Kein Europäisches Fachmagazin, keine Kochmagazine, auch nicht Publikumsmedien haben darüber geschrieben. Niemand. Hierzulande ist Nixtamalisation vollständig unbekannt. Deshalb hier eine Erklärung und Anleitung sowie eine Prognose: Nixtamalisierter Mais wird in den kommenden Jahren «entdeckt» und als Superfood einen weiteren Hipe auslösen.

 

S H O R T  S T O R Y

 

Mais wird in Europa geerntet, getrocknet, gemahlen und anschliessend verarbeitet.

Roher Mais hat jedoch einige entscheidend schlechte Beschaffenheiten:

  • Der Kleber ist verschlüsselt und zieht schlechte Backeigenschaften nach sich.
  • Mais hat eine schlechte biologische Wertigkeit: Niacin (vitamin B3) sowie Proteine sind durch Phytinsäure gebunden und können vom menschlichen Körper nicht verwendet werden.

Das wussten die Aztheken, die den Mais während 5000 Jahren bis zur heutigen Form züchteten. Sie unterzogen den Mais vor der weiteren Verwendung einer Prozedur die sich heute Nixtamalisation (Nahuatl: Nextli = Asche / Tamalli = ungeformter Maisteig) nennt.

So wird Mais in Amerika vorwiegend wie folgt behandelt. Er wird geerntet, getrocknet, dann wird er in Kalkwasser (Andere Bezeichnungen für die leicht alkalische Lösung: Sinterwasser, wässrige Calciumhydroxid-Lösung) gekocht und  stehen gelassen, damit er aufquellen kann. Die Alkalische Lösung löst die physikalische Struktur auf, baut die Phytinsäure ab und schlüsselt die Inhaltsstoffe des Maises auf. (Zubereitung /Rezept siehe nachfolgend unter Long Story)

  • Der Calciumgehalt nimmt zu
  • Gute Klebereigenschaften entstehen
  • Der Mais hat jetzt eine sehr hohe Biologische Wertigkeit. Niacin (Vitamin B3) und Proteine sind vom menschlichen Körper vollständig verwendbar.

Die Maiskörner werden so...

  1. ...direkt für die mexikanische Nationalsuppe «Pozole» verwendet
  2. ...direkt noch nass gemahlen, zu einem Teig geknetet, als Tortillas geformt und gebacken
  3. ...getrocknet, gemahlen. Das Mehl kann mit Wasser wieder zu einem Teig für Tortillas geknetet werden.

 

L O N G  S T O R Y

 

Die ausführliche Erklärung beginnt bei Kolumbus und einer Erkrankung namens Pellagra. Etwas vom ersten, was die Spanier aus der Neuen Welt mit nach Hause brachten war Mais. Schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde in Spanien grossflächig Mais angebaut.

Die offensichtlichen Verlockungen der Pflanze verfehlten bei den Invasoren ihre Wirkung nicht. Mais ist robust, einfach anzubauen und der Ertrag extrem hoch. Vielerorts ersetzte und verdrängte er daher schnell die ursprünglich einheimischen Getreidesorten.

Kurze Zeit darauf trat genau in diesen Gegenden, in denen Mais die neue Hauptnahrungsquelle war, eine Krankheit in Erscheinung, die sich in extremen Hautauschlägen äusserte. Sie wurde als Pellagra bezeichnet, abgeleitet aus dem Spanischen piel áspera, rauhe Haut.

Es handelt sich um eine Mangelernährung; die Folgen der biologischen Minderwertigkeit des Maises. Den Menschen von damals fehlte das Niacin (Vitamin B3) das, durch die Phytinsäure gebunden, für den Menschen unverwertbar war. Das gilt auch für die Proteine. Zur Pallegra hinzu kamen daher auch noch Wachstums- und Körperaufbaustörungen.

Lange Zeit wurde die Verkettung zwischen Ernährung mit Mais sowie den Erkrankungen und Mangelerscheinungen erst gar nicht erkannt. Als dann der kausale Zusammenhang doch ersichtlich wurde, stand vorderhand die Vermutung im Zentrum, die Erkrankungen basieren auf Schimmel oder Pflanzlichen Giften. Dass es sich jedoch um eine simple Fehlernährung handelte, wurde erst Anfangs 20. Jahrhunderts ent- und aufgedeckt.

Das hatte auch mit dem Hochmut der kolonialistischen «Herrenrasse» zu tun. Es kam erst gar nicht infrage, einen «Indianer» also einen nativen Amerikaner zu fragen, wie Mais zubereitet werden muss. Um es kurz und plakativ zu machen: Man fragte nicht, man raubte das Zeug und fertig.

Mais stammt ursprünglich aus dem heutigen Mexico. Je nach Quelle respektive Forschergruppe und Datierung der frühesten Funde wurde Mais für die Ernährung bereits 5000 bis 6000 v. Christus angebaut. Allerdings massen die Maiskolben damals 2 bis 5 cm in der Länge. Die mittelamerikanischen Urvölker kultivierten und züchteten den Mais also gut 5000 Jahre lang zu dem was er heute ist.

So wussten sie auch, dass das Korn zuerst aufgeschlüsselt werden muss, damit der menschliche Körber die Inhaltsstoffe verwerten kann. Sie unterzogen dazu den Mais einem Verfahren, das als Nixtamalisation bezeichnet wird. Das Wort ist abgeleitet aus Nahuatl, der Sprache der Aztheken. Nextli bedeutet Asche und Tamalli ungeformter Maisteig.

Asche bzw. gelöschter Kalk (Calciumhyroxyd) wird zuerst in Wasser gelöst und aufgekocht. Gefiltert wird hierzulande diese Flüssigkeit als Kalkwasser, als Sinterwasser oder als wässrige Calciumhydroxid-Lösung bezeichnet. Anschliessend werden in dieser Alkalischen Lösung die Maiskörner aufgekocht und aufgequollen. Dabei geschieht folgendes: Das Korn verliert seine physikalische Struktur, die Lauge (umgangssprachliche Bezeichnung für Alkalische Lösung) kann eindringen und zieht physische und chemische Veränderungen nach sich. Der Calciumgehalt nimmt zu und Phytinsäure wird abgebaut.

Phytinsäure dient Pflanzen als Speicher für die Stoffe, die der Keimling zum Wachsen braucht, also Phosphat, Kalium, Magnesium, Calcium, Mangan, Eisen etc.. Der Springende Punkt ist, dass die Phytinsäure diese Stoffe unlöslich bindet, so dass sie im Menschlichen Verdauungstrakt nicht herausgelöst werden können. Das gilt genauso für das Niacin, auch bekannt unter der Bezeichnung Vitamin B3 bzw. Nicotinsäure sowie für die Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine.

Pallegra, um darauf zurück zu kommen, ist eine Mangelerkrankung, basierend auf Fehlernährung: Menschen die sich ausschliesslich von Mais ernähren, der nicht nixtamalisiert wurde, nehmen kein Niacin bzw. Vitamin B3 sowie zu wenig Proteine auf.

Zur verminderten Aufnahme von Proteinen kommt noch hinzu, dass Vitamin B3 ein funktioneller Bestandteil des Stoffwechsels ist, in dem Proteine, Fette und Kohlenhydrate umgesetzt werden.

Kurz: Ohne Niacin funktioniert der Stoffwechseln nicht mehr. Die alten Spanier hätten bei den Aztheken also besser nachgefragt.

Um zum Kern der Sache zurück zu kommen: Die funktionellen Veränderungen, die ein Maiskorn nach der Nixtamalisation nach sich zieht, sind: Eine Verkleisterung der Stärke, die teilweise Denaturierung (Gerinnung) des Eiweisses, der Verlust von organischen Verbindungen der Fasern, Veränderung von Geruch, Geschmack und Farbe. In der Praxis heisst das, der Maisteig klebt jetzt und kann zu Torillas verarbeitet werden und die Menschliche Verdauung kann die Inhaltsstoffe darunter vor allem Calcium, Proteine, Vitamin B3 und Eisen sowie die Proteine herauslösen und verwerten.

 

Nixtamalisation

 

Zeitaufwendig, jedoch einfach nachzuvollziehen:

  1. Asche (2 Tassen auf 3 Lt Wasser, vorzugsweise von einem sauberen, reinen Buchenholzfeuer also ohne Verwendung von Anzündmitteln, Zeitungen und dergleichen) oder 1 Tasse gelöschter Kalk (Calciumhyroxyd) aus der Apotheke.
  2. Die Asche mit dem Wasser aufkochen, 10 Minuten sieden und zugedeckt auskühlen lassen. Das klare Kalkwasser (Sinterwasser oder wässrige Calciumhydroxid-Lösung) in einen sauberen Topf abgiessen, so dass nichts von der Asche und den Holzkohleresten mitkommt.
  3. Die die Körner vom Maiskolben nehmen und in klarem Wasser waschen. Die Körner sinken ab, die Verunreinigungen schwimmen obenauf und können abgegossen werden.
  4. Die sauberen und abgetropften Maiskörner in das Kalkwasser geben und aufkochen. 3 bis 4 Stunden zugedeckt am Siedepunkt halten, dann die Wärmequelle ausschalten und den Mais zugedeckt 12 bis 24 Stunden auskühlen und quellen lassen.
  5. Abgiessen und mit fliessend kaltem Wasser waschen, abspülen und abtropfen.

 

Weitere Verarbeitung nach der Nixtamalisation:

  1. Die aufgequollenen Maiskörner werden mit kaltem Wasser gewaschen, abgespült, abgetropft, gemahlen (entweder von Hand mit einer (nahezu prähistorischen) Steinmühle oder heute mit einer speziellen Maschine). Zur Not kann der Mais auch durch die feinste Scheibe des Fleischwolfes gedreht werden). Dieser Teig (in Mexiko wird er Masa und in Nordamerika als Maiz douhg bezeichnet) kann direkt zu Tortillas weiterverarbeitet werden. Der Maisteig wird aber auch bereichert mit Käse oder Fleisch, in Maisblätter gepackt, verschnürt, gedämpft – diese Taschen werden Tamales genannt.
  2. Die aufgequollenen Maiskörner (werden in Mexiko Cacahuacintle und in Nordamerika Hominy genannt) werden mit kaltem Wasser gewaschen, abgespült, abgetropft und direkt so gegessen, Beispielsweise als Salat oder in Butter sautiert. vor allem kommen sie in die Mexikanische Nationalsuppe Pozole, deren wichtigster Bestandteil sie sind.
  3. Die aufgequollenen Maiskörner werden mit kaltem Wasser gewaschen, abgespült, abgetropft, getrocknet und zu Mehl gemahlen. Dieses wird als Masa Harina bezeichnet. Unter zugabe von Wasser lässt sich daraus wieder ein Teig kneten, der für Tortillas und Tamales verwendet wird.