Der Thurgauer Bandleader und Flügelhorn-Virtuose Dani Felber lud sein Vorbild Hazy Osterwald im Juni 2009 zum Auftritt mit seiner Big Band ins UBS-Ausbildungszentrum «Wolfsberg» in Ermatingen ein. Es gab Jubel und Ovationen für den damals 87-jährigen Schweizer Sänger und Bandleader, der im Rollstuhl das Konzert verfolgte. 1959 landete Osterwald seinen grossen, bis heute bekannten Hit «Kriminaltango». Seit Jahren gibt es kaum mehr regelmässige öffentliche (Kultur-)Veranstaltungen in der 1975 eröffneten Kaderschmiede der UBS Group AG stellen Künstler, Agenten und die Öffentlichkeit fest.
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«Seit seiner Errichtung durch Wolf Walter von Gryffenberg im Jahre 1576 darf Wolfsberg auf eine bewegte Geschichte zurückblicken. Die Nutzung des Anwesens zeigte sich dabei stets ebenso vielfältig wie dessen Besitzerinnen und Besitzer: Von Sommerresidenz, Luxuspension, Kuranstalt oder Gutshof bis zum heutigen UBS Center for Education and Dialogue – die Verbindung von Moderne und Tradition machen Wolfsberg einzigartig.» (Wolfsberg-Werbung)
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Der Wolfsberg ist «das exklusive Seminar- und Konferenzzentrum inmitten der Natur» (Eigenwerbung) der weltweit tätigen UBS Group (1997 wurde die Schweizerische Bankgesellschaft SBG in UBS umbenannt). Ohne Dr. Robert Holzach (1922-2009) aus Kreuzlingen TG, Verwaltungsratspräsident der SBG bis 1988, gäbe es kein Wolfsberg, meint sein Biograph, der Zürcher Wirtschaftsjournalist Claude Baumann («Robert Holzach. Ein Schweizer Bankier und seine Zeit», 2015. Vorwort von Henry Kissinger). Holzachs Idee mit der Kaderschmiede: Bankangestellte müssen kultivierte Menschen sein, über gute Manieren verfügen und nicht nur über Zahlen Bescheid wissen. Er wollte aus ihnen bessere Menschen machen, sagt Baumann. Holzach war einer der bedeutendsten Schweizer Bankiers der Nachkriegszeit. «Holzachs Vision», so Baumann, «war eine Kaderschmiede, in der die fähigsten Leute, nicht ohne militärischen Drill, zu universellen Bankangestellten ausgebildet werden sollten. Und seine Ansprüche waren, wie so oft, nicht wirklich bescheiden; im Bankangestellten sah er mehr als nur einen gewöhnlichen Bürolisten.» Auf dem Wolfsberg wurde auch gepaukt und es herrschte vor allem unter Direktor Mühlemann ein militärischer Charakter. Lange dominierte und prägte der ehemalige Lehrer, Brigadier und FDP-Nationalrat Ernst Mühlemann (1930-2009) als Direktor des Wolfsbergs. Seit 1994 war der Politologe und Historiker Toni Schönenberger Leiter der Kaderschmiede, die er umstrukturierte und weiter öffnete. Die obersten Führungskräfte der Grossbank treffen sich hier regelmässig zu mehrtägigen Veranstaltungen, um über die aktuellen Fragen der Strategie und des Managements mit Mitgliedern der Konzernleitung zu diskutieren. «Wolfsberg schafft für die Teilnehmer an diesen Veranstaltungen ein ideales Forum, um das notwendige Beziehungsnetz zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen. Unternehmenskultur wird hier vermittelt und erlebt. In Ergänzung zu den Konzernveranstaltungen führen die einzelnen Sparten, Regionen und Ressorts der Bank Seminare in den Bereichen Fach- und Führungsausbildung durch», sagte Schönenberger bereits 1997.
Nur ein kleinerer Teil wird an externe Benutzer vergeben. «Da wir die Tochtergesellschaft der UBS sind, ist der Wolfsberg am Wochenende nicht geöffnet. Somit auch nicht für Privatpersonen zugänglich. Der Wolfsberg muss die Räumlichkeiten der UBS zur Verfügung halten. Je nach Verfügbarkeit können externe Firmen bei uns ein Seminar abhalten. Da wir halt bis Ende Jahr schon ziemlich gut gebucht sind, wird es meistens schwierig», schreibt der Supervisor Meeting & Event Coordinator kürzlich auf unsere Anfrage.
122 Zimmer – «Vier-Sterne-Niveau sowie fünf exklusive Suiten im Schloss»
Wolfsberg verfügt über modern eingerichtete Kurs- und Gruppenräume sowie ein Auditorium für grössere Veranstaltungen. «Ob modern und minimalistisch oder historisch und aussergewöhnlich: Wolfsberg bietet 122 grosszügige und komfortable Zimmer auf Vier-Sterne-Niveau sowie fünf exklusive Suiten im historischen Schloss, welches im 16. Jahrhundert errichtet wurde», schreiben die Betreiber. Im technischen Bereich stehen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern moderne Mittel wie ein Videokonferenzstudio, Informationssysteme, Simultanübersetzungs- und Diskussionsanlagen zur Verfügung. Das Angebot wird abgerundet durch eine grosszügige Sportanlage mit Hallenbad, Turnhalle und Fitnessräumen, Fahrräder, Vita-Parcours und gut unterhaltene Spazierwege laden ein, die reizvolle Umgebung zu entdecken. In den Räumen des im Empirestil gehaltenen Parquinhauses werden unter anderem die Kursantinnen und Kursanten verpflegt, während die ehemaligen Stallungen als Clubräume dienen. 1576 erbaut, bildet das Schloss das Herzstück des historischen Teils des Wolfsberg-Anwesens: «Vorsichtig restaurierte und aussergewöhnliche Suiten mit hochwertigem Parkett, historischen Kachelöfen oder Régence-Stuckdecken vereinen Klassik mit modernem Interieur.
Kundenanlässe: «Exklusiv auf Einladung»
«Die jährlich rund 30 Veranstaltungen des Wolfsberg Dialogue Program stellen die Kundinnen und Kunden von UBS in den Mittelpunkt, schaffen exklusive Möglichkeiten für Begegnungen und verbinden Menschen: Die drei thematische Plattformen des Wolfsberg Dialogue Program – «Economics», «Politics» und «Passion» – sind dabei auf die globalen Megatrends unserer Zeit und strategische Themen von UBS ausgerichtet», schreibt die UBS auf der Webseite über die exklusiven Kundenanlässe 2025. Die Veranstaltungen würden Begegnungen mit renommierten Expertinnen und Experten, Dialoge am Puls der Zeit sowie gewinnbringenden Austausch mit bedeutenden Persönlichkeiten ermöglichen – exklusiv auf Einladung. Ab Mai im Programm: «Soirée Culinaire: Der Goldene Koch 2025» mit der Siegerin oder dem Sieger des bedeutendsten Schweizer Kochwettbewerbs (am 19. Mai 2025), «Wolfsberg’s Open Air: Andryy in Concert» – Schweizer Pop mit dem Best Talent der Swiss Music Awards 2023 (13. Juni) oder vom 7. bis 8. Juli Leadership Forum «Persistence & Resilience» mit Prof. Manuel Battegay (Krisenmanager), Reto Blum (Entscheidungsarchitekt), Dr. Barbara Flügge (Ökosystem-Navigatorin), Dominique & Michelle Gisin (Ski-Olympiasiegerinnen) sowie Entrepreneurs, Executives und Thought Leaders aus der Wirtschaft. Dazu der Hinweis: «Bitte wenden Sie sich an Ihren UBS Client Advisor für weitere Informationen.»
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«Das Prunkstück unserer Speisesäle ist der denkmalgeschützte Zeltsaal: Einem napoléonischem Feldherrenzelt nachempfunden, bietet der Zeltsaal ein einzigartiges Ambiente für insgesamt 48 Gäste mit spektakulärer Aussicht über den Bodensee.» (Wolfsberg-Werbung)
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«Wir sind doch mehr als nur Steak-Brater»
Das Schloss Wolfsberg hoch über dem Bodensee darf als das erste Fremdenhotel im Thurgau bezeichnet werden. Sein Stifter ist indirekt Kaiser Napoleon I. Eine grossartige Aussicht, eine gute, gesunde Luft und eisenhaltiges Mineralwasser wurden den Gästen wie Alexandre Dumas oder François René de Châteaubriand angeboten. Das Unternehmen geriet aber 1839 in Konkurs. Ein frischer Wind weht längst im Ausbildungszentrum Wolfsberg in Ermatingen, wo globale Integration gross geschrieben wird. «Wir glauben, dass wir eine internationale Küche anbieten müssen. Bewahren wir damit unsere Eigenständigkeit und kulinarische Tradition?» fragt sich nicht nur Fridolin Berchtold (1941-2025), der erste Küchenchef auf dem Wolfsberg, der 1974 von Direktor Ernst Mühlemann eingestellt wurde und während 30 Jahre dort am zischenden Herd stand. Ist das grundsätzlich richtig? «Unsere Ernährung ist auf Region, Land, Kontinent und Klima eingestellt. In unseren Breitengraden existieren vier Jahreszeiten. Wir haben von unseren Vorfahren vernünftige Zusammenstellung der Produkte übernommen. Es macht Sinn und ich finde, dass das hervorragend abgestimmt ist.» Muss der Speiseplan multikulturell aussehen? Nicht nur Jean-Jacques Rousseau, sondern vor allem die Nouvelle Cuisine hat uns wieder zurück zur Natur gebracht. «Saisonale Frischprodukte. Das alles bringt heute eine Aufwertung unseres Berufes», hoffte Fridolin Berchtold immer, der auch viele prominente Gäste wie Henry Kissinger, Elisabeth Kopp und Friedrich Dürrenmatt bekochte. Berchtold: «Wir sind doch mehr als nur Steak-Brater!» Die neue Betriebsleiterin Nina Wartmann schreibt auf der Webseite: «Unser Küchenteam nimmt jederzeit Rücksicht auf Ihre individuellen kulinarischen Bedürfnisse und bietet entsprechende Menüs für vegetarische und vegane Ernährung sowie Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien.»
Sanfter Ausbildungstourismus
Mit einem neuen Auftritt «Meeting Thurgau» zeigten die 13 Ausbildungs-, Begegnungs- und Kommunikationszentren in den 1990er-Jahren mit Synergien wie sie für die Zukunft gewappnet sind. 1987 wurde diese Arbeitsgemeinschaft der Thurgauer Begegnungszentren ins Leben gerufen. Zu ihr gehört bis heute auch der Wolfsberg. Weit über 100'000 Übernachtungen werden heute in diesem bedeutenden Marktsegment pro Jahr im Kanton Thurgau gesamthaft gezählt, bestätigt Thurgau Tourismus. Die sanfte Ausbildungstourismus hilft dem 1012 km² grossen Randkanton, dass Hotelbetriebe während des ganzen Jahres ausgelastet sind. Auslastung beim Ausbildungstourismus im Thurgau alleine? Rolf Müller, Geschäftsleiter Fachstelle für Beherbergung von Thurgau Tourismus. Schätzungsweise über 30 Prozent kamen die Thurgauer Hotel- und Kurbetriebe im Jahr 2024 auf 394'284 Logiernächte. Zwei Drittel aller Übernachtungen stammen von Gästen aus der Schweiz.
Aus Meeting Thurgau wurde Seminarland Thurgau und seit drei Jahren hat Thurgau Tourismus eine Kooperation mit St. Gallen-Bodensee Tourismus. Gemeinsam haben sie das Seminarland Ostschweiz als GmbH gegründet. Mitunterstützt wird die Kooperation von den Destinationen Toggenburg Tourismus, Schaffhauserland Tourismus und der Standortförderung Züri Oberland. Sie umfasst 40 Seminarhotels, davon elf im Thurgau. Bei der «übrigen Ostschweiz» ist auch das deutsche Tagungs- und Seminarzentrum Schloss Marbach am Untersee dabei. «Nebst den 40 Seminarhotels, wir führen seit über einem Jahr eine Warteliste und nehmen neue Angebote nur nach einem Rücktritt auf, vermarkten wir auch 15 Tagungsstandorte mit Angeboten ohne Übernachtung. Ausserdem führen wir diverse Ideen für Teamevents und Rahmenprogramm auf der Website www.seminarland.ch», sagt Bettina Güntensperger, Co-Leiterin, Seminarland Ostschweiz GmbH mit Sitz in Romanshorn. «Das Team vom Seminarland Ostschweiz hat im vergangenen Jahr 634 Anfragen bearbeitet und konnte dabei 324 Buchungen in den Hotels einbuchen – die Conversion Rate betrug 51,3 Prozent. Die Konvertierungsrate beschreibt das Verhältnis der Besucher der Buchungen in Relation zu den Absagen. Dabei wurde ein Umsatz von zwei Millionen Franken realisiert. Ein Rekordergebnis», freut sich Rolf Müller, Geschäftsleiter Fachstelle für Beherbergung von Thurgau Tourismus.
«Panem et circenses» – nötige Imagepflege
Das Image der Bankenbranche habe in letzter Zeit weiter gelitten, befindet auch die Neue Zürcher Zeitung NZZ vor kurzem. Sie macht die diversen Skandale der Banken und die gleichzeitig hohen Boni fürs Spitzenpersonal dafür verantwortlich und auf die teilweise heftig geführte Diskussion um den Lohn des UBS-CEO Sergio Ermotti. Anders als viele Spitzenvertreter der Grossbanken stehen kleinere Banken in unmittelbarem Kontakt mit ihren Kunden und bekommen ihre Sorgen und Kritik mit. Die subventionierten Veranstaltungen auf dem Wolfsberg waren über Jahrzehnte ein ideales Gefäss für gute Öffentlichkeitsarbeit der Grossbank («Brot und Spiele», «Panem et circenses»). Warum dies so redimensiert wurde, ist nicht bekannt und aktuell von der UBS-Medienstelle nicht beantwortet.
Ein wahres Who-is-Who
Blick zurück: Ernst Mühlemann gelang es, den Wolfsberg zu einem Begegnungszentrum von internationaler Ausstrahlung zu machen. Im Vordergrund stand für die Grossbank 1997 besonders – für die nötigen Imagepflege – die öffentlichen Wolfsberg-Abendveranstaltungen im kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Zusätzlich wurden vierteljährlich Kunstausstellungen mit wichtigen Vertretern der modernen Kunst durchgeführt. Mit diesen Anlässen leistete der Wolfsberg einen wesentlichen Beitrag an die regionale Kulturförderung. Ein wahres Who-is-Who: Zu den Wolfsberg-Gästen gehörten unter anderem Henry Kissinger, Marcel Reich-Ranicki, Henry Moore, Franz-Josef Strauss, Hans-Martin Schleyer, Mario Botta, Ex-Bundesrätin Elisabeth Kopp, Flavio Cotti, Lothar Späth, Friedrich Dürrenmatt, Altbundeskanzler Helmut Schmidt und andere. Nur ein Papst war noch nicht da. Gott, Geld und die Welt.
Gardi Hutter, Pic, Duo Fischbach, Pippo Polina…
Im grossen Auditorium fanden früher fast wöchentlich öffentliche Kulturveranstaltungen statt. Marilies Düsterhaus (75) aus Fläsch GR hat während 40 Jahren internationale Künstlerinnen und Künstler vermittelt. «Auf dem Wolfsberg traten fast alle Künstler, die ich damals betreute, auf – ausser Herman van Veen», bestätigt sie. Die Agentin mit ihrer Firma «Künstlerkontakt» hat manchen Star berühmt gemacht. Düsterhaus vertrat Gardi Hutter, Pic, Duo Fischbach, Microband, Pippo Polina, Mimikritschi, Illi & Olli, Living Art, Pe Werner, Max Rabe, Shy Guys, Linard Bardill, Vera Kaa, Flurin Caviezel und andere. Sie war auch am Arosa Humorfestival omnipräsent. In den letzten Jahren kamen immer weniger Anfragen vom Wolfsberg. Vor drei Jahren hat sie aufgehört, um das Leben von der anderen Seite zu geniessen.
Wer war Picasso?
«Als ich 1946 die Aufnahmeprüfung ins Lehrerseminar Kreuzlingen machte, wusste ich als Bauernsohn aus Illhart nicht einmal, wer Picasso war. Ich glaubte eigentlich, er hätte den Giro d‘Italia gewonnen», erzählte Ernst Mühlemann, erster Direktor des Ausbildungszentrums Wolfsberg bei einem Gespräch über den bedeutenden Thurgauer Maler Adolf Dietrich, den er gerne in Berlingen besuchte. Als Pädagoge und Manager förderte er später Kunst und Literatur. Beeindruckende Arbeiten konnte der deutsche Bildhauer Stephan Balkenhol (68) auf dem Wolfsberg ausstellen. Der Künstler ist bekannt für monumentale, bemalte Holzskulpturen. Balkenhols totemartige Plastiken, von Volkskunst geprägt und an mittelalterliche Schnitztechniken erinnernd, erweitern die traditionelle Rolle von Statuen, indem sie gewöhnliche Menschen abbilden und keine gefeierten historischen Personen oder Idole. Auch der Berner Bildhauer Urs-Peter Twellmann stellte 1999 auf dem Wolfsberg seine Holzinstallationen und Objekte aus. Er gab dem Naturmaterial Holz völlig neue Wesensformen. Eine Fichtenschlange aus 750 Teilen begeisterte nicht nur an der Grün 99 im deutschen Weil am Rhein. Zahlreiche Ausstellungen wurden veranstaltet und fanden ein Publikum. Toni Schönenberger sagte in einem Interview mit dem Magazin «Persönlich» 2004: «Die Wirtschaft versteht nicht, was die Künstler machen, und den Künstlern mangelt es an Verständnis für die Wirtschaft.»
Unterschätzter Literatur- und Kunstkanton
Seine Weiler und Dörfer heissen Buch und Sommer, führen Frauen und Wein, Bischof und Sieger in ihren Namen. Das Land liegt an einem der schönsten und grössten Seen Europas. Im Thurgau ist nicht nur die Farbe des Kantonswappens grün. Hier ist auch die Landschaft grün. Der Thurgau ist ein lieblicher und unterschätzter Schweizer Literatur- und Kunstkanton. Vielleicht hat der Randkanton ohne Zentrum nicht die namhaftesten SchriftstellerInnen und KünstlerInnen hervorgebracht, aber doch einige von ihnen beherbergt oder Auftritte ermöglicht – auch auf dem Wolfsberg. Wer sich im Thurgau auf den Weg macht, wird immer irgendwo ankommen, am Rand oder in der Mitte.
Martin Luther, deutscher Mönch und Theologieprofessor wusste: «Lernst du wohl, wirst du gebratener Hühner voll, lernst du übel, musst du mit der Sau zum Kübel.» Luther gilt als Begründer der evangelischen Kirche und als Erneuerer der deutschen Sprache und des Bildungswesens.
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Sozusagen eine Myse en Abysse ... oder ein Gustostückli, wie mans nimmt.
Von Ermatingen nach New York – Wie die Grossbank UBS ein besonderes Kunstwerk für 4,5 Millionen Dollar verkaufte bzw. wie eine berühmte Moore-Plastik auf dem Wolfsberg in New York «verhökert» wurde ... am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles.
Der weltberühmte englische Bildhauer Henry Moore hatte ein besonderes Verhältnis zum Ausbildungszentrum Wolfsberg in Ermatingen TG. Seit 1974 befand sich die grosse Bronze-Skulptur «Large Four Piece Reclining Figure» (1972-1973) dort. 2006 hatte es die Bank UBS nach New York gebracht und verkauft. Uwe Moor (78), Mittelschullehrer, ehemaliger Konviktführer des Lehrerseminars in Kreuzlingen und Ex-Präsident des Thurgauer Heimatschutzes, sagt noch heute: «Mich hat dieses Kunstwerk immer sehr angesprochen, da es absolut grossartig positioniert war. Moors Werk war dazu jederzeit öffentlich zugänglich und wohl das wertvollste Kunstwerk in unserer Gegend.»
Von Urs Oskar Keller, Text und Fotos
Der weltberühmte englische Bildhauer Henry Moore (1898-1986) aus Yorkshire hatte ein besonderes Verhältnis zum Ausbildungszentrum Wolfsberg. Seit 1974 befand sich die grosse Bronze-Skulptur «Large Four Piece Reclining Figure» (1972-1973) dort. Er hatte die vierteilige Liegende persönlich vor dem Ausbildungs- und Konferenzzentrums platziert – passend auf einer Geländekuppe oberhalb von Ermatingen, mit prachtvollem Blick auf den Untersee und die Halbinsel Reichenau – Weltkultur vis-à-vis. 2005 hatte die Bank, die Eigentümerin des Zentrums, das Werk entfernt. Schlimmer noch: Die «Liegende» wurde in einem New Yorker Auktionshaus versteigert und kehrt wohl nie mehr an den Untersee zurück. Wo sich die grosse Bronzefigur heute befindet, ist nicht bekannt. «Ein Kulturskandal», wetterte damals Uwe Moor, der Präsident des Thurgauer Heimatschutzes. «Ein kulturpolitischer Schock für den Thurgau», empörte sich Ernst Mühlemann, der Ex-Wolfsberg-Direktor und frühere FDP-Nationalrat, berichtete die Neue Zürcher Zeitung NZZ Ende 2005. Warum verkaufte die UBS die Henri Moore-Plastik? Toni Schönenberger am Telefon: «Tempi passati. Fragen Sie Herr Wäspe, den CEO auf dem Wolfsberg.» Direktor Björn Wäspe leitete unsere Anfrage vor Ostern weiter an die UBS-Pressestelle in Zürich. Eine Sprecherin mailte nach einer ersten Zusicherung zur Beantwortung: «Wir werden vorgängig zum Medienanlass [10. Mai] keine schriftlichen Fragen beantworten.» 1994 bis 2014 war Schönenberger CEO der Kaderschmiede und zudem Präsident der UBS-Kunstkommission. Es war die einzige Henry-Moore-Skulptur im Kanton Thurgau.
Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles
«Als ich 1946 die Aufnahmeprüfung ins Lehrerseminar Kreuzlingen machte, wusste ich als Bauernsohn aus Illhart nicht einmal, wer Picasso war. Ich glaubte eigentlich, er hätte den Giro d‘Italia gewonnen», erzählte Ernst Mühlemann, erster Direktor des Ausbildungszentrums Wolfsberg bei einem Gespräch über den bedeutenden Thurgauer Maler Adolf Dietrich, den er gerne in Berlingen besuchte. Als Pädagoge und Manager förderte er später Kunst und Literatur. Ernst Mühlemann verlor damit mit der Liegenden eine Nachbarin und Freundin. Er wohnte in Ermatingen und hatte sie seinerzeit hierher gelockt. Zwanzig Jahre lang, bis 1992, war Ex-Brigadier Mühlemann Leiter des Zentrums auf dem Wolfsberg, eine Art «West Point» im Osten, die wie berühmte US-Militärakademie. «Während eines Studienaufenthalts in England lernte er Henry Moore kennen, und er konnte diesen überzeugen, eine Skulptur für den Wolfsberg zu schaffen, wo gerade eine Erweiterung durch den Zürcher Architekten Rudolf Guyer anstand. Henry Moore besuchte den Ort, suchte den Platz aus, den schönsten, den er je für eine Skulptur habe finden können, und überliess die Liegende der damaligen SBG zum günstigen Preis von 250 000 Franken», schrieb die NZZ weiter. Holzach-Biograph Claude Baumann: «Legendär ist, wie Holzach mit dem englischen Künstler das Gelände des Wolfsbergs fast schon andächtig abschritt, um den geeigneten Platz für das Werk zu finden.» 2005 beschloss die Bankführung aus strategischen – Kritiker vermuteten aus pekuniären – Überlegungen, Henry Moores Kunstwerk zu verkaufen. Claude Baumann: «Offiziell hatte die UBS zuvor entschieden, nur noch zeitgenössische Kunst zu sammeln und alle übrigen Werke zu veräussern. Der Verkauf der Moore-Skulptur löste eine riesige öffentliche Empörung aus und galt als Chiffre für den angeblich bloss noch gewinnmaximierenden Kurs der UBS.» Die Plastik von 4 auf 5 Metern, eine Variation zahlreicher ähnlicher Werke, gefiel bei einem Besuch auch dem damaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt, wie Ernst Mühlemann zu erzählen weiss», schrieb die NZZ weiter. Schmidt bestellte sich bei Moore ebenfalls ein Werk, Large Two Forms. 1979 kam es vor das Bundeskanzleramt in Bonn zu stehen. «Die Bank ihrerseits hat gute Rendite zu erwarten. Der Wert der Plastik dürfte derzeit bei gegen sieben Millionen Franken liegen; kommenden Mai soll sie bei Christie's in New York versteigert werden», berichtete die NZZ weiter. Am 2. Mai 2006 wurde sie für 4,5 Million US-Dollar (3,564 Millionen Euro, Zuschlagspreis) dort verkauft, wie aus Artprice-Kunstmarktinformationen zu erfahren ist (artprice.com). Am Gelde hängt, zum Gelde drängt doch alles.
«Ich hätte von den Verantwortlichen mehr Fingerspitzengefühl für unsere Gegend erwartet»
Uwe Moor (78), Mittelschullehrer, ehemaliger Konviktführer und Verwalter des Lehrerseminars in Kreuzlingen und bis 2024 Präsident des Th-urgauer Heimatschutzes, sagt heute: «Mich hat dieses Kunstwerk immer sehr angesprochen, da es absolut grossartig positioniert war. Moors Werk war dazu jederzeit öffentlich zugänglich und wohl das wertvollste Kunstwerk in unserer Gegend. Deshalb habe ich mich als Präsident des Heimatschutzes 2005 auch an den damaligen Chef der UBS gewandt, um diesem mitzuteilen, dass mit dem Verhökern von Moores Werk an einer Auktion in New York für uns ein Stück Heimat verloren geht. CEO Toni Schönenberger, übrigens ein Studienkollegen von mir, hat sich damals ziemlich aufgeregt, dass ich mich in dieser Angelegenheit direkt an den UBS-Chef in Zürich gewandt habe. Deshalb kann ich auch verstehen, dass er sich nicht mehr gerne daran zurückerinnert. Er versuchte mich dahin zu beruhigen, dass die Stiftung mit dem erhaltenen Erlös ein anderes wertvolles Kunstwerk erwerben könne, das dann auf dem Wolfsberg aufgestellt werden könne. Dafür habe ich mich aber nicht weiter interessiert und es ist mir bis jetzt auch noch nicht besonders aufgefallen. Jedenfalls finde ich es bis heute äusserst merkwürdig, dass dieses Kunstwerk auf einer Auktion verhökert wurde, um einige Mittel zu erhalten für neue Erwerbungen. Ich hätte von den Verantwortlichen in der Stiftung mehr Fingerspitzengefühl für unsere Gegend erwartet.» Henry Moore hatte immer ein besonderes Verhältnis zum Wolfsberg. Er wäre wohl über die Aktion der UBS «not amused» gewesen.