Wilhelms Salat ist ein Muss, weil er eine erlesene Vielfalt an bitteren und sanften, zarten sowie pfeffrigen Blättern und Kräutern vereint; alleine oder mit Kalbsmilken oder Scampi – für mich ein Einstieg von anregender Köstlichkeit», sagt ein Stammgast aus Friedrichshafen. Keiner seiner besonders anspruchsvollen Gäste muss hier über eine saure Salatsauce mäkeln. Sie ist perfekt abgeschmeckt. «Einfach unwiderstehlich», schwärmt seine Begleiterin, die gerne nach Altnau pilgert. Die frischgebackenen Brötchen tunkt sie am liebsten in die Salatsauce oder löffelt den Rest – als sei es ein Süppchen – aus dem Teller. Knigge hin oder her.

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Die Kräuter kommen aus dem Dorf

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Die Salatsauce, die Wilhelm im Porzellankännchen serviert, ist vermutlich eine der aufwendigsten, die ein Koch je erfunden hat. Die vielen Zutaten, Gewürze und Kräuter müssen sich zwei Tage lang zu einem harmonischen Ganzen zusammenfinden (siehe Kasten). Die Kräuter kommen aus dem Dorf, wo vieles grünt und blüht. Die Altnauer Gärtnerin und «Kräuterfee» Luzia Braun kultiviert für Wilhelm in ihrem 800 Quadratmeter grossen Garten über 80 Sorten Küchenkräuter, davon 20 verschiedene Basiliken.

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Der «Couturier der kulinarischen Gelüste», wie er sich auch nennt, zelebriert keine grossen Menüs mehr, sondern man isst à la carte.

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Er ist ein Renner und Longseller: Jeder Gast rühmt seine Salate, aus Blättern und Gewürzkräutern zu einem bilderbuchreifen Bouquet mit knackigen Kopfsalatherzen, Eichblatt, Sauerampfer, Fenchelkraut, Ananassalbei, Basilikum, Zitronenmelisse, junges Maggikraut, Estragon, Eiskraut, Rucola, Bärlauch, Petersilie arrangiert (je nach Saison). Fingerfertigkeit gepaart mit einem untrüglichen Sinn für Farbe, Form und geschmackliche Harmonie ist Urs Wilhelm eigen und bildet eine besondere kulinarische Symbiose. Auf dem bunten Salat thront auch mal ein halber Maine-Hummer frisch abgekocht und fleischig-zart. Sein Kräutersalat à discrétion, den «80 Prozent der Gäste» bestellen, kostet 24.50 Franken.

Die kleinen und knackigen, in Rosetten stehenden Gartensalate stammen auch aus der Region. Urs Wilhelm: «Der einfache Kopfsalat ist für mich die Mutter vieler Salate und zählt deshalb – mit Eichblatt- und Eisbergsalat – auch zu meinen Favoriten.» Davon verwendet er nur die Herzen, den Rest bekommen die glückliche Hühner seiner «Kräuterfee» Luzia Braun.

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Markenzeichen Seidenfoulard: Ein Bär von einem Mann und Seele von einem Koch

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Urs Wilhelm – ein Bär von einem Mann und Seele von einem Koch – verwöhnt seine Gäste seit 1990 im hübschen Jugendstilhaus im Bodensee-Dorf Altnau in einer Mischung aus schweizerisch-französischen Küche. Der heute 74-Jährige wurde mit der höchsten Ehre der Gastronomie gekrönt, einem Michelin-Stern – 17 Jahre in Folge. Anzusehen ist ihm das nicht. Der Thurgauer, der in Steckborn am Untersee aufwuchs, gleicht mit seinen langen Haaren und Bart eher einem Kunstmaler. Das Tragen seidener Foulards und das Sammeln von Bildern und Antiquitäten gehören heute ebenso zu seinem Markenzeichen wie seine bunten Salate.

Die Sauce eines Hobbykoches? So ist es. Auch in allen anderen Bereichen ist Wilhelm das Gegenteil eines eilfertigen Profis, der Teller um Teller schickt. Er nimmt sich Zeit, jedes Gemüse für sich und seinen Charakter entsprechend zuzubereiten Die Saucen hätschelt und pflegt er wie kleine Kinder.

«Die Bitterkeit schlechter Qualität hält noch lange an, wenn die Süsse des niedrigen Preises längst vergessen ist», sagt Urs Wilhelm.

Für einen Besuch empfiehlt sich eine vorzeitige Reservation. Wilhelms Freunde und Geniesser aus Deutschland und der Schweiz – die weite Wege auf sich nehmen –  sind nämlich auch schon unterwegs in den Thurgau und das «Schäfli» an der Kaffeegasse öffnet nur noch von Freitag bis Sonntag! Dabei sind die Preise massvoll. Der «Couturier der kulinarischen Gelüste», wie er sich auch nennt, zelebriert keine grossen Menüs mehr, sondern man isst à la carte.