Sie müssen klettern, fegen, putzen, entsorgen, rapportieren, kontrollieren, beraten, zuhören und sie gelten auch als Glücksbringer: die schwarz gekleideten Männer und Frauen. Sie sind Sicherheits-, Brandschutz-, Umwelt- und Energie-Experten: Der Kaminfeger klingelt im Schnitt einmal im Jahr. Er oder sie trägt zur schwarzen Montur mit Goldknöpfen manchmal einen Zylinder. Per Anfang Jahr wurde das Kaminfegerwesen auch im Kanton Thurgau liberalisiert. Auf der Internetseite gvtg.ch der Gebäudeversicherung Thurgau findet man die aktualisierte Liste der im Kanton zur Berufsausübung zugelassenen Kaminfeger. 17 Betriebe sind momentan aufgeführt. «Ihr bisheriger Kaminfeger wird sich aber weiterhin wie gewohnt bei Ihnen melden und die Kontroll- und Reinigungsarbeiten anbieten», steht im aktuellen Infoblatt der Gemeinde Pfyn-Dettighofen. So weit, so gut.

Neue Firma fehlte bislang auf der Liste

Dort schreibt Emil Oertle, Kaminfegermeister mit eigener Firma aus Wigoltingen in der «Pfyner-Info» sowie in einem Informationsblatt, das er Ende März auch an seine Kunden und an die zuständigen Gemeinden verschickte: «Ich möchte mich für die jahrelange sehr gute Zusammenarbeit mit der Behörde und der Kundschaft von Pfyn bedanken. Ich habe in Florian Donatsch einen jungen, dynamischen Nachfolger gefunden, der das Geschäft ab dem 1. April 2021 (kein Scherz) weiterführt. Florian Donatsch kann ich Ihnen bestens empfehlen und hoffe, dass Sie ihm dieses Vertrauen auch schenken. Geben Sie dem jungen Kaminfeger eine Chance. Für die Zukunft wünsche ich allen viel Glück und Gesundheit. Ihr Kaminfegermeister Emil Oertle.» Kaminfeger und Jungunternehmer Florian Donatsch (Jahrgang 1997) aus Steckborn ergänzt: «Es freut mich, dass ich auf den 1. April 2021 das Kaminfegergeschäft von Emil Oertle übernehmen darf. Zusammen mit meinen Mitarbeitern freue ich mich auf die neue Herausforderung und hoffe, dass ich ebenfalls auf Ihr Vertrauen zählen darf.» Kurz und ungut: Auf der Liste der zugelassenen Kaminfegerunternehmen fehlte seine Firma bis zum 15. April. 

«Bis heute keine Bewilligung zur Berufsausübung»

Warum fehlt diesem Kaminfeger bis heute die Bewilligung zur Berufsausübung? «Wir können Ihnen gestützt auf § 24 Abs. 4 FSG mitteilen, dass wir Herrn Florian Donatsch, Gesellschafter und Geschäftsführer der Donatsch Kaminfeger GmbH, Brunnenwies 2, 8556 Wigoltingen, bis heute keine Bewilligung zur Berufsausübung im Sinne von § 24 FSG erteilt haben», schrieb uns Milos Daniel, Direktor der Gebäudeversicherung Thurgau GVTG am 8. April dazu.

Am 16. April mailt Daniel auf unsere weitere Nachfrage: «Der Donatsch Kaminfeger GmbH wurde keine Ausnahmebewilligung erteilt. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei der Bewilligung im Sinne von Artikel § 24 des Gesetzes über den Feuerschutz (Feuerschutzgesetz, FSG) vom 11. September 2019 um eine Bewilligung für natürliche Personen zur Berufsausübung handelt. Als Bewilligungsinhaber im Sinne von § 24 FSG ist bei der Donatsch Kaminfeger GmbH Emil Oertle (Kaminfegermeister) gemeldet.»

Im Gesetz über den Feuerschutz FSG (Stand Januar 2021) steht unter Artikel 24: «[…] Kaminfegerinnen und Kaminfeger bedürfen zur selbständigen Berufsausübung einer Bewilligung des zuständigen kantonalen Amtes. Bewerberinnen und Bewerbern mit einem Meisterdiplom des Schweizerischen Kaminfegermeisterverbandes oder einem gleichwertigen Ausbildungsnachweis wird eine Bewilligung erteilt.»

«Es gibt keine Abmachungen»

Wie lautet die genaue Begründung für die nachträgliche Bewilligung für Donatsch GmbH durch das zuständige Amt? «Artikel 24 Abs. 2 FSG verlangt als Voraussetzung für die Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung das Meisterdiplom des Schweizerischen Kaminfegermeisterverbandes. Emil Oertle verfügt über dieses und ist, wie in Ziffer 3 bereits ausgeführt, bei der Donatsch Kaminfeger GmbH als Bewilligungsinhaber gemeldet.» 

Was sind die festgelegten Bedingungen an den Kaminfeger und Geschäftsführer Donatsch ohne Meisterausbildung? Milos Daniel: «Es gibt keine Abmachungen. Die Rahmenbedingungen ergeben sich aus dem Gesetz und der Weisung.»

Meisterprüfung bis Ende Jahr?

«Ich habe noch keine Meisterprüfung als Kaminfeger. Ende Jahr sollte ich sie gemacht haben», erklärte Florian Donatsch, der in Steckborn am Untersee lebt und aufgewachsen ist, am 3. April am Telefon. «Wir möchten eine Übergangsbewilligung bis Ende Jahr bekommen. Herr Oertle, Kaminfegermeister, ist ja auch in meiner Firma.» Mehr wollte der 24-Jährige dazu nicht sagen. Die neu beschrifteten Geschäftswagen mit dem Firmenlogo sind bereits unterwegs. 

«Die Bewilligung ist nicht übertragbar»

Und wie sieht das Kaminfegermeister Emil Oertle? «Herr Donatsch hat ja die Konzession von mir, da ich auch in der neuen Firma drin bin. Ich kann ihm aushelfen, er ist Geschäftsführer und ich trage die Verantwortung. Wir haben eine zweijährige Übergangslösung für Florian Donatsch beim Kanton eingereicht.Wenn er bis dann die Meisterprüfung nicht hat, so hat er Pech gehabt», sagt er am Telefon. Oertle ist laut Handelsregister mit 1'000 Franken oder 1/20 an der Donatsch Kaminfeger GmbH beteiligt. Oertle, der seit über dreissig Jahren als Kaminfegermeister in Wigoltingen in den umliegenden Gemeinden tätig ist, möchte dann «langsam zurücktreten». Vorerst muss er nochmals die schwarze Kluft anziehen und in Kamine steigen, gereinigte Feuerungsanlagen und deren Brandschutzvorschriften  kontrollieren.

In der Weisung der Gebäudeversicherung Thurgau vom Januar 2021 steht unter Punkt 2.1 d): «Die Bewilligung ist nicht übertragbar und gilt für das gesamte Kantonsgebiet.» Milos Daniel von der Gebäudeversicherung: «Emil Oertle verfügte bereits nach altem Recht über eine Konzession als Kaminfegermeister im Kanton Thurgau und erfüllt damit alle notwendigen Voraussetzungen. Er ist bei der Donatsch Kaminfeger GmbH insbesondere als zuständig gemeldet für die Wahrnehmung der Aufgaben gemäss Ziffer 2.2 a) der Weisung über die Kaminfegerarbeiten und die Reinigungsfristen im Kanton Thurgau vom 8. Januar 2021 (nachfolgend Weisung genannt).»

Pro forma als Konzessionsinhaber?

Auf der neuen Liste der Thurgauer Kaminfegermeisterbetriebe ist jetzt Emil Oertle als «Bewilligungsinhaber» bei der Donatsch GmbH aufgeführt. Fungiert Emil Oertle, Kaminfegermeister, der altershalber im März 2021 sein Geschäft in Wigoltingen an Donatsch übergab, pro forma als Konzessionsinhaber? Direktor Milos Daniel: «Die zur Berufsausübung zugelassene Kaminfegerin oder der zur Berufsausübung zugelassene Kaminfeger im Sinne von § 24 FSG, die oder der bei der Donatsch Kaminfeger GmbH die entsprechenden Pflichten wahrnehmen muss, hat keine Verpflichtung Gesellschafterin oder Gesellschafter zu sein. Der Umfang der finanziellen Beteiligung am Unternehmen ist nicht relevant. Das Gesetz gibt keine Vorgaben zur gesellschaftsrechtlichen Organisation der einzelnen Kaminfegerbetriebe.»

Verband will sich nicht äussern

In der Branche der «Glücksbringer», die für Qualität bürgt, ist zu diesem Vorgehen teilweise von «Unverständnis» bis hin zu «grosser Befremdung» die Rede. Öffentlich möchte sich niemand äussern. In der Weisung der Gebäudeversicherung Thurgau vom Januar 2021 steht: «Die Bewilligung ist nicht übertragbar und gilt für das gesamte Kantonsgebiet.»

Was sagt der Thurgauer Kaminfegermeisterverband KMV-TG dazu? Was empfiehlt oder fordert er? Es bleibt unklar. Nach einem Telefongespräch Anfang April mit Kantonalpräsidenten Walter Tanner, Kaminfegermeister in Kreuzlingen, folgt bald danach eine E-Mail von ihm: «Ich nehme Bezug auf das Telefongespräch vom Ostersamstag, 3. April 2021 um 12:01 Uhr. Ich weise Sie darauf hin, dass ohne meine schriftliche Zustimmung keinerlei Zitate oder Aussagen veröffentlicht werden dürfen. Wie schon erwähnt ist in dieser Sache die Gebäudeversicherung Thurgau die zuständige Stelle.»

Fachausbildung kostet bis 60'000 Franken

Gesprächiger zeigt sich Paul Grässli aus Grabs SG, Präsident von Kaminfeger Schweiz, dem Berufsverband der Schweizer Kaminfegermeister und Kaminfegermeisterinnen mit Sitz in Aarau: «Die Vorschrift, die Meisterprüfung absolvieren zu müssen, um einen Betrieb führen und Lernenden ausbilden zu können, ist kantonal geregelt und in den meisten Kantonen der Schweiz vorgeschrieben.» Der Meisterbrief ist bewährte Basis für Schweizer Handwerksqualität. Auch Kaminfegermeister Grässli lobt ihn. «Für mich ist es sehr wichtig, dass ein Kaminfeger oder eine Kaminfegerin die Fachausbildung zum Meister und zur Meisterin absolviert.» Die Kaminfegerlehre EFZ sei eine fachtechnisch sehr gute Grundausbildung. Die Weiterbildung zum eidgenössisch diplomierten Kaminfeger-Vorarbeiter und anschliessend zum Kaminfegermeister oder zur Kaminfegermeisterin sei von Vorteil. «Dann stehen den Berufsleuten alle Höheren Fachschulen offen. Die Höhere Fachausbildung als Kaminfegermeister/-in dauert in der Regel zwei Jahre. Diese Fachausbildung kostet zwischen 40'000 und 60'000 Franken», bestätigt Kaminfegermeister Paul Grässli (60) «mit freundlichen Grüssen aus dem Hause der Glücksbringer» vom Verband Kaminfeger Schweiz aus Aarau. Der Schweizerische Kaminfegermeister-Verband wurde 1897 in Bern als Genossenschaft gegründet. Bis 1949 befand sich der Sitz in Flawil SG, anschliessend wurde nach Aarau disloziert. Der Schweizerische Kaminfeger-Gesellen-Verband befindet sich in Buchs AG.

Während sich die einen meisterlich in Szene setzen, müssen andere einen Meisterbrief vorweisen. Letzteres ist nicht falsch. Der Meistertitel ist die heilige Kuh des Schweizer Handwerks. Nur wer ihn bei den Kaminfegern hat, darf sich selbständig machen und ausbilden.

«Dem Öffentlichkeitsprinzip genüge getan»

Zum Entscheid mailte Gebäudeversicherungsleiter Milos Daniel am 12. April: «Zum zeitlichen Ablauf kann ich aktuell keine Aussagen machen. Wir werden Sie aber, soweit zulässig, informieren.» Drei Tage später wurde die Bewilligung für die Firma Donatsch auf die GVTG-Internetseite gestellt. Daniel bekam am 16. April einen Fragenkatalog (mit Kopie an die zuständige Regierungsrätin Cornelia Komposch), dazu Stellung zu nehmen. Sein Fazit: «Im Übrigen ist mit der Veröffentlichung dem Öffentlichkeitsprinzip genüge getan.»