«Mit meinen Eltern und meiner Nachbarin haben wir in zehn Stunden mehrere Hundert Kilo Holunderblüten geerntet», freut sich Ralf Münger, Obstfachmann aus Blidegg in der Thurgauer Gemeinde Zihlschlacht-Sitterdorf. Vor vier Jahren pflanzte er in der Nähe des elterlichen Hofes, den er heuer übernahm, eine Holunderplantage. Im Abstand von 3,5 mal 4,5 Metern stehen bis zu 500 Bäume auf einer Fläche von 0,8 Hektaren. Die Äste ragen vier bis fünf Metern in die Höhe. «Holunderblüten sind eine super Ergänzung zu meinen Tafel- und Mostäpfelkulturen», schwärmt der 29-Jährige, der seine Ausbildung auf dem Obst- und Beerenbetrieb der Familie Eberle in Altnau am Bodensee absolvierte. Dort lernte er den Holunder kennen und schätzen. Dank ihnen gelang es Ralf Münger, seine getrockneten Bio-Holunderblüten auch der erfolgreichen Krauterbonbonfirma Ricola nach Laufen (BL) zu verkaufen. Die Trocknung erfolgt auf Eberles Betrieb in Altnau.

Familie Eberle – die Holunderpioniere

1976 begann Hans Eberle Holundersträucher zu pflanzen. Seit 30 Jahren beliefert die Familie Eberle die Ricola AG in Laufen (BL) mit getrockneten Holunderblüten. Hans und Sohn Andreas Eberle schätzen den Holunder. Die wertvolle Heilpflanze brauche nicht sehr viel Pflege, dafür genügend Wasser und Stickstoff. Der Strauch müsse aber im Winter regelmässig geschnitten werden. «Das robuste Gehölz verträgt selbst einen starken Verjüngungsschnitt», sagt Hans Eberle. In den Sommermonaten ist das Mulchen der Bodenbegrünung sehr wichtig, um den Mausbestand niedrig zu halten. Wird das Gras regelmässig geschnitten, können sich Mäuse schlechter verstecken das «Lebensklima» für die kleinen Tiere wird unangenehmer.

Über 1000 Holundersträucher blühen momentan auf ihren knapp zwei Hektaren umfassenden warmen und sonnigen Plantagen. Pro Holunderstrauch – einige sind über 40 Jahre alt – gibt es 400 bis 500 Blütendolden, die man ernten kann. Von einem Strauch bleiben nach der Gebläsetrocknung in der Scheune rund 800 Gramm Blüten übrig. Ein Kilo Frischblüten ergeben noch etwa 180 Gramm Trockenware.

2013 übernahm Sohn Andreas Eberle in vierter Generation das Familienunternehmen. Fünf polnische Erntehelfer, ein Lehrling sowie seine Eltern arbeiten im Betrieb mit. Hauptabnehmer für Holunder ist Ricola in Laufen. Eine kleine Menge von frisch geernteten Blüten geht zur Mosterei Möhl nach Arbon.

Koni Stäheli: «Die Ernte sieht prima aus»

«Die Ernte sieht bis jetzt prima aus, Qualität und Menge sind wetterbedingt bis jetzt gut», sagt Koni Stäheli (55), Obstfachmann in Neukirch-Egnach (TG). Im «Kuglersgreut» baut er seit 15 Jahren Holundersträucher an (er ist auch einer der ersten Beerenproduzenten, der 2008 Aronia in der Schweiz anbaute). Die Holunderblüten-Ernte wird noch bis etwa Mitte Juni dauern. Allerdings werde nicht täglich, sondern nur alle 3 bis 4 Tage geerntet, je nach Wetter. Bis zu 16 Personen halfen Ende Mai während der Haupternte.

Auf einer Hektare stehen rund 900 Holundersträucher oder -stauden der österreichischen Sorte Haschberg in Neukirch-Egnach. Holunder sei weniger diffizil als Apfelbäume, aber auch anspruchsvoll. Die Blüten würden durch den Wind bestäubt, Bienen finde man kaum beim Holunder. «Man braucht auch kein Drahtgerüst oder Hagelschutz. Man müsse aber auf Kräusemilben und Blattläuse acht geben, sagte Koni Stäheli. Im Winter schneidet er das alte Holz heraus. Die neuen, einjährigen Triebe bildet dann schöne Blütendolde. Sie können bis zu 25 cm Durchmesser erreichen. «Im Aufbaustadium einer Holunderanlage darf man auch Mäuse nicht unbeachtet lassen. Man muss diese sofort mit Fallen einfangen. Mäuse können auch alle Sträucher zerstören.» Deshalb hält er das Gras nieder. «Das schätzen die Mäuse gar nicht. So werden sie rasch entdeckt.»

Für Möhls berühmten Swizly-Cider

«Unsere Produkte verkaufen wir alle unter dem Label SwissGAP und Swiss Garantie. Wir trocknen schon einige Jahre keine Holunderblüten mehr, da wir sie frisch gepflückt verkaufen können», sagt Koni Stäheli, Obstfachmann in Neukirch-Egnach. Der Aufwand sei zu hoch gewesen und die Rechnung ging nicht auf. Ein Jahr lang lieferte er der Ricola AG in Laufen getrocknete Blüten. Hauptabnehmer der frischen Blütendolden ist die 1895 gegründete Mosterei Möhl AG an der St. Gallerstrasse in Arbon, nur einige Kilometer von Stähelis Hof entfernt. Mitbesitzer Ernst Möhl: «Wir  verarbeiten pro Jahr insgesamt 1000 bis 2000 Kilo nasse Frischblüten ab Baum. Sie werden bei uns über Nacht in Wasser eingelegt, mit Zucker angereichert und der Blütenstaub wird entfernt sowie alles ausgepresst. Daraus stellen wir dann Holundersirup her, ein Extrakt, das wir dann dem Swizly beigeben.» Die Mischung von klarem Apfelwein mit wenig Süssmost und Holunderblütensirup gebe dem 1995 auf den Markt gebrachten Swizly-Cidre den einzigartigen Geschmack. Swizly sei süffig und mit fünf Volumenprozenten Alkohol ein leichtes Bar- und Apérogetränk. Auch der traditionsreiche Sirup-Hersteller Laumann & Co. AG in Bischofszell zählt zu seinen Kunden.

Nach der Blütenernte schneidet Koni Stäheli die Sträucher wieder passend zurück und alle noch vorhandenen Beeren ab, obschon er für seine privaten Kunden auch Holunderbeerenprodukte verkaufen könnte. Der Grund der vorbeugenden Aktion: Die Kirschessigfliege, welche die Holunderbeeren über alles liebt und nun auch Aronia entdeckt hat. Die grosse Aronia-Anlage hat Stäheli aber mit einem feinen Netz geschützt.

Bioforce, Biotta, Ceres

Die Bioforce AG, 1963 von Alfred Vogel in Roggwil (TG) gegründet, bezieht Holunder nicht aus dem Thurgau und Holunder auch nicht selber an. «Unser Vertragsanbauer befindet sich in Österreich. Holunder verwenden verwendet Bioforce für unser Präparat Echinaforce Hot Drink, welches als Heissgetränk speziell in akuten Erkältungsphasen empfohlen ist», teilt Clemens Umbricht, Leiter Public Relations von Bioforce in Roggwil mit.

Holunderblüten vom Holderhof in Niederwil (SG) verwendet die Biotta AG in Tägerwilen. Biotta-Geschäftsführer Clemens Rüttimann: «Holunderblüten haben wir nur in unserer Schorle Apfel-Holunderblüte unter der Marke Vivitz im Biofachhandel drin. Selbst verarbeiten wir keine.» Biotta führt einen Holundersaft im Programm. «Die Rohstoffe stammen seit Jahren aus dem Burgenland von einer Anbaugenossenschaft, die wir persönlich kennen und die uns eine gleichbleibende Qualität liefern kann», so Rüttimann.

Auch die Ceres Heilmittel AG in Kesswil verarbeitet Holunderblüten. Der Chemiker Robert Kalbermatten hat 1991 das Unternehmen mitgegründet. Ceres sammelt primär in der Ostschweiz wild wachsenden Holunder und verarbeitet die Blüten zu Tinkturen. Die Inhaltsstoffe der Holunder-Urtinktur (Sambucus nigra) sind Flavonoide, ätherisches Öl und Triterpene. Ein Fläschchen mit 20 Milliliter (ml) dieser Ceres-Urtinktur kostet 25,20 Franken. Das homöopathische Arzneimittel ist apotheken- und drogerienpflichtig, aber rezeptfrei.

Die 1921 gegründete Weleda AG in Arlesheim BL, die Naturkosmetik und anthroposophische Arzneimittel produziert (Eingenwerbung: «Im Einklang mit Mensch und Natur»), verwendet auch Holunder. Patricia Pécourt, Leiterin Kommunikation Naturkosmetik und Arzneimittel: «Holundersaft ist nicht im Angebot. Im Pharma-Bereich benötigen wir sehr kleine Mengen an Holunder, die wir aus eigenem Anbau beziehen.»

Schaffhausen: 1400 Holunder in Hallau

Seit 2006 kultiviert der Landwirt, Gemüsebauer und Winzer Kurt Gasser in der Weinbaugemeinde Hallau auf zwei Hektaren Bio-Holunder. Es sind etwa 1400 Sträucher. Er ist der bedeutendste Produzent von Holunder im Kanton Schaffhausen. Der 43-Jährige verarbeitet hauptsächlich die Blüten, die er selbst auf seinem Hof trocknet. Auch Extrakt oder  Tee wird aus seinem Hallauer Holunder hergestellt. Gasser ist vor allem Zulieferer für Schweizer Lebensmittelverarbeitungsfirmen und bedient auch einige kleinere Kunden. «Die Ernte läuft gut. Die Blütendolden sind sehr schön heuer. Bis zu 15 Personen aus der Umgebung helfen mir», sagt Gasser. Mit seinem Bruder Bruno führt er im Klettgau ein drei Hektaren grosses Weingut. Zudem bauen sie auf sechs Hektaren Spargeln an. Sie sind auf vielen Wochenmärkten zwischen Frauenfeld, Wil, Winterthur und Zürich mit ihren Produkten präsent.

St. Gallen: Bei ihm ist der Name Programm…

Die Konfikocherei und Käsekonditorei Gebrüder Eberle in Gossau (SG) verwendet  Holunderprodukte aus Österreich, welche für Latwergen verarbeiten werden. «Somit können wir hier leider nicht von der Swissness profitieren. Der Holunderblütensaft hingegen kommt aus der Schweiz», bestätigt Mitinhaber Max Eberle.

Bei ihm ist der Name Programm: Einer der gross ins Holundergeschäft einstieg, ist Christof Schenk in Niederwil SG mit seiner Holderhof Produktions AG in Henau. Seit 2000 hat er einiges bewegt. (www.holderhof.ch).

Ruedi Lieberherr, Sprecher des Lebensmittelunternehmen Morga AG in Ebnat-Kappel, schreibt auf unsere Anfrage: «Wir verwenden Holunder für unsere Hustengetränke. Wir beziehen vom freien Markt Konzentrat, meistens von Händlern, die den Rohstoff besorgen.»

Die innovative Molkerei Fuchs und Co. AG in Rorschach am Bodensee stellt aktuell einen Holunderblüten-Molke-Drink her. «Dazu verwenden wir einen Holunderblütenextrakt aus Thurgauer Holunderblüten. Daraus haben wir auch schon Holunderbluten-Buttermilch oder Jogurt-Holunderblüten-Apfel hergestellt», freut sich Patrick Fuchs.

«Abnahmemengen sind sehr beschränkt»

Holunder gehört zu den Spezialkulturen. Wer mit dem Holunderanbau erfolgen haben will, braucht dazu das notwendige Fachwissen und die notwendige Zeit für die Pflege. «Ich spreche jeweils von einer mittelintensiven Kultur. Die Hauptarbeit fällt zur Ernte an, Blüte oder Beeren. Holunder ist hochanfällig auf Mäusefrass. Der Bodenpflege ist somit die notwendige Beachtung zu schenken. Fahrgasse häufig mulchen, Baumstreifen offen halten und Mausen», weiss Richard Hollenstein von der Fachstelle Obstbau am landwirtschaftlichen Zentrum SG in Flawil. Die Ernte müsse sowohl bei Blüten wie Beeren sehr termingerecht erfolgen. Nur so entstehen in der Verarbeitung hochstehende Produkte. Hollenstein: «Der Holunder anpflanzen will, muss vor der Pflanzung einen Abnehmer kontaktieren. Sind Blüten oder Beeren oder beides nachgefragt, in welcher Menge und Qualität. Abnahmemengen sind sehr beschränkt.»

Appenzell: Flauder mit Holunderblüten

Gabriela Manser, CEO der Goba AG, der Mineralquelle und Manufaktur in Gontenbad (AI): «Flauder hat Holderblüten drin! Und auch im Flauder Gelee und in den Gelee-Küssli hat es viel Holderblüten. In unseren beiden Apéros Manzoni und Manzini hat es ebenso davon. Die Holderblüten für unseren Extrakt kommen aus der Ostschweiz. Und ein kleiner Teil auch aus Appenzell.» Im letzten Jahr hat die Mineralquelle ihre Holunderblüten von der Appenzeller Bio-Kräuter GmbH Neuhüsli in Eggerstanden aus Appenzell etwas liefern können. Eine Zusammenarbeit pflegt «Madame Flauder» auch mit Julia Enzler aus Appenzell Meistersrüte, die 200 Holderbäume für sie angepflanzt hat. «Diese warfen bislang noch keine Ernte ab.  Ab nächstem Jahr sollte es soweit sein» sagt Goba-Chefin Manser.

Kein Holunderanbau in Graubünden

Holunderanbau in Graubünden: «Im Kanton Graubünden haben wir nach Auskunft des Landwirtschaftsamtes keine Anmeldungen von Holunder als Obstanlagen», bestätigt Gregor Canova, landwirtschaftlicher Berater, Fachstelle Obstbau Graubünden, im Plantahof in Landquart.

Engagiert: Waldhofkräuter in Zollikofen

«Wir bauen schon seit 2002 zwischen 4-6 Hektaren Holunder im Kanton Bern an», bestätigt Markus Daepp, Geschäftsführer von Waldhofkräuter in Zollikofen (BE), einer Interessengemeinschaft von Kräuterpflanzern und am Kräuteranbau interessierten Personen. Der Arbeitsaufwand sei während der Ernte gross, die Pflegearbeiten über das ganze Jahr verteilt. Daepp: «Die Vermarktung bei uns läuft mehrheitlich über Ricola.» Die Höhe der Direktzahlungen hänge vom Betrieb ab (Zone, BIO, Hanglage etc.). Analog wie bei anderen Kulturen (pro ha).

Acht Franken pro Kilo Frischblüten

Über Geld und Preise wird in der Branche nicht gerne gesprochen. Ernst Möhl, Mitbesitzer der bedeutenden Thurgauer Mosterei Möhl in Arbon ist eine Ausnahme: «Wir bezahlen nach wie vor acht Franken pro Kilo Frischblüten. Die Preise für Trockenblüten kenne ich nicht, da wir auch keine kaufen.» 2011 lag der Kilopreis für getrocknete Holunderblüten je nach Qualität und Menge zwischen 40 bis 50 Franken. Ein Sprecher des Bonbon-Herstellers Ricola schreibt dazu: «Der Kräuterpreis ist Teil der Geschäftsbeziehung zu unseren Landwirten. Das ist der Grund, dass ich Ihnen den Holunderpreis nicht nennen kann.»