Menschen wie Mikroben mögen Milch, und zwar aus denselben Gründen: Weil sie neben Wasser auch Eiweiss, Fett und Zucker enthält. Lange vor dem Bakteriologen Louis Pasteur (1822-1895) ist es den Menschen gelungen, sich die Aktivitäten der Mikroben zunutze zu machen, anstatt sie bekämpfen, und Milch haltbar zu machen. Der Franzose erkannte als erster, dass Mikroorganismen bei Fäulnis und Gärung mitwirken. Daraus leitete er folgende Idee ab: Beim Erhitzen von Lebensmitteln müssten nicht hitzebeständige Bakterien abgetötet werden. Dadurch könnte man sie keimfrei machen.

Der Casu Marzu ist eine kleine Delikatesse, die aus der Barbagia stammt. Die Barbagia ist das Herz von Sardinien. Ein weitläufiges Gebiet, das sich über die Hänge des Gennargentu, dem Bergmassiv in der Mitte der Insel zieht. «Mein Schwiegervater, der aus der Barbagia stammte, hat den Casu Marzu immer zu besonderen Anlässen besorgt. Man muss sich aber bewusst sein, dass der Käse sein Aroma durch den Verdauungsprozess von Maden bekommt – nicht jedermanns Sache», sagt Andrea Behrmann, eine deutsche Journalistin, die in Cagliari lebt und arbeitet. Die Larven, die manchmal bis zu 15 Zentimeter hochspringen, mögen auch nicht alle… Weitere Bezeichnungen für den «Stinker» Casu Marzu sind: Casu Modde, Casu Cundhídu oder Formaggio Marcio (italienisch).

Erste Cheese Bar der Insel

Zu allem, was die Sarden essen, tischen sie zusätzlich Käse auf. Auch er wird heute noch nach alten Rezepten hergestellt. Die Grundlage der Qualität der so bekannten sardischen Käsesorten wie Caprini, Fiore Sardo und Pecorino ist die aussergewöhnliche Beschaffenheit der Schaf- und Ziegenmilch auf der Insel. Wenn man Käse mag, findet man in Sardinien besondere Köstlichkeiten. In der Hauptstadt Cagliari wurde kürzlich die erste Cheese-Bar der Insel eröffnet.

«Alle Sarden essen ihn» 

Den Madenkäse Casu Marcu kennt auch der Schweizer Hotelier Luc Schwarz bestens. Er leitet seit zehn Jahren das Hotel Tirreno Resort in Orosei an der Ostküste der Insel. «Ich offeriere den Spezialkäse unseren Gästen bei meiner wöchentlichen Weindegustation. Der Käse ist jedoch wegen den EU-Lebensmittelvorschriften nicht im Handel erhältlich, doch alle Sarden essen ihn.»  Es ist ein exklusiver Schafskäse der so ab Mitte Mai an die Luft gelegt wird, damit die Käsefliege (Piophila casei) ihre Eier ablegen kann. «Durch die geborenen Würmchen entsteht dann eine Transformation im Innern des Käses. Er wird leicht hartflüssig und sehr scharf. Man schneidet bei der Käseform den Deckel auf und schon springen oder spicken einem die Würmchen entgegen. Mit einem Löffel schöpft und sticht man seine Portion ab. Der Käse wird auf das sardischen Brot «Pane Carasau» gegeben und solle gut gestrichen werden, sodass auch die Würmchen, welche ja nur aus Käse bestehen zerquetscht werden und nicht mehr leben, da ansonsten die Möglichkeit besteht, dass im Magen oder in den Gedärmen der Esser lebende Würmchen verbleiben könnten und die Magen oder Darmwände perforieren! Ich habe in all den Jahren jedoch nie von einem entsprechenden Krankheitsfall gehört.

Der Casu Marzu ist jedoch sehr saisonal und ist eigentlich meist erst ab etwa Mitte Juni bereit und bis Ende August bei den Hirten erhältlich. «Bereits im September und Oktober sind die Würmchen nicht mehr da und haben sich im Käse verpuppt», weiss der gebürtige Basler Hotelier Luc Schwarz (63). Ein Kilo Casu Marzu koste zwischen 15 und 16 Euro, sei jedoch in keinem Geschäft auf Sardinien oder auf dem italienischen Festland offiziell erhältlich. «Gewisse Bauern, die Schafskäse selbst herstellen, verkaufen diesen unter der Hand und unter der Garantie, dass dies nicht gemeldet wird. Auch die Restaurants dürfen den Casu Marzu nicht verkaufen», bestätigt Luc Schwarz, und fügt an: «Auch wir geben diesen Käse als Gratisbeilage bei der Weindegustation ab.»

Mit Schwarz kann man nicht nur über Hotelmanagement, Triathlon oder Fasnacht, sondern auch über Brot, Wein und Pecorino oder Caccioricotta aus Ziegenmilch reden.

Herstellung vom Pecorino abgeleitet

Der Herstellungsprozess ist von jenem des berühmten Pecorino Sardo abgeleitet, jedoch legen Käsefliegen der Art «Piophila casei» bei der Herstellung ihre Eier auf dem Käse ab. Die Maden dringen in den Käse ein und wandeln ihn durch Verdauung um, sodass er eine cremige Konsistenz und ein kräftiges Aroma bekommt und eine Flüssigkeit absondert, die Lacrima (Träne) genannt wird. Beim Verzehr befinden sich lebende Maden im Käse. Diese werden mitgegessen. Da die Larven dieser Art teilweise gegenüber Magensäure resistent sind, können diese über den Käse in den menschlichen Verdauungstrakt gelangen und dort eine Fliegenmadenkrankheit oder Myiasis verursachen.

Casu Marzu isst man ausschliesslich pur, höchstens noch mit dem typisch sardischen Brot «Pane Carasau». Einem Fernsehbericht zufolge, waren Produktion und Vertrieb 2005 nach dem EU-Lebensmittelrecht verboten. Es bestehen heute jedoch Bestrebungen, durch entsprechende hygienische Massnahmen sicherzustellen, dass die Fliegen nicht in Kontakt mit Kadavern kommen, sich also nur auf dem Käse niederlassen können.