0 0 Teilen:

  Kultiviertes, In-Vitro, Kunst, Labor – synthetisches Fleisch. Brodmann konstatiert (Publiziert: 2018)

Der Stoff zur Diskussion wurde letzte Woche von einer Grossmetzgerei geliefert. Diese gab bekannt, in das Geschäft mit In-Vitro-Fleisch zu investieren. «Kunst-Fleisch», «Labor-Fleisch» oder «kultiviertes Fleisch», wie es auch bezeichnet wird, löst sehr schnell Kontroversen aus. Dabei ist jedoch eines klar: Es kommt, so sicher wie das Amen in der Kirche.

Ob wir wollen oder nicht, ob wir das als sinnvoll betrachten oder nicht – synthetisch hergestelltes Fleisch wird im Ladenregal zu finden sein. Im «Future Trend Letter: «In Vitro-Fleisch» prognostizierte das Pauli Magazin bereits im März 2017:

«Je mehr Erfahrung die Produzenten haben und je nachdem, wie schnell die Entwicklungen durch die Dynamik des Marktes gesteuert sind und vorangetrieben werden, dürfte das erste synthetisch hergestellte „richtige“ Steak zwischen 2020 und 2025 auf den Markt kommen. Das erste synthetische Hackfleisch wird bereits in den nächsten drei Jahren – also bis 2020 - handelsreif sein.»

Die Argumente, die gegen Invitro-Fleisch vorgebracht werden, beziehen sich auf Ethik und Ästhetik. Einerseits wird beispielsweise behauptet, Kunstfleisch entspräche nicht der «göttlichen Ordnung» oder es wird andererseits einfach gesagt, es sei «gruusig». Beide irrationalen Argumentationsstränge basieren wohl darauf, dass es für uns Menschen kaum vorstellbar ist, bzw. vollständig aus dem Zusammenhang unseres Verständnisses für die Natur gerissen ist, dass Muskelfleisch ohne ein Lebewesen wachsen kann.

Rational zum Beispiel ist die Befürchtung der gesamten Fleischbranche, das werde die Tiermast sowie die Fleischbranche verändern. In welchem Ausmass ist nicht abzusehen, aber ja, das wird es.

Die Frage stellt sich dann jedoch, wie die Tiermast und Fleischbranche diesem Wandel begegnet: Ablehnung? Ignorieren? Oder eben investieren?

Rational ist mit Sicherheit auch der Grund, weshalb das Invitro-Fleisch die Märkte erobern wird: Seit 1974 hat sich die Anzahl Menschen auf der Welt von 4 auf 7.5 Milliarden beinahe verdoppelt. Und es werden heute schon über 70 Prozent der gesamthaft möglichen Agrarfläche dieser Erde für die Milch-, Eier, Fleisch- und Geflügelproduktion ausgenutzt. Das Agrarland lässt sich schlicht und einfach nicht verdoppeln, die Anzahl Menschen schon. Hinzukommt, dass riesige Bevölkerungsgruppen, die bis anhin kaum Fleisch konsumierten, das jetzt zunehmend tun und dazu auch das Recht haben.

Die Agrarwirtschaft wird nicht mehr in der Lage sein, die Weltbevölkerung mit tierischem Eiweiss zu versorgen. Hinsichtlich der Maximalprognose, dass sich die Menschheit in den nächsten 20 bis 30 Jahren auf 15 Milliarden nochmals verdoppelt, bleibt also gar keine Alternative.

Die Probleme in der Produktion des Kunst-Fleisches liegen vor allem noch in der Bildung von Bindegewebe (Zwischenzellmasse, bzw. extrazelluläre Matrix von Grundsubstanz und Fasern), von Strukturprotein Collagen sowie Fettgewebe. Für deren Entstehung sind beispielsweise physisch Bewegung, Belastung und Temperaturschwankungen notwendig, die der Muskel bewältigen muss. Dazu muss der Muskel Energie in Form von Adenosintriphosphat und Kreatinphosphat aufnehmen und in Bewegung umwandeln können.

Erst damit wird die bereits jetzt auf der Basis von Zellwachstum (auf der Basis der Entstehung von Mukopolysacchariden und Proteinen - Intrazellularsubstanz) produzierte Fleischmasse mit der Konsistenz von Hackfleisch zu einem richtigen Steak.

Ist dieser Schritt erst einmal vollzogen, wird sich die Technik mindestens in derselben Geschwindigkeit entwickeln wie die Mobiltelefonie mit dem Smartphone. Es wird nicht nur jede Art von Fleisch künstlich produzierbar, sondern es lassen sich auch Fleischstücke (mager oder fett, zarter oder zäher) und Geschmacksrichtungen (Hausschwein oder Wildschwein)  imitieren. Das ist nur noch eine Frage der Zeit und – darüber hat bei allen Diskussionen noch niemand gesprochen – des Ressourcen- und Energieverbrauchs, den Emissionen aber auch der Effizienz wie Pflanzliche Nahrung in tierisches Protein umgewandelt wird (gegenwärtig werden für die Produktion von 1 Kg Fleisch durchschnittlich 16 Kg Tierfutter benötigt).

Sicher ist, dass im Prozess der Kunstfleischproduktion die Tiermast, die Fleischgewinnung (Schlachtung) und Fleischverarbeitung ebenso wegfällt wie die Antibiotika-Thematik. Wie sich der Markt des «richtigen» Fleisches entwickeln wird, ist nicht absehbar. Eine These besagt, dass Fleisch zu einem Luxusprodukt werde. Es würden für weniger Tiere höhere Preise erzielt werden – sicher ist das alles nicht, denn es kann auch gut sein, dass Kunstfleisch in unseren Breitengraden von den Konsumenten tatsächlich geringgeschätzt und kaum akzeptiert wird. Die Alternative wäre dann beispielsweise jede Form von Vegetarismus. Dies wiederum würde einen Paradigmenwechsel bedeuten, welcher in Anbetracht des anhaltend hohen Fleischkonsums und dem Verlangen nach Billigfleisch wohl eher zweifelhaft ist. Aber wer weiss schon, was in 5 Jahren ist, geschweige denn in 50.

Link: https://daspaulimagazin.ch/de/freitext/future-tren...