Ein vielreisender Puschlaver traute seinen Augen nicht, als er kürzlich in einem Geschäft in der Grand Central Station, dem weltgrössten Bahnhof in New York City, Teigwaren aus seiner geliebten Heimat entdeckte. Die Schweizer Hartweizen-Spaghetti aus Poschiavo kosten in den USA bis zu neun Dollar in der 500-Gramm-Packung. Davide Fisler, Direktor und Mitbesitzer der Molino e Pastificio SA in Poschiavo besitzt wohl die einzige Mühle mit Teigwarenproduktion in der Schweiz.1920 existierten in der Schweiz 78 Teigwarenfabriken, heute sind es nicht einmal ein Dutzend. Höchste Zeit, dass man vor lauter Pasta auch den Schweizer Teigwaren wieder mehr Beachtung schenkt.
Buchweizen vom Zollikerberg
Vor dem grossen grauen Fabrikgebäude an der Berninapass-Strasse(Via Principale 1) und gegenüber des Flusses Poschiavino, der 1987 über die Ufer trat und den Familienbetrieb stark beschädigte, steht ein Lastwagen. Heute wird die Mühle mit Buchweizen vom bekannten Weberhof in Zollikerberg (ZH) für feines Mehl und die eigene Pizzoccheri-Nudel-Produktion in die Fabrik beliefert. Rund 400 Tonnen verschiedene Getreidesorten werden hier pro Jahr gemahlen, auch in Lohnarbeit.Buchweizen ist kein Getreide, sondern gehört zu den Bohnen und ist eine Pflanzengattung in der Familie der Knöterichgewächse (Polygonaceae). Fisler: «Im Puschlav wird nur noch rund eine Tonne Buchweizen geerntet. Früher waren es weit mehr.»Es ist Hauptbestandteil der Puschlaver Spezialität Pizzoccheri. Bis Weber die Produktion in Zollikerberg aufnahm, mussten die Puschlaver den Rohstoff für ihre Spezialitäten aus dem Ausland importieren.
Quellwasser aus den Bergen
Was machen die Puschlaver Teigwaren einzigartig? Davide Fisler: «Wir verwenden qualitativ sehr gutes Quellwasser aus dem Tal. Die Kochfestigkeit ist besser, die Trocknung ist anders und langsamer.»
«Das Prinzip», sagt Firmenchef und Müllereitechniker Davide Fisler, «ist die heute automatisierte Teilwarenherstellung bei uns einfach. Flüssigkeit, das heisst unser Quellwasser aus den Bergen wird in unser selbst gemahlenes Mehl oder Hartweizengriess aus dem Silo eingearbeitet, diese Mischung in der Knetwanne maschinell 15 Minuten langsam aber ständig geknetet, um eine homogene Masse mit einem Anteil von etwa 25-30 Prozent Wasser zu erhalten.» Mit extrem hohen Druck (bis zu 115-120 bar) wird der Teig dann durch eine schwere Bronzematrize gedrückt. Diese auswechselbaren Matrizen bestimmen die Form der Nudel. Die neue Maschine aus Parma, Norditalien, kann bis 400 Kilo Teigwaren pro Stunde herstellen. Das Mehl wird im Nebengebäude in acht Walzenstühlen des renommierten Weltunternehmens Bühler aus Uzwil (SG), die 1969 in Deutschland gebaut wurden, gemahlen. Die Mahlkapazität beträgt 600 Kilo pro Stunde.
Die Teigwaren werden je nach Ausformung in einem Bandtrockner schonend in vier Trocknungszellen getrocknet. Dabei wird ihnen langsam und gleichmässig von innen nach aussen die Feuchtigkeit entzogen, damit die Nudeln keine Risse bilden. Am Ende besitzen die Teigwaren nur noch einen Wassergehalt von maximal dreizehn Prozent.
Ihre Haltbarmachung geschieht durch Trocknung in einem warmen und feuchten Luftstrom, der nach und nach den Wassergehalt des Nahrungsmittels verringert. Dieses Verfahren ist nicht ohne Tücke: Wird es zu langsam durchgeführt, schimmeln die Teigwaren, geschieht es zu schnell, werden sie rissig oder zerbrechlich.
«Es ist ein Spiel zwischen Temperatur und Wärme. Eine langsame und kontinuierliche Trocknung ist gut. Ein ‹Jonglieren› zwischen Feuchtigkeit und Trockenheit», meint Fachmann Davide Fisler (49), der die Produktion überwacht. «Man muss die Spaghetti schwitzen lassen. Wir geben ihnen dafür bei rund 48 Grad Celsius 13 bis 20 Stunden Zeit.
Jede Teigwarensorte hat andere Trocknungszeiten. Später wird die Pasta in die gewünschte Länge geschnitten. Anschliessend werden sie noch von Hand verpackt, schön konfektioniert und in den Handel ausgeliefert.Wir verwenden doppelwelligen Spezialkarten für die Verpackung aus Italien. Das dunkelblaue Lebensmittelpapier für das manuelle Einpacken der Spaghetti, von dem sie etwa drei Tonnen pro Jahr brauchen, stammt aus Schweden. Logo und Verpackung sind seit 100 Jahren fast gleich geblieben. «Getrocknete Teigwaren halten sich an einem kühlen und trockenen Ort unbegrenzt» sagt Fachmann Davide Fisler.
Nach (italienischer) Tradition bestehen auch Fislers eifreie Teigwaren vorwiegend aus Hartweizen, der viel Protein und Gluten, aber nur wenig Stärke enthält. Hartweizen ergibt eine kochfeste Nudel, die gleichzeitig fest bleibt und kaum klebt.«Wir haben in unserem Betrieb schätzungsweise schon 130 verschiedene Teigwaren hergestellt, früher eher mehr. Lange und ganz verschiedene. Im Sortiment führen wir aktuell drei Lang- und fünf Kurzteigwaren. Fisler: «Wir produzieren 90 Prozent Spaghetti, welche 42 cm langen Spaghetti sind und einen Durchmesser von 2,1 mm haben.»
Für seine Tagwaren verwendet Fisler primär Hartweizengriess aus Kanada und der EU. Auch für die berühmten Ternetta stammt der Weizen aus Nordamerika. Es ist eine lange, plane Pastaform, sehr ähnlich wie Linguine oder Trenette. Davide Fisler: «Diese Pasta passt zu beliebigen Saucen. Sie schmeckt besonders gut mit Thunfisch-Sauce oder mit Oliven und frischen Kirschtomaten. Grösse: Länge 42 cm, Dicke 5×1,5 mm.»
«Etwas mit Vollkorn machen»
Wie sieht Fisler die Pasta-Zukunft? Mehl aus Reis? Gerade der Kamut oder Khorasan-Weizen, eine der ältesten naturbelassenen Weizensorten der Welt wird neu entdeckt. Davide Fisler: «Es gibt heute viele neue Formen und Formate. Vielleicht könnte man in der Zukunft etwas mit Vollkorn machen: Fit-Teigwaren und auch Dinkelprodukte sind möglicherweise ein Thema. Wir überlegen uns, einen Teil der Produktion in Bio-Qualität zu produzieren.»
Das innovative Unternehmen, das selbst über eine Kaplan-Wasserturbine für die Energiegewinnung in Keller besitzt, macht auch ständig neue Teigwarenversuche. Die Anlage produziert 60 Kilowatt pro Stunde. Das Wasser kommt aus dem Poschiavino.
Direktor Davide Fisler setzt stark auf den einheimischen Markt, der aber stagniert. Viel Marketing braucht er aber nicht: «Unsere Mund-zu-Mund-Propaganda läuft sehr gut.» Durch das gute Image der altbewährten, 108 Jahre alten Marke – nicht nur wegen den berühmten, beinahe einen Meter langen «Spaghetti giganti XXL» –, kann das Unternehmen mit der gleichnamigen Marke «Molino e Pastificio SA» gut leben. Konkurrenz ortet Fisler in den vielen kleinen (Frisch-)Pastaproduzenten. Auch die Restaurants würde immer mehr selbst produzieren.
Über 1'000 Kunden in der Schweiz
Den grössten Teil seiner Produktion – Pasta und Mehl – nämlich 80 Prozent, verkauft Davide Fisler an den Detailhandel, zehn Prozebt an die Gastronomie, zehn Prozent werden weltweit exportiert.Davide Fisler: «Wir beliefern über 1'000 Kunden in der Schweiz.» In der Schweiz sind die Poschiaviner Teigwaren bei Globus (Delicatessa), Coop Graubünden, Landi-Läden Graubünden und in Delikatessengeschäften erhältlich. Natürlich auch im Onlineshop von www.pastificio.ch. «Wir lassen einen grossen Teil unserer Eigenmarken-Teigwaren in der Schweiz produzieren. Daneben bieten wir eine grosse Auswahl an Teigwaren von regionalen Produzenten an. Dazu gehören beispielsweise Molino e Pastificio SA in Graubünden», bestätigt Coop-Sprecherin Andrea Bergmann. Die meistens Restaurants im Puschlav oder beispielsweise das Casino Theater Winterthur, das Hotel Station in Pontresina oder das «Moment» in Bern, viele Hotels wie das Albergo Le Prese oder das Arosa Kulm sind Kunden. Im Ausland ist unter anderem der britische Starkoch Jamie Oliver aus London ein Fan der Spaghetti aus Südbünden. Er setzt sich schon lange für bessere Ernährung ein und fordert Kochunterricht an Schulen. Oliver bleibt stets optimistisch, obschon er im Frühjahr 2019 seine Restaurantkette «Jamie's Italian» wegen Insolvenz schliessen musste. Mit seinem neuen Kochbuch «Jamie kocht Italien» («Jamie Cooks Italy») will er mehr als nur Rezepte liefern. Bekannt geworden ist er durch die gleichnamige BBC-Reihe als »Naked Chef» – so betitelt, weil er immer mit nackten Händen im Essen herumfuhrwerkte, bevor er es mit «viel gutem Olivenöl» veredelte. «Im Ausland werden unsere Produkte von Vertretern verkauft und vertrieben. In Europa vor allem nach Grossbritannien, Frankreich und Deutschland, in den USA von der Ost- bis an die Westküste. Auch in Singapur sind unsere Teigwaren erhältlich.»
Polenta für die Armee
Fisler und sein Team mahlen und produzieren auch Maisgriess für die Schweizer Armee. «Da heute immer weniger Polenta oder Bramata im Militär gegessen wird, der Absatz zurückgeht, wäre es schön, wenn wir zukünftig dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS auch Teigwaren aus dem Puschlav liefern zu können. Wir haben beste Qualität und der Preis stimmt auch. Qualität hat ihren Preis», sagt Fisler. Heute gibt es in der Schweiz nur noch vier Mühlen, die Maisgriess herstellen.
Pro-Kopf-Verbrauch: neu Kilo
In der Schweiz liegt der Pro-Kopf-Verbrauch bei rund neun Kilo Nudeln pro Jahr mit sinkender Tendenz (siehe Kasten). Früher waren es etwa 9,5 Kilo. «Ich gehe nicht davon aus, dass das weniger geworden ist. Tatsache ist, die Griechinnen und Griechen essen mehr Teigwaren pro Kopf noch mehr. Konsum: Italien rund 20 Kilo pro Jahr, gefolgt von Griechenland, etwa elf Kilo, und der Schweiz», sagt Beat Grüter, Präsident SwissPasta, der Vereinigung der Schweizerischen Teigwarenindustrie in Frauenfeld.
Das aus dem lateinischen stammende Wort «Pasta» bedeutet so viel wie «Teig».Woher die Nudel kommt, streiten sich Forscher bis heute. Aus Arabien, China oder sogar Italien? 2005 machten Archäologen in China in den Überresten einer jungsteinzeitlichen Siedlung einen sensationellen Fund. Sie gruben am Ufer des Gelben Flusses einen rund 4'000 Jahre alten Steinguttopf mit Spaghetti ähnlichen Teigwaren aus. Bis heute ist in China die Palette an Nudelarten und Nudelformen gross. Chinesische Nudeln werden aus verschiedenen Mehlsorten hergestellt. Neben Weizenmehl benutzen sie Mais- und Reismehl. Wie allerdings die Pasta von China nach Europa gelangte, ist nach wie vor ein Rätsel.
Spezialmengen für die Gastronomie
«Ich finde die Teigwaren von der Qualität, Verarbeitung – Kochzeit zirka 15 Minuten –, dem Aussehen, Textur und Würze ideal. Sie kommen aus der Region und sind in grösserer Menge für die Gastronomie extra verpackt erhältlich», sagt Claudio Zanolari, Küchenchef, Mitbesitzer und Hotelier der Albergo «Croce Bianca» in Poschiavo GR (siehe Spaghetti-Rezept).
Fisler bietet für die Gastronomie Zehn-Kilo-Packungen an oder auch 2,5 Kilo Beutel. Pizzoccheri werden in Acht-Kilo-Packungen angeboten. Dementsprechend sind auch die Preise günstiger. Normalerweise werden die Teigwaren in 500-Gramm-Packungen konfektioniert. Spaghetti kosten für die Gastronomie drei Franken ab Fabrik. Davide Fisler: «Da wir abgelegen produzieren, sind die Transportkosten eher teuer. Also müssen wir zirka einen zusätzlichen Franken auf dem Preis berechnen.»
25. Oktober ist Weltnudeltag
Konrad Schmid, pensionierter Fachlehrer und eidg. dipl. Küchenchef aus Ottoberg TG kennt die Teigwaren schon seit Langem und verwendet sie immer noch zu Hause. Auch Koch und Restaurateur Ueli Kopp (er war 50 Jahre in der Gastronomie tätig), hatte die Teigwaren immer in seinem Bistro mit Delikatessen «Amuse-Bouche» in Kreuzlingen im Sortiment. Die fast metrigen «Spaghetti giganti XXL» fanden reissenden Absatz.
Welche Pasta mag Direktor Fisler am liebsten? «Ich habe alle Teigwarensorten gerne. Am liebsten mit Öl und Knoblauch!»
Kontakt:Molino e Pastificio SA,Davide Fisler, Via Principale 1, CH-7742 Poschiavo, Telefon Tel +41 (0)81 844 02 28, Telefax +41 (0)81 844 19 38, info@pastificio.ch, www.pastificio.ch. Betriebsbesichtigungen sind nach Voranmeldung und Verfügbarkeit möglich (nur Gruppen ab acht Personen) Eine Führung dauert rund 1,5 Stunden und kostet 100 Franken. Schulen sind gratis.
___________________________
Schweizer Teigwarenmarkt
Teigwarenkonsum über neun Kilo pro Person
In der Schweiz wird viel Teigwaren gegessen. Im Durchschnitt über neun Kilo pro Person im Jahr, wie Beat Grüter, Präsident der Vereinigung der Schweizerischen Teigwarenindustrie «SwissPasta» in Frauenfeld bestätigt. «Der Pro-Kopf-Verbrauch bedeutet europaweit Rang 3 hinter Italien (rund 20 Kilo) und Griechenland.» Insgesamt verzehrten die schätzungsweise 2018 fast 8,5 Millionen Menschen hierzulande etwa 75'000 Tonnen Teigwaren, davon ist der Anteil der Schweizer Teigwarenhersteller, etwa 40'000 Tonnen. Genaue Zahlen werden nicht mehr erhoben. Beat Grüter geht davon aus, dass in der rund 40 bis 45 Prozent des Verbrauchs selber herstellen wird. Der Rest wird importiert. Der Export von Schweizer Teigwaren bleibt konstant.
«Die Swissness erlaubt zwar einen leicht gehobenen Preis, aber nicht in dem Masse wie wir Hersteller dies gerne hätten», sagt SwissPasta-Präsident Beat Grüter. Die Schweiz stellt heute noch rund 45 Prozent der Teigwaren selber her. Die grossen einheimischen Mühlen stellen keine Teigwaren her. Grüter: «Es gibt kleinere Mühlen die das machen, jedoch in Mengen, die nicht marktrelevant sind.»
1920 existierten in der Schweiz 78 Teigwarenfabriken, heute sind es nur noch wenige. In der Vereinigung SwissPasta sind die folgenden Hersteller vertreten: Jowa AG, Pasta Premium AG, Pastificio Simona SA, Pasta Röthlin AG und Hilcona AG. Die fünf Unternehmen beschäftigen 250 Personen und erwirtschafteten 2018 einen Umsatz von 250 Millionen Franken.
www.fial.ch
Weltnudeltag am 25. Oktober
Feiert die Pasta! Nudeln zählen zu den Lieblingsgerichten der Schweizerinnen und Schweizer. Kein Wunder, sie haben viele Vorteile: Sie sind preiswert, einfach und vielseitig zuzubereiten und im besten Fall auch schmackhaft. Und weil Pasta so beliebt ist, gibt es natürlich einen besonderen Tag, der ganz in ihrem Zeichen steht: Der 25. Oktober ist Weltnudeltag(World Pasta Day).
Im Gegensatz anderen kulinarischen Feiertagen gibt es im Falle des World Pasta Day sehr konkrete Angaben darüber, von wem er ins Leben gerufen wurde, seit wann er gefeiert wird und warum sich seine Initiatoren ausgerechnet für den 25. Oktober entschieden haben. Initiiert wurde der Tag durch den sogenannten World Pasta Kongress 1995, bei dem jedes Jahr 40 Nudel- und Pasta-Hersteller aus aller Welt an wechselnden Orten zusammenkommen. Ziel dieses Nudel-Feiertages sei es, die Wertigkeit und kulinarische Bandbreite von Nudeln für die globale Ernährung ins öffentliche Bewusstsein zu schaffen, sagen die Initiatoren. Es ist wohl eine gute Werbeaktion der Pasta-Hersteller.Guten Appetit!