Herr Dietrich, wie feiert Ihr Fünfsternehotel im kommenden Sommer sein 111-Jahr-Jubiläum? 

Felix Dietrich: Auch dieses Jahr werden wir unsere Gäste und Familien zu ganz speziellen Picknicks im Freien einladen, einmal am 25. Juli auf der Alp beim Pferdekutschenmuseum von Danco Motti oberhalb von St. Moritz und einmal am 14. August auf dem Bauernhof und seiner Ranch. Unsere Silser Bauern Gian und Catherine Coretti bewirten und überraschen uns. Zum Jubiläum «111 Jahre Waldhaus» schenken wir uns und Ihnen im Juni ein kleines Kulturfest in unserem Waldhaus-Theater und 180 spannende Anlässe über die ganze Sommersaison 2019 und den Winter 2019/2020.

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«180 spannende Anlässe über die ganze Sommersaison  und den Winter 2019/2020.»

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Sie öffnen am 7. Juni 2019 zur 111. Sommersaison. Was sind die Höhepunkte in Ihrem Haus hoch über dem Silsersee?

Felix Dietrich: Vom 7. bis 30. Juni im eigens dazu kreierten Waldhaus-Theater überraschen wir Gäste und Besucher mit einheimischen Chören, einer Inszenierung von Christoph Marthaler and Friends, dem jungen Theater Graubünden, einer einheimischen Produktion mit dem Cor Viva und den Viva Girls aus Sils, sowie einer Shakespeare-Produktion der Studenten der Internatsschule Lyceum Alpinum Zuoz, den einmaligen Swing Kids mit Dai Kimoto und zum Abschluss einem zauberhaften Abend mit Junge/Junge und dem Klassiker «Novecento» mit Jürg Kienberger and Friends. Dazu am Sonntag, 14. Juli und am Sonntag, 20. Oktober jeweils einen «Tag der offenen Türen» mit vielen Überraschungen.  Vom 15. bis 21. September hat die Intendantin Kamilla Schatz das Musik- und Kulturfest Resonanzen Sils ebenfalls dem Jubiläum gewidmet und die jährlich wiederkehrenden Anlässe von Schweizer Radio SRF 2 – Kulturclub mit Arthur Godel – widmen sich dieses Jahr dem Thema «Welt von gestern – Welt von heute» mit namhaften Referenten und Länderspezialisten wie Bernhard Imhasly (Indien), Werner van Gent (Türkei und Griechenland) und Martin Alioth (Grossbritannien). 

Was bedeutet die Macht der Schnaps- oder Dreifachzahlen 111 für Sie und Ihr Haus?

Felix Dietrich: Ganz einfach elf lebhafte und turbulente Jahre seit unserem 100-jährigen Jubiläum, die wir erstaunlich gut überlebten und der Unbill der Zeit die Stirn bieten konnten. Das Waldhaus Sils steht weiterhin wie ein Fels in der Brandung und schaut kurz mal dankbar zurück, um dann mit Schwung und Optimismus die nächste Etappe anzutreten. 

Gibt es auch 111 individuelle Geschichten über dieses aussergewöhnliche Haus?

Felix Dietrich: Davon gibt es sehr viele und davon werden unsere Waldhaus-News pünktlich zu Jubiläumsbeginn am 7. Juni erzählen. Hotelier Urs Kienberger schreibt dazu die Waldhaus-Geschichte weiter, zusammen mit Augenzeugenberichten vom Journalisten Andrin C. Willi – bis auf den heutigen Tag. Und alles wird dokumentiert von aussagekräftigen Bildern unseres Fotografen Stephan Pielow. Das neue Waldhaus-Buch erscheint Ende Juni im Zürcher Verlag Scheidegger & Spiess und verspricht, obwohl mit wahren Geschichten versehen, zu einem spannenden Geschichtsroman zu werden. Alle Gäste und Mitarbeitenden werden ab nächstem Sommer im Jubiläumsjahr 2019/2020 beim Besuch oder bei der Mitarbeit im Waldhaus Sils dieses besondere Buch als Geschenk erhalten.

Das Waldhaus verfügt über 140 Gästezimmer und 150 Angestellte. Es kann seinen Gästen ausser dem Platz in einem der drei Restaurants, eineinhalbmal so viel Platz zum Sein, Ausruhen, Lesen oder Musikhören bieten. Damit sich das gesellschaftliche Leben auch entfalten kann, bedarf es entsprechender Räumlichkeiten mit exklusiver Eleganz – und exzellentem Essen und ebensolchem Service. 

Felix Dietrich: Die letzen 40 Jahre haben wir diese Räumlichkeiten sorgfältig restauriert und renoviert. Wir haben mit unsern Architekten Quintus Miller und Paola Maranta aus Basel in den öffentlichen Räumen, in der Küche und im Spa, sowie mit Architekt Armando Ruinelli aus Soglio im Bergell in den Zimmern das Ambiente verbessert oder teilweise wieder hergestellt, wie es einmal dazu gedacht war von den Erbauern. Ganz nach dem Motto «Respekt vor der Geschichte – Mut zur Entwicklung!» 

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Hermann Hesse, Thomas Mann, Marc Chagall, Friedrich Dürrenmatt, David Bowie…

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Ihr Gästebuch ist ein Who's-who von Persönlichkeiten: fast alle Bundesrätinnen und Bundesräte, zahlreiche Staatsoberhäupter und viele Berühmtheiten wie Hermann Hesse, Thomas Mann, Marc Chagall, Friedrich Dürrenmatt, David Bowie, Sir George Solti, Rudolf Serkin, Arthur Schnabel oder der frühere deutsche Bundespräsident Theodor Heuss. Wen möchten Sie zum Jubiläum gerne empfangen?

Felix Dietrich: Möglichst viele unserer zahlreichen wunderbaren Stammgäste und hoffentlich, wie jedes Jahr, auch einige, die zum ersten Mal ins Waldhaus Sils kommen und gerne Stammgäste werden würden. Über deren Namen schweigt des Sängers Höflichkeit.

Sie bieten in Ihrem historischen Haus drei Stile: klassisch, modern und nostalgisch mit der original restaurierten Ausstattung von 1908.Im Hochzeitssaal für 80 bis 100 Personen speist man auf Holzstühlen im zeitlosen Stil von 1908, die von ihrem Komfort nichts eingebüsst haben. Wer stellte die 230 Originalstühle damals her?  

Felix Dietrich: Die vom St. Moritzer Architekten Karl Gottlieb Koller und den Hotelgründern Josef und Amalie Giger-Nigg ausgesuchten Stühle kamen von einer einheimischen Schreiner Badraun aus Samedan und wurden ergänzt durch Möbelstücke der Firma Lips und Söhne aus Zürich. Diese Stühle wurden in den 1980er-Jahren den heutigen Bedürfnissen angepasst und entsprechend restauriert durch das Adliswiler Unternehmen Bopp.

Im ersten Stock in der Beletage hängt noch die Sonnerie von 1908, die dem Personal mangels Haustelefon dazu diente, die Wünsche der Gäste entgegenzunehmen. Im Hotel-Entrée wird die Rechnung im Kassa-Raum bezahlt, wo auf der Arrivée-Tafel die Neuankommenden von Hand aufgeführt werden. Hinter den Kulissen hat die moderne und digitale Zeit längst begonnen. Wellness und Spa gehören auch dazu! Man fühlt sich wohl, in einer beinahe vergangenen Zeit. Einiges wirkt altmodisch und museal. Alles bewusst so erhalten oder ein feines Alleinstellungsmerkmal (englisch: Unique Selling Proposition, USP)? 

Felix Dietrich: Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Konnten wir bis Ende der 1970er-Jahre kaum Geld in grössere Renovationen stecken, ist uns – «Gott sei Dank» – die Substanz des Hauses erhalten geblieben und wurde in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht «vermodernisiert» oder gar entfernt. So konnten ab den 1980er-Jahren nach und nach die Räume, Zimmer usw. restauriert und auf die heutigen Bedürfnisse eingestellt werden, ohne alles auf den Kopf zu stellen. Wir sind froh, noch vieles im Hause zu haben, was man an den wenigstens Orten noch findet und müssen uns so nicht mit einem Fünfsternehotel irgendwo in der Welt vergleichen. Wir sind ganz gerne etwas anders als die andern und konnten dadurch eine «Oase» bleiben, wo die Zeit noch etwas still gestanden hat.

ICOMOS Schweiz, International Council on Monuments and Sites, kürte das Waldhaus 2005 zum Historischen Hotel des Jahres. 2015 erhielt es den grossen Jubiläumspreis «20 Jahre Historische Hotels des Jahres». Was macht das Waldhaus, das zu den Historic Hotels of Europe gehört, für Sie so einzigartig?

Felix Dietrich: Das müssten Sie eigentlich unsere Gäste fragen! Für uns ist es ein Zuhause auf Zeit, das wir in Schwung halten wollen. Ein Oldtimer oder ein Monument, aber zum Anfassen und Geniessen.

Die 111 Jahre alte Geschichte des Hauses lässt sich sogar im kleinen (öffentlichen) Museum im Keller erleben. An alles wird in Waldhaus gedacht und mit Liebe gesammelt und archiviert. «Gouverner, c'est prévoir», sagte der französische Publizist und Politiker Emile de Girardin im 19. Jahrhundert. Unser erster Eindruck ist: Gouverner, c'est préparer.

Felix Dietrich: Ganz richtig, das «Mise en place» ist in der Gastronomie, wie im Hotel eines der wichtigsten Faktoren. Doch wir wollen uns auch für die Zukunft vorbereiten Die schnelllebige Zeit und der ständige Wandel kann für das Waldhaus auch ein Vorteil sein. Auf jeden Fall halten sie uns jung und wir wollen stets neugierig und interessiert bleiben, ohne jedem Trend nachzueifern.

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Brillat-Savarin (1755-1826): «Jemanden einladen bedeutet, für das Glück des Gastes zu sorgen, solange dieser unter unserem Dache weilt!»

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Nach diesem Blick hinter die Kulissen werfen wir einen Blick auf die glanzvollen Seiten des Hotellebens. Zwischen Ankunft und Abreise: Wie ist das, ein Leben für die Gastlichkeit, das Sie und Ihre Familie seit Dekaden führen?

Felix Dietrich: Der französische Schriftsteller und Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755-1826) schrieb treffend: «Jemanden einladen bedeutet, für das Glück des Gastes zu sorgen, solange dieser unter unserem Dache weilt!» («Convier quelqu'un, c'est se charger de son bonheur pendant tout le temps qu'il est sous notre toit.»). Der frühere Waldhaus-Hotelier der zweiten Generation, Oskar Kienberger, wusste: «Unser Beruf ist vor allem eine Frage der Geduld!» («Notre métier est avant tout une question de patience!»). Und noch ein Zitat aus Friedrich Wilhelm Webers Epos «Dreizehnlinden» von 1878 möchte ich hier erwähnen: «Kurze Tage, lange Nächte; Müh' und Arbeit ruhn nur selten: Was der kurze Tag versäumte, Muss die lange Nacht entgelten.» Zusammengefasst: Von unseren Gästen, aber auch von unseren Mitarbeitenden erhalten wir im Gegenzug sehr viel zurück. Das lässt sich monetär nicht ausdrücken. Ich würde meinen Beruf auf jeden Fall wieder wählen.

Das Waldhaus, ein Saisonbetrieb, beschäftigt 150 Personen aus zwölf Ländern. Ein Teil des Personals ist schon seit mehr als zehn Jahren bei Ihnen tätig. Was für einen Führungsstil pflegen Sie, dass das Haus als Arbeitsplatz so geschätzt wird?

Felix Dietrich: Über all die Jahre hat sich auch bei uns die Aussage von alt Bundesrat Adolf Ogi, «Man muss Menschen mögen», bewährt. Wie gehe ich mit meinen Gästen und meinen Mitarbeitenden um? Wir behandeln sie genau gleich, wie auch wir als Kunde gerne behandelt werden.

Was haben Sie für eine Gästestruktur? 

Felix Dietrich: Fünfzig Prozent der Gäste stammten aus der Schweiz, 30 Prozent aus Deutschland und der Rest verteilt auf die ganze Welt. Im Schnitt bleiben die Gäste vier bis fünf Tage. Rund 60 Prozent sind Stammgäste. Bei einem Gesamtumsatz von 17,4 Millionen Franken und 46'201 Logiernächten lag die Belegung 2018 im Winter bei 85 und im Sommer bei 70 Prozent. 

Ihr historisches Haus steht auch baulich sehr gut da. Wie viel Geld investieren Sie jährlich?

Über die letzten Jahre haben wir durchschnittlich pro Jahr zirka drei Millionen Franken in unser Haus investiert.

Ihr Kulturprogramm ist legendär – sind die Höhepunkte im Sommer 2019?

Felix Dietrich: Ausser dem Jubiläumsprogramm für den Monat Juni mit 30 Anlässen folgen Schlag auf Schlag, zwei bis drei Leckerbissen pro Woche, von denen ich nur ein paar wenige nennen möchte: Die Silser Chorwochen Ende Juni, Anfang Juli folgt die Opera St. Moritz mit Verdis «I due foscari» im Maloja Palace. Es gibt die kommentierten Konzerte mit unserm Welte-Mignon-Piano, der Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart liest aus dem Buch «Der Trafikant» (2012) des österreichischen Autors Robert Seethaler. Philosophische Abendgespräche sind angesagt in Nietzsche Werkstatt. Zu erwähnen ist auch der traditionelle Waldhaus-Sommerball am 20.7., «La Commedia» vom Origen Festival Cultural am 28.7. Und auch das prominente Engadin Festival oder St. Moritz Jazz Festival gehören ins Hochtal. Pius Baumgartner mit seinem Trio spielen am 1. August. Das Berlin der 1920er-Jahre präsentieren Samuel Zünd & Co., Ausflüge zu besonderen Kirchen und Kapellen stehen an, der frühere Feuilletonchef der «Neuen Zürcher Zeitung», Martin Meyer, liest aus seinem Buch «Gerade gestern». Es gibt auch wieder die Silser Kunst- und LiteraTourtage vom 22. bis 25.8, das Musik- und Literaturfestival Resonanzen Sils vom 15. bis 21. September, danach folgt bereits das 39. Nietzsche-Kolloquium vom 26. bis 29.9. Tanz- und Tangokurse und sowie Höhepunkte mit dem SRF 2 Kulturklub unter der Leitung von Arthur Godel.In der Sommersaison 2019 sind insgesamt 105 Anlässe geplant.

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«Ganz besonders liegt uns auch der Nachwuchs am Herzen.»

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Sie haben 2015 die Stiftung Kultur im Waldhaus Sils mitgegründet und präsidieren sie auch. Der Stiftungszweck: Austausch zwischen Kunstschaffenden und der Gesellschaft, die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen und die Entstehung und Vermittlung des aktuellen Kultur- und Kunstschaffens zu fördern und für die Zukunft zu sichern. Ideale Synergien für Ihr Haus?

Felix Dietrich: Über die Stiftung konnten wir schon die eine oder andere Produktion unterstützen, die ohne unsern Beitrag eventuell nicht zustande gekommen wäre. Dazu achten wir, dass die neuen Werke auch einen Bezug zu Sils und dem Waldhaus haben. Ganz besonders liegt uns auch der Nachwuchs am Herzen. Wir sind noch ein «junges Pflänzchen» und stehen mitten in der Entwicklung und freuen uns über jedes neue Mitglied im Kreise der Freunde und Gönner.

Nach der schönen Anthologie «Wie gross ist die Welt und wie still ist es hier. Geschichten ums Waldhaus in Sils Maria» folgt nun ein Buch zum Hoteljubiläum. Wie heisst es und was ist das Konzept?

Felix Dietrich: Das 240 Seiten starke Buch heisst «111 Jahre Hotel Waldhaus Sils. Ein unvernünftiger Familientraum macht Geschichte(n).»Der Text stammt von den beiden Autoren Urs Kienberger und Andrin C. Willi, die Bilder machte der deutsche Fotograf Stephan Pielow.Urs Kienberger schreibt die Geschichte bis zum heutigen Tag weiter und wird ergänzt mit Augenzeugenberichten und Interviews von Andrin C. Willi. Es erscheint Ende Juni. Es gibt je eine deutsche, französische und englische Ausgabe. Das Buch aus dem Verlag Scheidegger & Spiess in Zürich kosten 49 Franken.