Ich meine, er war der einzige Mensch, der den Polizisten besoffen klar machen konnte, er sei stocknüchtern und nicht ins Röhrchen pusten musste. Nein, er nicht. Als er im Hotel Zürich (heute Mariott) die gesamte Presse ins Restaurant Scala einlud, um seine Mezzelune zu präsentieren, verreckte ihm genau da die ganze Ladung Ravioli ab. Kurzerhand rief er im Casa Ferlin an, bat den Zürcher Edelitaliener um Hilfe und schickte den Lehrling los, die Teigwaren abzuholen. Die Journalisten-Schar applaudierte und Jacky musste keine Rechenschaft ablegen. Nein, er nicht. Und wohlverstanden, er hat die Geschichte nie unter den Tisch gekehrt.

Das hat schon seinen Grund. Jacky zählte wohl zu einem der liebenswertesten Menschen mit dem wohl umfassendsten Netzwerk an Herzen. Ursprünglich war auch sein Bauchumfang allumfassend. Jeder, der mit ihm zu Zeiten seines vollen Kampfgewichtes im Smart mitfahren musste und es heil aus der Sardinenbüchse schaffte, kann davon ein Lied singen. Vor allem nach den scharfen Linkskurven, die er mit vollem Karacho kompromisslos anschnitt, fühlte man sich wie eine Maus, die gerade durch die Wäschemangel gedreht wurde.

Dass Urs Hellers (Gault-Millau) Worte in der Ausgabe von «Salz&Jacky» zu seinem 50sten heute so schnell ins Gewicht fallen würden, kam jetzt überraschend: «Der beste nichtkochende Koch der Schweiz», schrieb er damals in seinem Beitrag. Was vorderhand als leicht spöttisch interpretiert werden könnte, zeigt tatsächlich sein umfassendes Talent. Er war der geborene, allumfassende Gastgeber. Niemand konnte in derart kurzer Zeit so viele Menschen begeistern und deren Herz berühren und das notabene oftmals mit seiner schroffen Art.

Sein Netzwerk war bestaunenswert. Noch vor kurzem lief ich mit ihm die Zürcher Bahnhofstrasse Richtung See entlang. Wir benötigten für 300 Meter eine Stunde, weil er alle zehn Meter jemanden begrüssen und schnorren musste. Er kannte sie alle. Und alle kannten ihn. Es gibt in unserer Branche wohl kaum jemand, über den so viele Gerüchte und Geschichten kursierten. Ich servierte sie ihm jeweils brühwarm. «Du glaubst auch alles, du Schaafseckel», war dann zusammen mit einem herzhaften Lachen sein Kommentar.

Was er als Gastgeber und Koch draufhatte, zeigte er eigentlich nicht im Sonnenberg, auch wenn es für ihn nach seiner Aussage die beste Zeit seines Lebens war. Es war die Zeit seiner beruflichen Selbständigkeit in Jacky’s Stapferstube, die er leicht heruntergewirtschaftet übernahm und zur Vollblüte brachte. Er zelebrierte als erster in Zürich Valet Parking und lieferte aus dieser kleinen engen Küche, in der er sich kaum kehren konnte, ein Maximum an Seelennahrung. Es war die Gier der damaligen Eigentümer, die ihm das Wirten versaute. Als die sahen, wieviel Jacky umsetzte, drückten sie bei der nächstbesten Gelegenheit die Miete hoch und wollten zudem eine Umsatzbeteiligung. Jack war zwar auch ein Kalb, mit sich liess er aber so nicht das Kalb machen. Es war Hugo Mauchle, der als Bauchmensch eine Gastronomiegruppe aufbaute und das notwendige Gespür für die metaphysischen Dinge hatte. Er wusste instinktiv, dass Jacky der richtige für den Sonnenberg war. Die Folge: Jacky’s Stapferstube verlor stande pede ca. 70 Prozent des Umsatzes, während der Sonnenberg aufblühte.

Das Restaurant Sonnenberg in Zürich macht er zur Betriebskantine der Fifa. Und hier herrschte sein Standardspruch: «Ich bin hier oben in der Sonne, und mir ist egal wer unter mir Chef ist.» Mit «unter mir» meinte er den administrativen Hauptsitz an der Carmenstrasse, der oft im Nebel steckte.

Oben gab es nicht nur Sonnenschein, sondern auch immer was zu lachen. 

Das fing an mit seiner Umarmung, so dass einem, halb über seinen Bauch gezogen, die Füsse in der Luft baumelten. Jacky war schon immer eine andere Dimension. Er hat ja auch die Presse derart vereinnahmt, dass er mehr Quadratmeter Druckpapier bedeckte, als die vier Beatles zusammen, sagte einst sein damaliger Seelentröster Hugo.

Das galt auch für den obligaten «Ritterschlag» auf den Rücken mit Sprüchen wie «du Schaafseckel, ist dir langweilig dort unten im Büro?».

Seine Marketinglektionen würden heute zweifelsohne viral gehen. «So geht Marketing und Kommunikation», sagt er einmal zu mir, setzte sich an einen Tisch, nahm die Neue Zürcher Zeitung, schlug die Todesanzeigen auf, telefonierte einem unten in der Stadt, den er oben im Sonnenberg schon lange nicht mehr gesehen hatte. Das Gespräch mit – nennen wir ihn Hans Peter, ging folgendermassen:

 

Hans: «Peter, ja?»

Jacky: Jacky hier! Der Meier ist gestorben!»

Hans: Äh, ja? Sali Jacky, welcher Meier?

Jacky: «Weiss ich doch nicht, steht in der NZZ. Aber ich habe dich hier oben schon lange nicht mehr gesehen, wenn du nicht subito hier essen kommst, bist du für mich auch gestorben.»

 

Nachdem sich beide einen runtergelacht haben, hat der Hans Peter einen Tisch für Mittag um 12 Uhr gebucht und Jacky beendete das Telefon mit «aber sei pünktlich, sonst ist der Tisch weg und du tot.» Bäm! Aufgelegt!

Ähnlich lief es, wenn Jacky ein Kochbuch wollte. Er überfällt «Carlosi» mit zwei Bundesordnern voller Rezepten aus dem Restaurant Clipper. «Carlosi» war Jackys Kosename für den pensionierten Drucktechnologen und neugeborenen Weinhändler Romain. Carlosi seinerseits nannte Jacky meist bei dessen richtigem Name Jakob, insbesondere wenn er wieder seine Ideen ausbaden musste. Das Gespräch ging also folgendermassen:

 

Carlosi: «Du willst ein Donatz-Kochbuch machen mit Clipper-Rezepten?»

Jakob: «Ja. Der Sepp Kopp war in den 60ern im Clipper, der erste in der Schweiz mit asiatischen Gerichten wie Mah Mee und Nasi Goreng.»

Carolosi: «Ja, und was hat das mit Dir zu tun? Da hast du ja nie gearbeitet?!»

Jakob: «Carlosi, du Schaafseckel, du musst nicht denken, mach jetzt einfach das Buch!»

 

Bevor der «Gogoboy der Fleischeslust» vom Carlton St. Moritz, Tschuggen Arosa, das Scala im Hotel Zürich über Jacky’s Stapferstube bis zum Sonnenberg durch die Küchen tingelte, war er tatsächlich ein wahrhafter Spargeltarzan von einem Kochlehrling im Flughafenrestaurant Zürich. So wie der Flughafen damals etwas Besonderes war, war es das Flughafenrestaurant ebenfalls – und einer der legendären Küchenchefs war in den 50ern Josef Kopp, der spätere Clipper-Wirt.

Über alles Vergängliche hinweg ist Jacky Donatz mit Sicherheit eines: Ein treuer Mensch, der seine Weggefährten, die ihm etwas bedeuten, nie vergisst. Während er für lokale, nationale und internationale Prominenz kochte, war er selber gerne Gast im Clipper an der Lagerstrasse 1 in Zürich. Kaum jemand weiss heute noch, dass der prägnante Geschmack der Schweizer Mah Mees und Nasi Gorengs den Gewürzmischungen Josef Kopps zuzuschreiben ist und er durch die Clipper-Köche national und international verbreitet wurde. Aber Jacky wusste es.

Sepp Kopp war einer dieser erfahrenen, alten, wissenden Garde und der damals junge Jacky konnte beispielsweise für die Neugestaltung des damals revolutionären Thairestaurant «White Elephant» im Hotel Zürich auf dieses Wissen bei Bedarf zurückgreifen. Er hat Sepp Kopp post mortem ein Kochbuch wider das Vergessen gewidmet. Dieses durch das Setzen alter Menus und Rezepte aus dem Clipper vorderhand einfach aufgemachte Buch ist tatsächlich ein Zeitfenster, das einen Blick in ein Zeitalter gestattet, während dem sich die Schweizer Gastronomie weltprägend entwickelte. Es war übrigens auch die Zeit, in der die Schweizer Köche weltweit die erfolgreichsten ihrer Zunft waren.

Jacky, mein lieber Freund, du bist der liebenswerteste Kerl und ich schätze mich glücklich, einen Teil meines Lebensweges mit Dir mitgegangen zu sein. Du warst, bist und bleibst ein Unikum und unvergesslich.

Und ich weiss, was Jacky Donatz sagen würde, wenn ich ihm jetzt eine gute Reise wünsche: «Ke Sach, mache mer.»