Es war ein eisiger Wind, der Bernd Ackermann an der Zolliker Grenze zu Zürich entgegenschlug. Da stand er, nachdem er seine Zelte im Oberengadin abgebrochen hatte, in der Küche der Epi-Stiftung. Kochte stundenlang Obst ein. Bereitete alle Speisen von Grund auf selber zu. Verarbeitete, was er bei lokalen Bauern gekauft hatte. Und erlebte dann, dass er trotzdem nicht alles recht machte. Er, ein mit 15 Gault-Millau-Punkten dekorierter Koch der immerhin 14 ½ Jahre zuvor «die Schönen und Reichen», wie er seine frühere Kundschaft nennt, im St. Moritzer Fünfsternehotel Suvretta-House bekochte.

«Kann das sein?» fragte er sich, als sein Essen nun beanstandet wurde. Doch, dem war tatsächlich so. doch anstatt den Kochlöffen ins Korn zu werden, fing er an, der Sache auf den Grund zu gehen.

Er hatte die meisten Fertigprodukte aus der Küche verbannt und vieles geändert. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht bzw. er kalkulierte die Vorlieben seiner neuen Klientel nicht mit ein. So befasste er sich erst einmal grundlegend mit dem Geschmacksempfinden seiner neuen Gäste. Dieses wird beispielsweise oft von Medikamenten beeinflusst. Auf der Basis seiner neuen Erkenntnisse experimentierte er so lange am Geschmack seiner Spitalküche herum, bis die Mahlzeiten und Gerichte zu den entsprechenden Geschmackempfindungen der Patienten passten und sich Zufriedenheit breit machte.

Zwei Jahre später, 2017, entsprang aus eben aus jener Frage «Wie kann das sein?» ein Buch. Zuvor hat er noch die Zusatzausbildung zum Diätkoch absolviert. Sie sollte ihm das Know-how der Spitalgastronomie verleihen. Tatsächlich gab es oft Spezialkost, und besonders oft solche in pürierter Form, zuzubereiten. Dabei fiel ihm zu Letzterer auf: Ein Standardkochbuch fehlte. Das, fand er, müsse man ändern. 

Zuvor absolvierter er noch die Zusatzausbildung zum Diätkoch, mit der er sich das Know-how der Spitalgastronomie einverleibte. Dabei fiel ihm eines auf. Über alle Kostformen, auch denen in pürierter Form, hinweg, fehlte ein Standardkochbuch für die Diätküche.

Das Thema sei kein marginales sagt Bern Ackermann. Gut 10 Prozent der Erwachsenen hierzulande, das liess er sich vom Neurologen des Hauses erklären, leiden an Schluck- oder Kaustörungen. Tendenz: steigend. 

Die Ursachen dafür sind die unterschiedlichsten. Schlechtsitzende Zahnprothesen, Hirnschläge, Behandlungen von Krebs, Parkinsonerkrankungen um nur einige zu nennen. Begegne man diesen Beschwerden nicht mit adäquater Kost, essen die Betroffenen immer weniger – aus Unlust, Schwäche oder Angst vor Verschlucken und Ersticken. Hier beginnt wahrlich ein Teufelskreis. Wegen der geringeren Nährstoffzufuhr baut die Schluckmuskulatur sukzessive ab – und das Schlucken wird noch schwieriger. 

Ackermann begann, dem Thema nachzugehen: Wenn es kein Standardwerk gab, wollte er es eben selber schreiben. Dies nicht nur für seine Berufskollegen sondern auch für Laien. Dafür holte er sich die Schweizerische Epilepsie-Stiftung als Ko-Herausgeberin und als Experten für fachlichen Rat ins Boot – Neurologen, Ernährungsberater, Logopädinnen. Sein Ziel war, neben Hintergrundwissen Rezepte vorzustellen, die den ernährungsspezifischen Vorgaben standhielten, und kulinarisch etwas boten.

Dafür orientierte er sich an den Ideen, die er in den Krankenzimmern von seinen Gästen hörte: Spaghetti, Wähe oder Braten. Er und sein Team scheuten keine Aufwände, um an Gerichten und Rezepten herumzutüfteln, bis die pürierte Kost allen Ansprüchen genügte. 

Der in der Praxis tatsächlich immer noch angewendete Ansatz «ein normales Gericht»  durch den Mixer «zu jagen», muss definitiv vom Tisch. Bei solcherart hergestellten Breien verleidet den Patienten das Essen erst recht, sagt Ackermann. 

Ein wichtiger Grundsatz ist, Teller müssen im mindesten immer so gestaltet werden – dass erst auf den zweiten Blick die Gerichte als püriert wahrgenommen werden. Das geht freilich nicht ohne ein Arsenal an Spezialutensilien – vor allem nicht ohne die Einfüllförmchen beispielsweise in Gestalt von Gemüse-, Fleisch-, Fisch. Zudem muss für geschwächte Patienten das Essen oft mit Eiweiss angereichert oder mit Instantpulver eingedickt werden. Bei dieser Kostform gilt es also einiges zu beachten. Das zeigt das Buch gut verständlich auf. 

Ackermann hat mit der Pürierkost tatsächlich seine Passion gefunden. Missen möchte er die Zeit der gehobenen Küchen nicht. Sie haben ihm ein internationales Netzwerk eingetragen, auf das er heute noch bauen könne, und ihn überhaupt stark geprägt. Doch er stellt sich heute die Frage «wie kann das Sein? hinsichtlich der Sterneküche anderweitig. Wie kann es sein, dass nur das teuerste gut genug ist, wenn nur Hummer und Kaviar und nur die Besten Stücke von Fleisch, Fisch und Geflügel den Ansprüchen genügen? Sechsjahre in der Küche der Epi-Klinik sind eben auch prägend: «Ich bin hier ein anderer Mensch geworden, bin angekommen», sagt er zu seiner täglichen Erfahrung mit Leid, Krankheit und vielen schönen Momenten.

Sein Buch Make Food soft, das am 21. Juli 2021 erschien, ist vermutlich noch nicht das Ende der Fahnenstange. Er denkt bereits an Kochkurse, vertiefende Bücher und die Zusammenarbeit mit dem Handel. 

 

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Zum Buch
Make Food softKoch- und Fachbuch für Schluckstörungen/Dysphagie.
Matthaes Verlag, 21. Juli 2021
240 Seiten, CHF 39.90
ISBN 978-3-98541-048-4
Im Buchhandel oder im Shop der Epi-Stiftung erhältlich. www.swissepi-shop.ch
Die Rezepte im Buch sind mit QR-Codes versehen, die zu weiterführenden Angaben, Make-of-Filmen oder Nährstofftabellen führen.

Bei Schluckstörungen kann jede Mahlzeit ein Hindernis darstellen. Für Betroffene, Angehörige, aber auch für diätetisch geschulte Köche stellt dieses Buch verschiedene Möglichkeiten vor, wie eine leckere und gesunde Ernährung trotz allem möglich ist. Bernd Ackermann und ein interdisziplinarisches Expertenteam haben ihr Fachwissen zusammengetragen und stellen zahlreiche Gerichte vor, die frisch und bekömmlich sind, gut schmecken und dabei vor allem auch ansprechend aussehen. Ein Meilenstein für die Ernährung mit pürierter Kost.

Das Buch bietet über 80 Gerichte für Menschen mit Schluckstörungen: vom Frühstück über Vorspeisen zu Hauptgerichten aller Art, aber auch für Desserts, Kuchen und sogar Torten, Getränke und spezielle Gerichte für Kinder. Eine umfassende Rezeptsammlung, die für jeden Patienten und für jeden Anlass das geeignete Gericht beinhaltet. Zu jedem Gericht gibt es weiterführende Infos, z. B. bezüglich Allergenen und IDDSI-Stufe aber auch eine Nährstoffanalyse zum Download.

 

Zum Autor
Bernd Ackermann ist eidgenössisch diplomierter Küchenchef und Diätkoch sowie Autor und Co-Autor verschiedener Kochbücher. Seit 2015 leitet er die Küche der Schweizerischen Epilepsie-Stiftung in Zürich und setzt sich für Kochkunst im Gesundheits- und Sozialwesen ein. Er steht für durchdachte Menüs mit regionalen Produkten und hohem Qualitätsanspruch. Vor seiner Zeit bei der EPI hat er während 14 Jahren sein Talent im Suvretta House unter Beweis gestellt. Seine marktfrische moderne französische Küche mit internationaler Note brachte dem St. Moritzer Restaurant 15 Gault-Millau-Punkte.