„Wenn du überleben willst, musst du den Härdöpfel verstehen. Richtiggehend verstehen. Verstehst du?“  Was er damit meint: Sorten, Vielfalt, Reifegrad, Erntezeiten, Stärkegehalt und das damit verbundene Verhältnis zwischen Einfach- und Vielfachzucker. Das entscheidet, was aus der Kartoffel wird, wie sie sich bei welcher Zubereitung verhält und für was sich die Knolle eignet. Er meint damit vor allem auch das Verhältnis der Schweizer zur Kartoffel. „Schweizer wollen Kartoffeln in allen Formen und Zubereitungen. Schweizer sind verrückt nach Kartoffeln, also musst du die Kartoffel verstehen, dann verstehst du auch dein Geschäft.“

Dieser Aphorismus kam sofort auf die Frage nach dem Beizersterben. Das Beizersterben, das er hauptsächlich durch den  Mangel an Fachkompetenz begründet. Es sei ein No-Go, dass in den grössten Kantonen die Wirteprüfung abgeschafft worden sei, während 18 Kantone diese ja noch beibehalten haben. Das führe eben auch vermehrt zu mangelnder Fachkompetenz.

Die Freundlichkeit als Erfolgsfaktor ist nach seiner Ansicht zu vernachlässigen. Der Wille freundlich zu sein, sei ja meist da, reiche aber nicht. Dann schiebt er sein Beispiel nach:

„Wenn einer ein Restaurant eröffnet und die 2. Säule dazu als Finanzierung nimmt, kann er im Grunde auch grad wieder aufhören. Der Ansatz an sich, mit deiner Altersreserve ein solches Geschäft eröffnen zu wollen, ist gleichzeitig der Todesstoss. Das Geld ist innert kürzester Zeit weg. Klar, zuerst kommen, wenn es einigermassen läuft, die Umsätze, aber dann kommen hinterher, beispielswiese mit den verzögerten Kosten, die Hammerschläge.

Mehrwertsteuer. Quellensteuer etc. Mein Unternehmen Rössli Illnau bezahlt in zwei Kantonen Quellensteuer. Da die Ämter es nicht schaffen, ihre Arbeitsabläufe zu koordinieren, sind sie mindestens ein Jahr im Verzug. Geblendet von den Umsätzen kommen dann diese besagten Kosten, die einem längst nicht mehr präsent sind. Du eröffnest also einen Betrieb und ein halbes Jahr später kommt die Mehrwertsteuer-Abrechnung, Hammer eins. Dann kommt die AHV, Hammer zwei. Dann kommt die BVG, Hammer drei. Da haben wir nicht einmal ansatzweise über das Kochen oder über die Kalkulation geredet.“

Kalkulation – ein leidvolles Thema in unserem Beruf. Verkaufspreis minus Warenkosten gleich Brutto-Marge, abzüglich die Fränkli aus der prozessorientierten Kostenstruktur. Erst mit diesen Zahlen ist zu erkennen, ob die Gerichte rentieren können, n’est pas Herr Kartoffelversteher?

Kaufmann auf diesen eingeschobenen Einwand: „Nun ja, diese Wirte machen dann kein Geschnetzeltes mehr zu Rösti, die hat es dann selbst geschnetzelt.“

Nun gut, und wie kommt jetzt ein Entlebucher-Nidwaldner nach Illnau? „Ich sagte doch, das ist eine lange Geschichte. Aber gut. Kurz gefasst ... vor 30 Jahren suchte der damalige Patron Hans Peter Salim nach Köchen. Meine Frau arbeitete im Novapark, in dem vorher Herr Salim auch arbeitete. Das war die Verbindung, der Kontakt. Ich, nach einer Stelle bei Horst Petermann zwischenzeitig wieder zuhause im elterlichen Betrieb, wollte mich verändern. Also bin ich hingefahren. Ich hatte keine Ahnung, wo Illnau überhaupt ist. Heute weiss ich es: Dieses Jahr werde ich als Wirtesohn, aufgewachsen im Rössli Hergiswil, das 30igste Silvestermenu im Rössli Illnau kochen.“

„Rössli forever!“

Rene Kaufmann wusste von Anfang an, dass er Koch werden würde. Schon als 5-jähriger Knirps half er im elterlichen Betrieb mit. Die Berufswahl sei gar keine Frage gewesen und so landete er im Ochsen Littau. Damals eine berühmte Güggelibeiz.

„Da lernte ich das Arbeiten. Nach meiner ersten Woche hatte ich wunde und entzündete Finger. Jeden Tag hast du alleine schon für den Mittagsservice dreissig Federnböcke mit der scharfen Mimosa-Marinade eingestrichen, von Hand gebunden und dann immer zu sechst auf einen Spiess gesteckt. Ab 10:30 Uhr kamen die ersten Spiesse auf den offenen Grill, um 11.30 waren sie fertig. Halbieren, Pommes Allumettes dazu. Schicken. Fertig. In der Metzgerei nebenan lernten wir das Ausbeinen. Das musste man damals ja noch können.“

Kehren wir thematisch zurück zur Fachkompetenz im Rössli, wo alle Fonds und Saucen von Grund auf selbst hergestellt werden. Offensichtlich wertschätzen das auch die Rössli-Gäste. Dies nicht zuletzt aus Gründen der Deklaration. Die Haltung Kaufmanns gegenüber den Deklarationsvorschriften des Lebensmittelgesetztes: „Wenn du selber frisch kochst, hast du auch die Inhaltsstoffe im Griff. Du musst keine Packungsbeilagen lesen und diese deklarieren. Du weißt, was drin ist. Bei mir können alle Allergiker und Lebensmittelintollerante problemlos essen. Eine Gurke, eine Tomate, ein Stück Fleisch, Fleur de Sel und fertig.“

Das neue Lebensmittelgesetz sei nicht nur kein Problem, sondern es komme denjenigen, die frisch kochen und die Betriebsabläufe im Griff hätten, auch zugute – in der Kommunikation. Da ist sie wieder die Fachkompetenz. Und er doppelt nach: „Und sowieso, wenn mein wichtigstes Werkzeug in der Küche, die Schere, zum Beutelaufschneider wird, würde ich sofort aufhören.“

Nach einer kurzen Denkpause schiebt er nach: Extrem wichtig sei, einmal mehr, Fachkompetenz und Konstanz. Es brauche immer das gleiche Ergebnis auf dem Teller. Bei der kochenden Freestylegesellschaft gehe gerne verloren, dass die vollständige Reproduktion eines Gerichts die eigentliche Kunst des Kochens sei. Der Gast wolle es doch nicht einmal so und einmal so. Kochen nach Rezept und nicht Handgelenk mal Pi. Da seien uns die Bäcker, Konditoren und Confiseure nach wie vor weit voraus.

Von der Lehre in der Güggelibeiz zur gehobenen Gastronomieküche, das ist auch ein Weg. „Moment,“ wirft Kaufmann ein, “Die Küche im Ochsen Littau war hervorragend, die Güggeli waren einfach das Markenzeichen. Ausserdem hatte ich Interesse und dann kamen auch Gelegenheiten, die ich ergriff. Ich drückte die Schulbank mit Daniel Odermatt – unter anderem Hotelier des Jahres – bei und mit Ihm arbeitete ich dann im Le Manoir in Luzern. Das war damals die Adresse für Nouvelle Cuisine auf dem Platz Innerschweiz.“

Danach, erzählt Kaufmann, kochte er – nota bene mit 19 Jahren - bei Kräuteroski, damals noch im Drei Könige im Entlebuch. Daneben, dass dort im Luzerner Hinterland seine heutige Frau in seinem Leben Furore machte, machte offenbar auch Kräuteroski in der Lehrlingsausbildung grosses Tamtam. Er hatte immer die Besten und seine Lehrlinge schlossen auch immer am besten ab.  Danach wanderte Kaufmann durch Saisonbetriebe wie Schwerz in Gersau, wo alle mit dem Raddampfer ankamen, Fisch assen und wieder abdampften oder im Sourvretta House in St. Moritz. Dazwischen immer schön Militärdienst, 700 Diensttage als Fourier.

Im Beatus Merligen lernte er schliesslich seinen Mentor Willi Elsener kennen, der heute in Dubai unter anderem für die Joumeirah-Hotel-Gruppe als selbständiger Consultant tätig ist.

„Und wenn er dann einmal in der Schweiz ist, kommt er immer auch ins Rössli nach Illnau. Übrigens wie auch Otto Weibel“ freut sich Kaufmann am Rande und will auch gar nicht, dass das an die grosse Glocke gehängt wird. „Jedenfalls landete ich dann als 23-jähriger im Hotel Des Bergues in Genf. Als Chef de Partis Tournant. Küchenchef war ein Monsieur Ferry, ein Mexikaner aus Acapulco. Das spricht schon Bände über die Internationalität des Hotels. Das war noch ein Betrieb der alten Führungsschule. Mit einem Chefs Table - ein gedeckter Tisch, an dem ausschliesslich der Küchenkader ass und bedient wurde. Zuoberst am Tisch der Küchenchef, dann hierarchisch absteigend der Kader – und ich als 23-jähriger Schnösel an diesem Tisch. Zwar zuunterst, aber am Tisch.“

Auf die Frage, wie sich unser Beruf und die Ausbildung entwickle, reagiert Kaufmann gelassen. Alles sei Veränderungen unterworfen. Auch wir. Veränderung ist ein laufender Prozess. Eben in jenem Des Bergues beispielsweise, seien täglich Berge von Kisten mit frischem Fisch eingetroffen. Von Rascasse bis Seeigel war alles dabei, was das Herz des Kochs begehrt. Dann wurde gekocht, am Mittag kamen die Bankenleute mit Ihren Kunden und am Nachmittag war alles wieder weg. Das seien Bedingungen, von denen heute nur noch geträumt werden könne. Heute müssten Lehrlinge sich leider ihre Infos oft auf elektronischem Weg erarbeiten. Dann sagt Kaufmann aber auch deutlich, dass sich da und dort halt schon auch mangelndes Interesse bemerkbar mache. Es gebe Bücher und es gebe die grossen Feinkostläden wie Globus und Jelmoli, wo alle Produkte von Fischen und Krustentieren über die schönsten Fleischstücke bis zur Gänsestopfleber ausgestellt seien. Die hätten ja sogar bretonischen und kanadischen Hummer. Es sei also eine Frage des Interesses. Und wenn er einem sage, er solle sich das dort einmal anschauen, und er macht es  nicht, verstehe er das dann nicht wirklich.

Heute sei aber auch das Dreiecksverhältnis nicht ausser Acht zu lassen. Früher war eine Lehre grösstenteils eine Beziehung zwischen Lehrmeister und Lehrling. Die Eltern hätten lediglich den Lehrvertrag unterzeichnet. Heute wollen sie immer stärker mit einbezogen werden. Das sei manchmal nützlich, manchmal schwierig. Aber es sei eben auch eine Veränderung, die so zu akzeptieren sei.

Doch so oder so. Bei Kaufmann gibt es keine Diskussion. Er bildet so aus, wie er selbst ausgebildet worden ist. Leistung fordern und Vertrauen schenken.

„Vom ersten Tag an binde ich die Lehrlinge mit in den Betrieb ein. Da gibt es keine Birä. Da, der Lehrling im 2. Lehrjahr ist gerade auf dem Entremetier. Alleine. Ich sage ihm, du bist ein wertvoller Mitarbeiter, ich schenke dir das Vertrauen, du hast mich noch nie enttäuscht. Brauchst du Unterstützung, so melde dich. Er muss also auch entscheiden können, ob er etwas selber macht, oder ob er sich Hilfe holt. Und klar, geht etwas in die Hose, gibt es einen Rüffel. C'est la vie.“ Oui, la vie est dure sans confiture.