Grosse grüne Flächen zwischen dem Bodensee und der Hauptstrasse von Güttingen nach Romanshorn. Vor dieser Kulisse gedeihen auf fünf Hektaren Land die Essiggurken von Benjamin Vogel. Auf dem sogenannten 13 Meter breiten «Gurkenflieger» liegen zwölf Erntehelfer bäuchlings auf einer mit Schaumstoffmatratzen gepolsterten Liegefläche, der von einem Traktor gezogen wird. Auf einem Anhänger werden Paloxen für die Gurken nachgezogen. Die spezielle Erntemaschine stammt vom deutschen Unternehmen Fleischmann Maschinenbau und Landtechnik aus Landau an der Isar. Die liegend arbeitenden Helfer pflücken die bis neun Zentimeter kleinen Gurken von Hand, sammeln die Früchte durch die Blätter. Das Fahrzeug bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 16 bis 70 Metern pro Stunde. Die Erntehelfer arbeiten bis zu zwölf Stunden am Tag. Pro Hektare werden etwa 3'000 Arbeitsstunden gebraucht. Im Durchschnitt können pro Stunde und Person bis zu 15 Kilo Gurken gepflückt werden. Verarbeitet werden die Gurken von der Firma Reitzel Suisse SA im 300 Kilometer entfernten Aigle im Waadtland. Benjamin Vogel erwartet heuer eine Ernte von 160 Tonnen.

_____________

Die Interessengemeinschaft IG Essiggurken Schweiz mit 13 Mitgliedern erwartet bis Mitte September eine Menge von 600 Tonnen. Der Gurkenverarbeiter Reitzel Suisse AG in Aigle VD fördert als einziges Unternehmen den Essiggurken-Anbau im Land (Markenname «Hugo»). Die gesamte Anbaufläche beträgt fast 50 Hektaren in der Schweiz.

_____________

«Über 30 osteuropäische Erntehelfer habe ich heuer auf unserem Betrieb angestellt», erzählt Landwirt Benjamin Vogel (35). Die Personalkosten seien ein bedeutender Faktor in der Produktion. Entsprechend hat sich die Gurkenproduktion verteuert. Ein Glas Schweizer «Hugo»-Gurken von Reitzel (Suisse) SA in Aigle, dem noch einzigen Essiggurken-Cornichons-Herstellers im Land, kosten im Verkauf rund fünf Franken. Reitzel hält standhaft an der letzten Schweizer Konservenfabrik für Essigprodukte fest, obschon alle anderen Marktteilnehmer ihre Produktion längst ausgelagert haben. Das Waadtländer Unternehmen ist der einzige Hersteller von Schweizer Essiggurken, die unter dem Markennamen «Hugo» vertrieben werden. Seit 1909 setzt sich die nach ihrem Gründer benannte Firma mit viel Engagement dafür ein, ihr Know-how in Aigle zu bewahren.

Ein Winter ohne Raclette? Bei uns fast undenkbar. Doch genauso wichtig wie der Käse sind seine Begleiter, die unsere Leibspeise perfekt machen: Cornichons, die knackigen Essiggurken aus dem Glas. «Mit ihrem leicht bitteren Aroma gleichen sie den herzhaften Käse aus und beruhigen den Magen», schreibt das Gastromagazin «Salz & Pfeffer».

Personalrekrutierung immer schwieriger

Das häufige Überpflücken (rund 23 Mal pro Feld und Reihe) bedinge viele Arbeitskräfte. Das Rekrutieren des Erntepersonals sei eine grosse Herausforderung, sagt Benjamin Vogel. Er arbeitet seit vielen Jahren mit polnischen und neuerdings auch mit rumänischen Mitarbeitenden zusammen. Daraus hat sich ein kleines Netzwerk ergeben. Vogel: «Es sind meistens junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren, darunter auch Studierende. Trotz langjährigen Beziehungen wird es aber immer schwieriger, die notwendige Anzahl Personen zu finden.» Grund: Vor allem die Jungen seien die körperliche Arbeit nicht mehr gewohnt. 

Erste Versuche bereits 1986

«Mein Vater, so erzählt Sohn Benjamin Vogel, «hat bereits 1986 die ersten Anbauversuche auf fünf Aren der Spezialkultur Essiggurken begonnen, jährlich ausgedehnt und er ist im Betrieb nicht mehr wegzudenken.» Ferdinand Vogel baute 1996 selbst ein Gurkenpflückmobil für 6 bis 8 Personen und erweiterte den Anbau auf eine halbe Hektare.

Benjamin Vogel, Meisterlandwirt und Betriebsleiter, bewirtschaftet zusammen mit seiner Lebenspartnerin Ilona Koziolkiewicz rund 19,5 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) auf dem eigenen Hof «Moosholz» in Kesswil. Er hat den Betrieb 2019 von seinem Vater Ferdinand Vogel (69) übernommen. Hauptbetriebszweige sind seit 2012 der Anbau von Essiggurken, Erdbeeren und Kirschen. Zusätzlich baut Vogel Getreide, Raps und Mais an. Der Betrieb wird seit 2013 viehlos bewirtschaftet. 

Arbeitsintensive Ernte

Die Kürbisgewächse werden Anfang bis Mitte Mai gesät und mögen warme Temperaturen um 25 Grad Celsius. Hohe Nachttemperaturen über 16 Grad fördern das Wachstum. «Eine Gurke kann dann 3 bis 4 Zentimeter pro Tag wachsen. Die Pflanzen sind frohwüchsig und seit Anfang Juli haben wir mit der Ernte begonnen», berichtet Vogel. Diese dauert in der Regel zehn Wochen, heuer bis Mitte September.  «Die Ernte ist sehr arbeitsintensiv. Damit die Gurken marktfähig sind, müssen sie länger als vier Zentimeter (Cornichons), aber kürzer als neun Zentimeter (Essiggurken) sein. Das bedingt, dass im Schnitt jeden zweiten Tag geerntet werden muss und dies über sieben Tage die Woche.»

Pro Hektar 40‘000 Samenkörner 

Die Gurke (Cucumis sativus), auch als Kukumer und Gartengurke bezeichnet, stammt aus der Familie der Kürbisgewächse. Sie gehört zu den wirtschaftlich bedeutendsten Gemüsearten. Die Essiggurken sind in unserer Esskultur etwas Besonderes. 

Die Interessengemeinschaft IG Essiggurken Schweiz mit Sitz in Sevelen SG (siehe Kasten) kauft für ihre Mitglieder zentral Gurkensamen (Saatgut) von einer holländischen Firma ein. Es sind fünf verschiedene Sorten. Pro Hektar werden rund 40'000 Samenkörner benötigt.

«Mir gefällt die Saatbeet-Zubereitung»

Was fasziniert Benjamin an dieser alten Kulturpflanze? «Mir gefällt der ganze Prozess von der Saatbeetzubereitung, der Pflege bis zur Ernte. Auch der Kontakt mit den vielen Mitarbeitenden aus unterschiedlichen Kulturen ist bereichernd  Wir kaufen die Samen über die IG ein und ziehen auch viele Pflanzen selber. Heute kommt eine Sämaschine für die Direktsaat im Mai zum Einsatz.»

Die Essiggurken werden auf schwarzen biologisch abbaubaren Mulchfolien gepflanzt. «Mit dem Einsatz der Mulchfolie kann der Einsatz von Herbiziden reduziert oder verzichtet werden.» Die Folien sind auch für die Erntehelfer wichtig, denn bei zuviel Unkraut in den Reihen, wird die Ernte der kleinen Gurken erschwert. 

Was braucht es für eine Bodenbeschaffenheit, damit die Gurken gedeihen? Benjamin Vogel: «Ein tiefgründiger gesunder Boden mit ausgeglichener Nährstoffversorgung ist für diese Pflanze wichtig.» Die Gurke sei eine zehrende Frucht und verlangt eine gute Bodenstruktur ohne Bodenverdichtung.

Welche Ansprüche stellen die Gurken an die Fruchtfolge? «Gurken sollten höchstens im Vierjahresrhythmus auf derselben Parzelle angebaut werden. Mit Nachbarbetrieben tausche ich Flächen ab, um die Anbaupausen auszuweiten und eine vielfältige Fruchtfolge zu haben», sagt Vogel.

Mehltau und zu grosse Gurken

Der Falsche Mehltau ist seit Langem auch die gefürchtete Pflanzenkrankheit bei den Gurken. «In der Tat», so Vogel, «stellt der Falsche Mehltau eine grosse Herausforderung dar. Es wird geschaut, dass der Bestand nicht zu dicht wird (Mikroklima). Nester müssen zeitnah behandelt werden.» Das Abstimmen von Pflanzenschutzmassnahmen und der Ernte, unter Berücksichtigung der Wartefristen, verlange eine minutiöse Planung, Erfahrung und Fingerspitzengefühl, so Vogel.

Was macht Landwirt mit zu grossen Gurken? «Sie müssen ebenfalls gleich geerntet werden – damit die Pflanze weiter blüht und Gurken produziert – und wir können sie primär als Viehfutter verwenden oder kompostieren. Wir versuchen, so wenig wie möglich wegzuwerfen.»

Kontakt: Betrieb Vogel, Moosholz, CH-8593 Kesswil TG, Telefon +41 79 103 98 80, vogel.moosholz@bluewin.ch

___________________________

Interessengemeinschaft IG Essiggurken Schweiz:
Non-Profit-Organisation in den 1980er-Jahren gegründet.

Die Interessengemeinschaft IG Essiggurken Schweiz wurde in den 1980er-Jahren in der Ostschweiz gegründet. Treibende Kraft war Peter Konrad (75), von 1980 bis 2012 Zentralstellenleiter für Gemüse- und Beerenbau des Kantons Thurgau am Arenenberg in Salenstein. Einer der ersten Präsidenten der IG Essiggurken war Biolandwirt Hansueli Mannale, Jahrgang 1953, aus Hessenreute TG. Bereits während seiner landwirtschaftlichen Ausbildung 1972 baute der damals 19-Jährige und gemeinsam mit seiner Mutter zehn Aren Essiggurken an, die sie einer Fabrik nach Lömmenschwil SG verkauften. Später (bis 2021) übernahm Ferdinand Vogel, Jahrgang 1953, das Präsidium der Interessengemeinschaft. 2016 bauten vier IG-Bauern auf rund fünf Hektaren Essiggurken an, 2017 waren es dann sechs Produzenten in der Deutschschweiz. Heute gehören der Interessengemeinschaft 13 Mitglieder aus den Kantonen Bern, St. Gallen, Thurgau und Zürich an, ein erster Biobetrieb steht in Zollbrück BE. Die Anbaufläche beträgt total 16,5 Hektaren. In den IG-Betrieben sind rund 100 Erntehelferinnen und -helfer im Einsatz. Zuerst war es eine lose Vereinigung, ein Zusammenschluss von Gurkenproduzenten in der Deutschschweiz. Ziel der IG war und ist es bis heute, die Interessen gegenüber den Verarbeitern (früher bis zur Schliessung die Firma Delifrais SA in Carouge GE, heute Reitzel Schweiz SA in Aigle VD) zu verhandeln. Die IG selbst – eine Non-Profit-Organisation – wirft keinen Gewinn ab. 2022 übernahm der Landwirt Stefan Litscher (42) aus Sevelen SG das Präsidium und die Geschäftsführung der Interessengemeinschaft. In der Westschweiz mit weiteren 25 Produzenten (Anbaufläche 2021, 25 ha), existiert keine solche Vereinigung der Essiggurkenproduzenten. Mit der Firma Reitzel bestehe ein Vertrag über die Lieferung von 600 Tonnen Gurken in fünf verschiedenen Grössen (Kalibern), bestätigt Litscher. «Nach einem der schlechtesten Produktionsergebnisse im vergangenen Jahr, erwartet die IG heuer bis Mitte September 2022 eine gute Ernte», sagt Stefan Litscher, der selbst auf zwei Hektaren Gurken anbaut. In der Schweiz werden pro Jahr rund 7'500 Tonnen Essiggurken und Cornichons konsumiert. Das macht nahezu ein Kilo pro Kopf. (uok)