spannend empfunden werden. Erwartungen sollen stimmuliert werden.
  • Glaubwürdigkeit: Autorität im Sinne der Glaubwürdigkeit aufbauen. Dem Kunden auch sagen, welche Massnahmen er ergreifen soll.

 

Wer die Reaktionen selbst (nach)messen will, bitte sehr, nachfolgend die meisten Methoden:

Aus der Neurowissenschaft: 

  • Elektroenzephalographie (EEG): Elektroden messen an der Kopfhaut die summierten elektrischen Aktivität der Hirnrinde.
  • Magnetenzephalographie (MEG): Untersuchung und Darstellung der Magnetfelder die bei neuronaler Aktivität des Gehirns entstehen.
  • Magnetresonanztomographie (MRT) | Funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) erzeugen Sichtbilder. In Bezug auf Neuromargeking wird sichtbar gemacht, was wie im Hirn auf welche Reize reagiert.

Techniken und Messmöglichkeiten aus der User Experience (UX)-Forschung:

  • Messung der Atmung und Herzfrequenz auf physische und Psychische Reize.
  • Elektrodermale Aktivität (EDA) misst das Absinken des elektrischen Leitungswiderstandes der Haut das durch die Reaktion des Nervensystems ausgelöst wird.
  • Eye-Tracking misst Blickerfassung und Augentätigkeit und Bewegungen (wo muss der Kauf-Button hin?).
  • Gesichtscodierung ist die Analyse der Gesichtsausdrücke.
  • Reaktionszeit ist die Messung der Dauer von der Wahrnehmung bis zur Reaktion. 

Apropos UX, heute gibt es eine ganze Reihe von Tätigkeiten und Berufsgattungen, die an die User Experience-Forschung angehängt sind, von UX-Design bis UX-Writing. Es handelt sich dabei um interdisziplinäre Tätigkeiten, die das emotionale und praktische Kundenbedürfnis an das Produkteerlebnis anbinden.

 

Einige Bücher zu Neuromarketing zum Selberverstehen:

  • Neuromarketing und Brain View von Hans-Georg Häusel.
  • Neurokommunikation. Ein Modell zur Wirkungsweise von Werbung im Lichte neuester Erkenntnisse der Hirnforschung von Kai Fehse.
  • Tausend und eine Macht. Marketing und moderne Hirnforschung von Werner T. Fuchs.
  • Neuromarketing-Voodoo-Kult oder Wissenschaft? Von Christian Jänig.

Einige Links: