In einer Synagoge geht es um die spirituelle Dimension des Menschen. Vor 20 Jahren entbrannte ein Streit um den Synagogen-Neubau in Konstanz und riss eine tiefe Kluft zwischen den orthodoxen und den liberalen Juden. Der Spatenstich für Bau des Gotteshauses fand aber im November 2016 statt, Bauherr ist die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden. Das neue Bethaus, da ganz nahe an der pulsierenden Marktstätte liegt, sollte eigentlich bereits im Frühling 2019 fertiggestellt werden.
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«Wie schön und angenehm ist es, wenn Brüder in Frieden zusammenleben!»
Psalm 133
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Das Richtfest fand im Juni letzten Jahres statt. Grund der Verzögerung seien kleinere bauliche Änderungen gewesen, beispielsweise bei der Sicherheit. Die alte sowie die neue jüdische Gemeinde seien aber sehr gut gesichert, sagte Arthur Bondarev, Mitglied der Synagogengemeinde Konstanz, gegenüber dem Südwestfunk SWR. Die neue Synagoge sei so konzipiert, dass Unbefugte keine Möglichkeit hätten hineinzukommen. Im Juni 2019 hat die Synagogengemeinde Konstanz die Inneneinrichtung der Synagoge am Standort des ehemaligen Hotels «Anker» mit dem israelischen Kibbuz Lavi eingebaut.
Nun soll alles bezugsfertig sein, bestätigt die zuständige Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden. «Es war eine lange Geschichte bis dieser Bau inklusive dem denkmalgeschützten Altbau entstehen konnte», sagt der verantwortliche Architekt Professor Fritz Wilhelm aus Lörrach.nochmals Urs, anbei zwei Innenfotos. Wilhelm war 23 Jahre lang Professor für Gebäudelehre und Entwerfen an der Hochschule für Gestaltung und Technik (FH) in Konstanz.
«Ein positives gesellschaftliches Zeichen»
Am Sonntag wird nun die neue Synagoge in der Altstadt eröffnet. Die Einweihung findet am 10. November 2019 statt. «Um 15 Uhr treffen wir uns an der alten Synagoge und ziehen feierlich in die neue Synagoge um. Es folgt die Amtseinführung des neuen Gemeinderabbiners durch Moshe Flomenmann, Landesrabbiner der IRG Baden. Anschliessend wird es einen Festakt mit zahlreichen Ehrengästen geben», schreibt dieSynagogengemeinde Konstanz auf ihrer Internetseite. An der Feier wird auch Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, teilnehmen.
Für die Jüdische Gemeinde Konstanz mit rund 300 Mitgliedern ist die Einweihung der neuen Synagoge – 81 Jahre nach der Zerstörung des alten Bethauses im November 1938 durch die Nationalsozialisten – ein Schritt, auf den die Mitglieder lange gewartet haben.«Der Synagogeneubau ist zweifelsohne ein erfreulicher
Baustein für jüdisches Leben und ein positives gesellschaftliches Zeichen – nicht nur für Konstanz, sondern für die ganze Region», sagt Dr. Rolf Hilb, letzter Präsident der Israelitische Gemeinde Kreuzlingen (wurde 2015 aufgelöst) am Bodensee TG.
Der Altbau ist Teil des jüdischen Gemeindezentrums , der eigentliche Synagogenraum liegt im Neubau. Dieser Neubau zeigt sich als eigenständiger Bau mit jüdischen Bezügen, aber Seite an Seite mit den Bestandsbauten. Der besondere Sakralbau ist mit Kolumba-Ziegeln aus Dänemark in zwei unterschiedlichen Bränden und Farben verkleidet worden. Der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor aus Chur hat mit der renommierten dänischen Ziegelfabrik Petersen Tegl 2000 eine Kollektion handgefertigter, horizontaler Baukeramik für Mauern und Bepflasterungen entwickelt.
Ein Freudentag
Das ist ein Freudentag für die jüdische Gemeinde in Konstanz, für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und in der Ostschweiz.Obschon in den letzten Wochen und Monaten wieder Sorgen und Ängste aufgekommen sind, ob denn jüdisches Leben in Deutschland noch möglich sei (Angriff auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle/Saale usw.).«Eine säkulare Gesellschaft kann nur dann eine humane Gesellschaft sein, wenn religiöse Tradition, religiöse Sprache, religiöse Erfahrung ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Zusammenlebens haben», sagte der damalige Bundespräsidenten Joachim Gauck bei der Einweihung der neuen Synagoge in Ulm 2012.«Ich kann Ihnen gar nicht sagen», so Gauck, «wie dankbar ich dafür bin, dass jüdisches Leben, dass jüdische Menschen nach all diesem Schrecken und all diesem himmelschreienden Unrecht wieder in Deutschland Heimat gefunden haben.»
Einst lebten 24'000 Juden in Baden
Vor der Zerschlagung des jüdischen Lebens durch die NS-Diktatur lebten im Land Baden mehr als 24'000 Juden in 122 selbstständigen Gemeinden und einer Vielzahl von Filialgemeinden. Zur 1809 gegründeten IRG Baden gehören heute zehn Gemeinden; sie besitzt über 5'000 Mitglieder. Die Synagogengemeinde Konstanz ist als Einheitsgemeinde der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden untergeordnet. Die Gemeinde zählt über 300 jüdische Mitglieder, viele kommen aus den Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion. Konstanz zählt heute 87'000 Einwohner.
Jüdische Kultur und jüdisches Leben gehörten immer zur Stadt Konstanz – bis die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Die grosse Synagoge in der Sigismundstrasse 19, die 1883 von der damaligen jüdischen Gemeinde in Konstanz eingeweiht wurde (erbaut hat sie der Konstanzer Stadtbaumeister Karl Holzmann), hatten die Nationalsozialisten in der sogenannten «Reichspogromnacht» am 9./10. November 1938 zerstört.
«Im Jahr 2003 stellte die Stadt der jüdischen Gemeinde ein Grundstück im Wert von 615'000 Euro für eine neue Synagoge in der Nähe des ursprünglichen Standorts der alten Synagoge in der Sigismundstrasse bereit und bewilligte einen Baukostenzuschuss von 115'000 Euro. Die Überlassung des Grundstücks erfolgte ohne finanzielle Gegenleistung», sagt Walter Rügert, Pressesprecher der Stadt Konstanz.
Die Anfänge im 13. Jahrhundert
Die mittelalterliche jüdische Gemeinde in Konstanz findet erstmals 1241 in einer Steuerliste Erwähnung. Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation soll sie eine bedeutende Gemeinde gewesen sein. Die ältesten Spuren jüdischer Ansiedlung in Konstanz gehen auf die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts zurück. Die jüdischen Einwohner liessen sich zunächst in dem Stadtviertel zwischen Salmannsweilergasse und Münzgasse nieder. Doch bereits 1312, also vor über 700 Jahren, war das erste Pogrom zu verzeichnen. In der Rosgartenstrasse wurde bei Bauarbeiten 1905 ein Silberschatz (Münzen) gefunden, der auf das Ereignis hinweist.
Gründung der Israelitischen Gemeinde
Auch in späteren Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen Juden. Beim Pogrom von 1348 wurden etwa 300 jüdischen Bürger im Konstanzer Vorort «Paradies» verbrannt. 1430 wurden 60 jüdische Bürger im Pulverturm, einem Wehrturm am Rhein eingesperrt. Erst als die jüdische Gemeinde die Schulden des Kaisers Sigismund bei der Stadt Konstanz aus der Zeit des Konzils bezahlten, wurden sie freigelassen. Auch in späteren Jahren kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegen Juden. Nachdem es ihnen vierhundert Jahre lang untersagt war, sich in Konstanz niederzulassen, beschloss der Rat im Jahr 1847 die Wiederaufnahme von Juden in die Stadt. 1866 wurde die Israelitische Gemeinde gegründet, deren Mitgliederzahl bis 1933 beständig wuchs. Viele der zugewanderten Juden waren im Einzelhandel tätig, einige eröffneten Arzt- oder Anwaltspraxen. Vor allem in der Rosgartenstrasse, auf der Marktstätte, der Hussenstrasse und der Kreuzlingerstrasse gründeten die jüdischen Bürger Geschäfte und prägten das Stadtbild mit dem Bau neuer Häuser.
Verfolgung im Nationalsozialismus
Die Synagoge wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Radolfzeller und Konstanzer SS-Leuten und anderen Offiziellen in Brand gesteckt. Der Feuerwehr wurde nicht gestattet, den Brand zu bekämpfen, einige Feuerwehrleute waren sogar unter den Brandstiftern. Im Depot des Rosgartenmuseums wurden Pergamentblätter aus der Thora entdeckt. Sie wurden vermutlich damals im November 1938 von einem mutigen Menschen aus den Trümmern der Synagoge gerettet, ins Museum gebracht und dort vom Direktor versteckt und so vor dem Untergang bewahrt. Buchstabe für Buchstabe – so wird die Tora als Teil der hebräischen Bibel mit Gänsefedern auf Pergament geschrieben. Eine Tora-Rolle ist kostbar und wird nun vom früheren Gebetsraum in die neue, rund hundert Meter entfernte Konstanzer Synagoge transportiert.
Unterstützung aus Kreuzlingen
Die Jüdische Gemeinde Kreuzlingen hatte mit der Gründung der «Jüdischen Friedhofs-Gemeinschaft» im Jahre 1936 ihren Anfang genommen, und der jüdische Friedhof auf der Anhöhe von Kreuzlingen-Bernrain wurde anlässlich der ersten Bestattung (Rechtsanwalt Dr. Sigmund Fuchs aus Konstanz) am 1. Dezember 1937 eingeweiht, da sich die Konstanzer oft nicht mehr in Deutschland begraben lassen wollten. Schon seit 1934 wurden Gottesdienste in Kreuzlinger Privatwohnungen abgehalten. Durch Abwanderung in den vergangenen Jahrzehnten geriet die Kreuzlinger Gemeinde zunehmend unter Druck. Viele aus der jüngeren Generation wanderten in grössere Städte ab. Die Israelitische Gemeinde Kreuzlingen und der Leitung vonDr. Rolf Hilb hat sich 2015 aufgelöst.
«Zusammenleben war einträchtig»
«Sommer '39 – Alltagsleben am Anfang der Katastrophe» hiess eine Ausstellung 2009 im Konstanzer Rosgartenmuseum. Historiker Dr. Tobias Engelsing, Direktor der Städtischen Museen, kuratierte sie. Wie lebten Jüdinnen und Juden mit ihren christlichen Nachbarn vor dem 9. November 1939 in Konstanz zusammen? Welche Berufe übten sie aus und welche Rolle spielten sie im gesellschaftlichen Leben der Stadt? Engelsing sagte damals: «Mit Beginn der liberalen Ära im Grossherzogtum Baden um 1860 öffneten die badischen Städte ihre Mauern den Juden und gewährten ihnen das Bürgerrecht – gegen erbitterte Widerstände.
Aber die Neubürger brachten Kaufmannsfleiss und Integrationswillen mit. In kurzer Zeit gab es unter den Konstanzer Juden geachtete, engagierte und sehr erfolgreiche Kaufleute, die Konstanz wieder zur Einkaufstadt für den ganzen Bodenseeraum und den Thurgau machten. Andere arbeiteten als Handwerker, Ärzte oder Anwälte. Sie waren in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv, spendeten zum christlichen Weihnachtsfest an karitative Einrichtungen und liessen 1888 ihre Synagoge in der Sigismundstrasse von ‹christlichen› Konstanzer Bauhandwerkern bauen. Das Zusammenleben war einträchtig, nahezu frei von ernsteren Konflikten.»
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP), setzte auch in Konstanz die Verfolgung der Juden ein: angefangen vom ersten reichsweiten Boykott von Geschäften über die Reichspogromnacht und die Zerstörung der Synagoge bis hin zur Deportation der jüdischen Bürger in das französische Internierungslager Camp de Gurs in Gurs (Pyrenäen) und von dort in die Vernichtungslager im Osten (KZ Auschwitz-Birkenau und andere).
in Konstanz werden seit 2005 sogenannte «Stolpersteine» verlegt. «Bis jetzt wurden 235 Stolpersteine verlegt, davon 144 für ermordete und emigrierte Juden», bestätigt der Historiker Dr. Uwe Brügmann von der Initiative «Stolpersteine für Konstanz – Gegen Vergessen und Intoleranz».
Nach der Naziherrschaft
Die ersten Juden, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Konstanz kamen, waren Überlebende aus den süddeutschen Konzentrationslagern. Sie feierten 1945 den ersten jüdischen Gottesdienst nach der Naziherrschaft. Erst Jahre später stand in Konstanz wieder ein fester Raum für religiöse Zusammenkünfte zur Verfügung. Die Grundlage dafür wurde von privater Seite durch Sigmund Nissenbaum geleistet. 1966 wurde der Gebetssaal, der fortan der Israelitischen Kultusgemeinde zur Verfügung stand, auf dem Platz der früheren Synagoge eingeweiht. Konstanz verfügt auch über die Mikwe (Ritualbad) und die Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek, eine auf Judaica spezialisierte öffentliche Leihbibliothek in Konstanz.
Wohnung, Unterstützung und Auswanderung
Im neuesten 137. Band der Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung vom September 2019 im Jan Thorbecke Verlag gibt es einen wichtigen Aufsatz von Reinhold Adler «Konstanz am Bodensee. Ein Zentrum jüdischen Lebens in der Französischen Besatzungszone» über die zahlreichen jüdischen Organisationen, die ab 1945 bis 1949 in Konstanz von überlebenden Juden (Displaced Persons) gebildet wurden. Darin geht es um Wohnung, Unterstützung und Auswanderung etc. Dabei spielen der Rabbiner von St. Gallen und der Leiter der jüdischen Gemeinde Kreuzlingen, Robert Wieler, ein grosse Rolle, weil sie über die Grenze kommen konnten.
Wieler kam in seinem Urteil über die Lage der jüdischen Displaced Persons in Konstanz Anfang 1947 zu folgendem Schluss: «Die Verhältnisse unter den Juden in Konstanz hinterlassen keinen befriedigenden Eindruck.» Interessant auch, weil Konstanz so eine Art Zentrum für Juden aus den Konzentrationslagern im Osten war. «Es gab hier ein orthodoxes Zentrum, das verhindert hat, dass die Synagoge, so wie sie vor der Zerstörung ausgesehen hat, wieder aufgebaut wurde», sagt der Konstanzer Historiker Dr. Uwe Brügmann. William Graf (1879-1959), ein Mäzen, nach dem der Platz am Fährhafen in Konstanz Staad benannt ist, war ein in die USA ausgewanderter Brauereifachmann, der eine erhebliche Summe für den Wiederaufbau der Synagoge gespendet hätte. Allein, die orthodoxen Juden wollten keine Synagoge im Frührenaissance-Stil.
«Schön für die jüdische Gemeinde, dass es eine Synagoge geben wird! Aber mit dem jüdischen Leben, was es einmal in Konstanz gab, hat das Ganze natürlich nur sehr wenig zu tun, auch wenn von jüdischer Seite auf die Geschichte der Gemeinde berufen wird», sagt ein Thurgauer Jude, der anonym bleiben möchte.
Das neue Gotteshaus in Konstanz ist ein Ort des Lebens, welches vor über achtzig Jahren ausgelöscht wurde. Bei aller Freude: 81 Jahre, das ist ein ganzes und langes Menschenleben! Wer ein Haus baut, will bleiben. Man hofft auf ein aufstrebendes jüdisches Leben in der Stadt. Auf der Einladung zur Synagogen-Einweihung steht der Psalm 133: «Wie schön und angenehm ist es, wenn Geschwister in Frieden zusammenleben!»
Links und Quellen: www.irg-baden.de, www.jsg-konstanz.de, www.konstanz.de,www.wilhelm-hovenbitzer-partner.com
Bau der neuen Synagoge und einem Gemeinschaftszentrum in Konstanz: Schöner Sakralbau
Das hebräische Wort Schalom bedeutet seinem Ursprung nach Vervollständigung – schalom ist vielschichtig und bedeutet nicht nur Frieden. An der Sigismundstrasse 8 in der Konstanzer Altstadt war eine Stadtreparatur dringend notwendig, um den Strassen- und Stadtraum zu vervollständigen, «also war die Entwurfsdevise klar: Schalom», sagt der zuständige Architekt Professor Fritz Wilhelm aus Lörrach.
Viel Mut mussten der Bauherr und die Planer aufbringen, um an diesem Ort unter Einbezug des kaputten Hauses «zum Anker» eine Synagoge zu bauen. Die Lücke ist nun geschlossen und Alt und Neu stehen stolz und einvernehmlich nebeneinander.
Der Altbau ist Teil des jüdischen Gemeindezentrums , der eigentliche Synagogenraum liegt im Neubau. «Dieser Neubau zeigt sich als eigenständiger Bau mit jüdischen Bezügen, aber Seite an Seite mit den Bestandsbauten.
Die Synagoge reiht sich ein, zeigt aber ein unverwechselbares Gesicht. Vielfalt im Strassenraum entsteht. Der «Zum Anker»-Altbau ist jetzt so schön wie er nie war», freut sich Architekt Wilhelm.
Der dreistöckige Sakralbau in Konstanz besitzt ein schönes Gewand aus Natur- und Ziegelstein Die filigrane Baute wurde von den Architekten Professor Fritz Wilhelm und Frank Hovenbitzer aus Lörrach geplant. Die Fassade mit zweifarbigen Steinen wirkt orientalisch und warm. Das Innere der neuen Synagoge sind modern gestaltete Räume, denn eine Rekonstruktion ist gar nicht möglich und gewünscht. Es gibt keine originalen Teile mehr. Und darüber hinaus gibt es selbstverständlich heute auch neue Funktionen, die notwendig sind. Es existiert auch ein Bereich, der die heute notwendigen Sicherheitseinrichtungen aufnimmt.
Grosses Treppenhaus, rituelles Tauchbad
Der Synagogenbau erhält im Erdgeschoss einen Gemeinschaftsraum von 100 Quadratmetern, im Altbau ein kleines Foyer, Küchen, Hauswartraum, Stuhllager , die Mikwe (das rituelle Tauchbad) und ein grosszügiges Treppenhaus mit gläsernem Aufzug. Im Hofraum ist ein kleiner Platz für das Laubhüttenfest ausgebildet worden. Im ersten Obergeschoss liegt der nach Osten orientierte Synagogenraum , ein Foyer, ein Gebetsraum im sogenannten Kassettenzimmer im Altbau, Büros und ein kleine Bibliothek.
Der Thoraschrein im Obergeschoss zeigt sich als plastisches Bauteil in der Fassade zur Sigismundstrasse, wie auch ein Davidstern im quadratischen Ostfenster zur Morgensonne. Der Altbau des «Hauses zum Anker» wurde zusammen mit Frank Mienhardt vom Denkmalamt der Stadt Konstnz saniert und traditionell verputzt. Teile der alten Holzstruktur und einige Fresken wurden freigelegt und sichtbar gemacht.
Besondere Fassade
Die Fassade der Synagoge ist mit speziellen, flachen 53 cm langen Kolumba-Ziegeln der 1791 gegründeten dänische Ziegelei Petersen Tegl in zwei unterschiedlichen Bränden verkleidet worden. Das neue Produkt bildet eine markante und moderne Fassade. Der Schweizer Architekten Peter Zumthor hat zusammen mit der Ziegelei in Broager eine Kollektion handgefertigter, horizontaler Baukeramik für Mauern und Bepflasterungen entwickelt. Heute wird Kolumba für Bauvorhaben in 47 Ländern auf der ganzen Welt verwendet.3-4 Millionen dieser speziellen Ziegelsteine werden pro Jahr hergestellt. «Ohne Peter Zmthor gäbe es diesen Ziegel auch nicht am neuen Konstanzer Gotteshaus», sagt Ziegeleibesitzer Christian Petersen.
Der Ziegel namens Kolumba ist 2000 zusammen mit Peter Zumthor für das Katholische Kolumba-Museum in Köln entwickelt worden. Der Ziegelstein «orientiert» sich an den flachen römischen Ziegelplatten. Kolumba-Steine sind 528 x 108 x 37 mm gross und kosten etwas mehr als die normalen Ziegelsteine (Hamburger- oder Flensburger Format). Architekt Fritz Wilhelm: «Wir benötigten für die kleine Strassenfassade ja wenig Steine, aber das Ergebnis ist gelungen.»
Kosten von 5 Millionen Euro
Der Bau kostet fünf Millionen Euro inklusive der Pfahlgründung, der archäologischen Untersuchungen und vor allem der Totalsanierung des Hauses «Zum Anker». Der Anker ist rund 200 Jahre alt, war aber ohne Längsfassade im Norden in einem elenden Zustand, hatte im Erdgeschoss keinen Fussboden (Lehm) und auch keinen Keller. Im Westteil einen desolaten, späteren Anbau, der entfernt wurde. Mit Hilfe der Städtischen Denkmalpflege, Frank Mienhardt, sei es gelungen den Bau in das jüdische Gemeindezentrums zu integrieren und das Dach um einen halben Meter aufzustocken. Innen wurde ein kleines Fresko freigelegt, das jetzt Teil der Innenraumgestaltung ist, ebenso das teils sichtbare Holztragwerk. «Jetzt passt Haus an Haus in der Sigismundstrasse aneinander und die Strasse ist wieder repariert und komplettiert», freut sich Architekt Fritz Wilhelm. Noch einige Eckdaten: Nutzfläche 820 m², Grundfläche 305 m², Geschossfläche 920 m², umbauter Raum: 3'820 m³ Kubikmeter.
«Zwiegespräch»
«Im Innern ist uns einiges entglitten, denn im Synagogenraum wurden – gegen unseren Willen – vom Bauherrn ‹designte›, in Israel bestellte und vor Ort eingesetzte Einbauten realisiert . Jetzt entsteht bestenfalls ein ‹Zwiegespräch› zwischen der klaren Architektur und der speziellen Einbauten. Das gab's – zum Trost – in der Vergangenheit oft beim Kirchenbau. Gelungen sei zum Glück das «Aufrüsten» und Integrieren des kaputten Altbaus; innenräumlich sei es ein Kontinuum, kontinuierlich, lückenlos Zusammenhängendes, sagt Architekt Fritz Wilhelm, und fügt an: «Schalom, diesmal als Friede verstanden.» (uok)
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Novemberpogrome von 1938
Die Novemberpogrome von 1938 waren eine vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger in ganz Deutschland. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden in der Zeit vom 7. bis 13. November 1938 im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1'300 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Über 1'400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30'000 Jüdinnen und Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt. Mit dem auch als «Reichskristallnacht» bezeichneten Pogrom begann eine neue Phase der Verfolgung und Diskriminierung, die im Holocaust – der Deportation und Vernichtung von mehr als sechs Millionen Juden in Konzentrationslagern – endete. (uok)