In zwei alten Fahrstühlen geht es hoch in den achten Stock des Ahlström-Castrén-Bürogebäude des Architekten Valter Jung auf der Flaniermeile Esplanade mitten in Helsinki. Hier befindet sich das elegante, 1937 eröffnete Art-déco-Restaurant Savoy.
Es gibt zwei Arten von bekannten Köchen: die Handwerker, die nicht gern in der Öffentlichkeit stehen, und jene, die sehr gut kochen können und zusätzlich ein «Scheinwerfer-Gen» haben. Zu Letzteren gehört die finnische Spitzenköchin Helena Puolakka, die 25 Jahre in Grossbritannien und Frankreich arbeitete und seit Mai die 17-köpfige Küchenbrigade leitet.
_______________
Sie verbrachte lange Sommer auf den finnischen Ålandinseln, wo sie «fischte und vom Land lebte» und träumte davon, in jungen Jahren Koch zu werden…
_______________
Oft stehen Männer in Restaurants hinter dem Herd. Doch die Finnin hat sich in der Männerdomäne Kochen durchgesetzt – weil sie kulinarisch etwas gewagt hat. Helena Puolakka, 1970 in Turku an der Südwestküste Finnlands geboren und teilweise in Helsinki aufgewachsen, hat heuer das legendäre «Savoy» Restaurant übernommen, das von den Stararchitekten Alvar und Aino Aalto im finnischen Helsinki entworfen wurde. Sie verbrachte lange Sommer auf den finnischen Ålandinseln, wo sie «fischte und vom Land lebte» und träumte davon, in jungen Jahren Koch zu werden. In ihrer Jugend war sie sowohl von ihrer Mutter als auch von ihrer Grossmutter inspiriert und von ihrer Zeit bei Kochstars Koffmann, Gagnaire und Ramsay und ihrer Fähigkeit und Leidenschaft für saisonale Produkte. Vor allem die traditionellen Fisch- und Fleisch-Gerichte sind ihr in Erinnerung geblieben. Helenas Ausbildung hatte direkten Einfluss auf ihren Kochstil.
Von Ramsay bis Mosimann
Während ihrer 25-jährigen kulinarischen Erfahrung im Ausland hat Helena mit einigen der renommiertesten Köche der Welt zusammengearbeitet. Ihre berufliche Laufbahn begann im Michelin-Restaurant «Aubergine» von Gordon Ramsay in London, gefolgt von drei mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurants, Pierre Gagnaire, im Hotel Balzac in Paris, wo sie traditionelle französische Kochkünste erlernte, die bis heute in ihrer Küche zum Ausdruck kommen. Vor allem arbeitete sie weiterhin in mit Michelin-Sternen ausgezeichneten Küchen, darunter fünf Jahre bei Pierre Koffmann im Restaurant «La Tante Claire» in London. 2002 arbeitete Puolakka einige Monate im Belfy-Club und im Catering beim Schweizer Starkoch Anton Mosimann in London. «Ich lernte viel und war begeistert wie er riesige Events generalstabsmässig vorbereitete und mit grossem Erfolg leitete», erzählt Puolakka. Sie war auch regelmässig im britischen BBC-Fernsehprogramm «Saturday Kitchen» aufgetreten. Puolakka leitete in London auch die Master Chef Series, eine Reihe von Abendessen in Zusammenarbeit mit einigen der weltbesten Köche, darunter Pierre Koffmann, Angela Hartnett, Tom Kitchin und Niklas Ekstedt. Dieses Konzept will sie auch im Savoy weiterführen.
Puolakkas neue und leichtere Gerichte kommen an. Auf der Speisekarte sind die besten finnischen Zutaten und Aromen der Saison mit einem Hauch von französischen und russischen Einflüssen zu finden. Es gibt eine Rückbesinnung auf einheimische Nahrungsmittel, wie sie die Karte des Savoy mit Gemüse, Pilzen, Beeren, Fischen und Meeresfrüchten aus (mehrheitlich) nachhaltiger Produktion heute reflektiert.
Prominenz noch und noch
In dem vor 82 Jahren eröffneten Savoy sind alles was Rang und Namen schon dort gewesen – Politiker, Künstlerinnen und Künstler, Diplomaten etc. Ein wahres Who's who von Persönlichkeiten. Beliebt ist immer noch die Spezialität des prominenten und anspruchsvollen «Savoy»-Gastes, Staatspräsident Carl Gustaf Mannerheim (1867-1951): «Vorschmack» aus Lammfleisch, Rindfleisch, Fisch, mit gebratenen Kartoffeln, Rote Beete, Gurken und Crème fraîche(siehe Rezept).Er lernte den mit Sardellen und Zwiebeln aromatisierten Fleischeintopf im Warschauer Offiziersklub kennen. Es gibt viele verschiedene Meinungen über die Herkunft von Vorschmack; Das Gericht stammt vermutlich aus Russland und/oder Polen. Seinen Weg in die Herzen und auf den Esstisch der Finnen fand es durch den Kriegshelden Finnlands, Freiherr Carl Gustaf Mannerheim. Bekanntermassen war Vorschmack sein Lieblingsgericht. Und auch der Name eines Drinks erinnert heute noch an ihn: «Marskin Ryyppy» («Marschalls Schnaps») – eine Kombination aus Aquavit, Gin und Wermut – gerade die richtige Mischung im harten finnischen Winter.
_______________
Die Butter für Freiherr Mannerheim musste immer hart sein und aus einem Tontopf serviert werden…
_______________
Freiherr Carl Gustaf Emil Mannerheim (1867-1951) wohnte in Kaivopuisto ganz in der Nähe des Savoys und genoss oft das Mittag- oder Abendessen am Ecktisch (noch vorhanden), der immer für ihn im Speisesaal reserviert war. Der Offizier und spätere Präsident Finnlands war ein Kosmopolit und ein Kenner von gutem Essen und Trinken. Noch heute erzählt man im Savoy, dass die Butter für Freiherr Mannerheim immer hart sein und aus einem Tontopf serviert werden. Dem verehrten Finnen war nichts zu empfehlen – er wollte seine Wahl immer unabhängig treffen.
Engagierter Gastgeber
Gastgeber Saku Tuominen, ein sehr aufmerksamer und leidenschaftlicher Restaurateur, ist seit Dekaden ein grosser Fan des Savoy und nun auch treibende Kraft des «neuen» Savoy. Er möchte noch zwei weitere «Perlen» der finnischen Gastronomie, die Restaurants Palace und Espa zu neuem Leben erwecken. Tuominen ist ein engagierter Quereinsteiger und ein erfolgreicher finnischer Unternehmer, Spezialist für Bildungsinnovation und Gründer von «HundrED»(www.hundred.org). HundrED hilft Schulen sich zu verändern, indem skalierbare Innovationen im K12-Unterricht weltweit gesucht und geteilt werden. Tuominen hat 14 Bücher geschrieben (vier davon über Lebensmittel), verschiedene Unternehmen beraten und an der Aalto-Universität in Helsinki Innovation gelehrt. In seiner Freizeit, quasi sein Hobby, ist er auch Gastronomen und Miteigentümer der drei Restaurants Savoy, Palace und Espa in Helsinki.
Informationen:Ravintola Savoy, Eteläesplanadi 14, SF-00130 Helsinki, Finnland, Telefon +358 9 61285300, savoy@savoyhelsinki.fi, www.savoyhelsinki.fi
_______________
Sanfte Renovation im Januar 2019
Einem Wallfahrtsort für Aalto-Jünger gleicht das «Savoy». Das Savoy ist eines der wenigen Orte, wo man die ursprüngliche Einrichtung von Alvar und Aino Maria Marsio-Aalto von 1937 erleben kann. Das Interieur ist reich an verschiedenen Holzarten, dekorativen Textilien, Glasvasen und üppigen Bepflanzungen und besticht durch die warme Funktionalität, für die das Ehepaar Aalto später bekannt wurde. Gastgeber und Mitbesitzer Saku Tuominen: «Im Laufe der Jahre haben sich jedoch Änderungen und Renovierungen auf das Design des Aalto ausgewirkt. Ziel der anstehenden Renovierung ist es, den ursprünglichen Charme und die Schönheit des Restaurants zu bewahren.»
Im Januar 2020 wird das Innere des Restaurants für einige Wochen sorgfältig restauriert und renoviert. Die Engländerin Ilse Crawford und ihr Designstudio «Studioilse» in London werden für die Gestaltung des aktualisierten Interieurs des Savoy verantwortlich sein. Studioilse hat mehrere erfolgreiche Restaurants und Hoteleinrichtungen entworfen, darunter das ursprüngliche Soho House, das elegante «Ett Hem»-Nobelhotel in Stockholm und die Restaurants von Mathias Dahlgren ebenso in den schwedischen Metropole.
_______________
«Das Savoy ist so erfolgreich, weil es mit Blick auf die menschlichen Grundwerte entwickelt wurde - und deshalb funktioniert es jetzt genauso gut wie 1937. Er braucht ein bisschen Reparatur und ein bisschen Liebe, aber das tut er nicht müssen neu erfunden werden.»
_______________
«Blick auf die menschlichen Grundwerte»
«Studioilse ist ein Pionier in seinem Designansatz, genau wie Aino und Alvar Aalto. Ihre Räume sind für das wirkliche Leben konzipiert und auf Langlebigkeit ausgelegt. Das Savoy Interieur ist seit mehr als 80 Jahre aktuell. Diesen Trend möchten wir fortsetzen, wenn wir jetzt Entscheidungen treffen», sagt Saku Tuominen. Die britische Designerin, Wissenschaftlerin und Kreativchefin von Studioilse, Ilse Crawford, meint: «Das Savoy ist so erfolgreich, weil es mit Blick auf die menschlichen Grundwerte entwickelt wurde - und deshalb funktioniert es jetzt genauso gut wie 1937. Er braucht ein bisschen Reparatur und ein bisschen Liebe, aber das tut er nicht müssen neu erfunden werden.» Wichtige Partner des Restaurierungs- und Renovierungsprojekts sind der Architekt Tapani Mustonen, der auf die Arbeiten von Alvar Aalto spezialisiert ist, die Alvar Aalto Foundation und Aaltos eigenes Unternehmen Artek.
Das Restaurant Savoy wird oft als Interieur von Alvar Aalto bezeichnet, obwohl seine Einzigartigkeit gleichermassen auf dem Beitrag von Aino Maria Marsio-Aalto beruht: ihrer Zweckmässigkeit und ihrem Sinn für Qualität und Komfort. «Es ist wichtig», so Crawford, «Ainos Engagement zu würdigen und zu feiern. Sie waren gleichberechtigte Partner. Das Savoy verkörpert das kollaborative Denken der Aaltos. Insbesondere ihre Sensibilität für natürliche Materialien, die zusammen mit Einfachheit, Praktikabilität und sozialem Bewusstsein Bestand haben.» Ein Besuch im «Savoy» lohnt sich nicht nur des schönen Interieurs wegen.