Angefangen hat alles bei seinem Onkel, der in Neuenburg wirtete. Dort arbeitete er bereits als 13-Jähriger am Wochenende in der Küche, machte die Salate und half, wo es zu helfen gab. Die Welt der Köche gefiel ihm. Am 22. April 1968 begann er seine Lehre im Hotel Excelsior in Montreux.

Wenn Mosimann seine Geschichte erzählt, geht das Fenster zu einer alten, vergessenen Welt auf.

Nach einem halben Jahr lief es nicht nach dem Gusto des Küchenchefs, der daraufhin das Excelsior verliess und die Eltern Mosimanns informierte. Es sei nicht der ideale Ort für eine Lehre als Koch, sagte er ihnen, sie sollen für ihren Sohn eine neue Lehrstelle suchen. So kam er im zweiten Lehrjahr ins Berner Hotel Volkshaus, dem heutigen Hotel Bern.

Als die Eltern den Vertrag unterzeichneten, fragte der Hoteldirektor den Vater, wieviel Freizeit er dem Buben, dem Lehrling, geben soll. Der Vater: „Gebt ihm einen halben Tag, sonst tut er sowieso nur blöd.“ Ein halbes Jahr später besuchten die Eltern ihren Sohn in Bern und fragten, was los sei und weshalb er nicht mehr nach Hause komme. „Nun,“ antwortete der Sohn, „Ich habe am Montag einen halben Tag frei, am Montag ist Gewerbeschule, am Mittag muss ich von der Schule zurück in die Küche und dann  den Service machen, am Nachmittag zurück in die Schule und um 17 Uhr, wenn Feierabend ist, habe ich dann frei, wann soll ich denn noch nach Hause kommen? Ich muss dazu sagen, nach einem Jahr wurde im Kanton Bern die erste gesetzliche Regelung für Lehrlinge eingeführt und ich hatte von heute auf Morgen 1.5 Tage frei und mein Vater hatte recht, ich habe schon etwas blöd getan.“

Dank Mosimann soll hier auch erwähnt sein, dass in der Schweiz immer noch ein Gesetz gültig ist, nachdem bei Tageslicht geheiratet werden muss. Das Gesetz entstand in der Zeit, als sich künstliche Beleuchtungen noch nicht durchgesetzt hatten und es sollte verhindern, dass in der Dämmerung die falsche Braut getraut wird. Nun ja, er heiratete in Bülach. Bülach? „Der Götti meiner zukünfitgen Frau war Standesbeamter in Bülach und im Kanton Zürich war es Vorschrift, eben wegen dieses Gesetzes, dass am Samstag bis 12 Uhr geheiratet werden musste.“ Also fuhr der 21-jährige Lucien mit seiner noch nicht ganz 18-jährigen Braut Anne-Marie in einem alten Simca nach Bülach und sie hatten, oh Wunder, eine Panne. Er suchte das nächste Telefon und meldete die Verspätung, worauf der Schwiegervater meinte, dass man die Hochzeit verschieben müsse. Lucien Mosimann live: „Ich heirate deine Tochter einmal, nämlich genau heute und dann nicht mehr.“ Darauf gab es nichts mehr zu entgegnen, Gesetz hin oder her. Die beiden heirateten, machten sich selbständig und wirteten auf dem Campingplatz in Salavaux am Murtensee. Sie betrieben das Buvette und einen kleinen Selbstbedienungsladen.

Und dann warst du Kunde bei Kadi und bist Vize-Direktor geworden? Nein, nein, So einfach ist das nicht gewesen.

"Fünf Jahre haben wir das gemacht. Jeweils im Winter, wenn der Campingplatz geschlossen war, musste ich etwas Geld verdienen. Da habe ich verschiedene Jobs gemacht. Einen Winter lang Arbeit in einer Biscuitfabrik. Zwei Winter lang Kochen in einem Altersheim. Dann zwei Winter lang unterwegs mit einer fahrenden Schnapsbrennerei. Von Dorf zu Dorf. Das war eine der schönsten Zeit in meinem Leben.“

Die Bauern seien, das glaube man heute kaum mehr, mit Ihrer Maische und in Hemd und Kravatte gekommen. Das war ein freier Tag für Sie. Während der Schnaps gebrannt wurde, gingen die Bauern zusammen essen.

Nach den fünf Jahren und tausenden von Litern gebranntem Schnaps fing Mosimann bei der Effems - der heutigen Mars Schweiz – an. 9 Jahre. Zuerst als Vertreter für Mars, Oncle Bens Reis und Tiernahrung. Dann als Key Account für Grosskunden. Dann musste er – ganz nach amerikanischer Management-Kultur - an Seminaren teilnehmen. Einmal in Hamburg ging es 5 Tage um Konfliktgespräche. Am fünften Tag habe er seinen eigenen, inneren Konflikt bemerkt. Es war einfach zuviel, was er machte. Familie, Sport, Politik, Vereine, Geschäft. Er sagte sich, dass etwas geändert werden muss und kündete den Job.

Sein damaliger Chef bei Effems hatte inzwischen als Direktor zu Kadi gewechselt. Er rief ihn an, um mit ihm über seine Zukunft zu sprechen. Dieser lud ihn zum Essen ein und sagte, er solle zu Kadi kommen, es gebe viel zu tun und er brauche Unterstützung. Das war 1987. Die Zeit sei schnell vorbeigegangen. Bizarr sei gewesen, dass Kadi damals eine richtig langsam tickende, dem Berner Klischee entsprechende Firma war. Es war alles so langsam, während links und rechts die Wirtschaft vorbei boomte.

Irgendwann wurde Lucien Mosimann Vize-Direktor und unter vielem Anderen kreierte er mit seinen Leuten und einer Agentur aus dem Marketing zusammen einen Wettbewerb namens Goldener Koch, der die Schweizer Koch-Szene eroberte. Im Zuge der Entwicklung der Firma Kadi und ihrem Wettbewerb baute Mosimann das wohl weitreichendste Netzwerk unserer Branche auf und wurde – das ist die Einschätzung des Autors – zum Kit der Köche. Lucien Mosimann verbindet Alles und Alle.

 

Wer ist der Beste - Die Subjektivität der Listen

Vollführen wir an dieser Stelle einen krassen Themenwechsel und Fragen den Kit der Schweizer Köche, was er von der jüngsten Liste der 50 Besten Restaurants der Welt hält. Kein Schweizer Restaurant ist darauf zu finden, nicht ein einziges, das ist ein Witz. N’est pas?

„Nun ja,  im Dezember kam La List (https://www.laliste.com - 2015 gegründet vom französischen Botschafter Philippe Faure - nach seiner Darstellung "Führer der Führer": Für das Ranking wurden gegen 100.000 Restaurantkritiken aus 430 Gastroführern ausgewertet.) heraus. Darauf sind das Hotel de Ville in Crissier und das Drei König in Basel an 4. Stelle. An 8. Stelle ist das Dolder Grand in Zürich und Caminadas Schauenstein.

Jede Liste ist subjektiv, wie der Guide Michelin oder der Gault Millau auch. Es kommt darauf an, wer degustiert und klassiert. Es kommt darauf an, welche Zwecke und Interessen hinter der Liste stehen. Und das ist auch bei Kochwettbewerben so.

Dann kommt noch etwas dazu: Wir glauben, dass wir in der Schweiz die Besten sind. Weil es unsere Schweizer Küche ist und die kennen wir, die haben wir gern. Aber an dem Tag, an dem wir in den fernen Osten, Südamerika oder wo auch immer hinfahren und andere Sachen essen, merken wir, wow, das ist auch gut, anders, aber gut. Es ist also immer eine Betrachtungsweise.

Eigentlich – und das sage ich für mich – ist die kleine Dorfbeiz, die gerade im Moment ein gutes Eglifilet oder ein gutes Geschnetzeltes mit Rösti macht, das beste Restaurant der Welt. Das höre ich auch von vielen Leuten, mit denen ich rede. Und ich höre das auch von vielen Spitzenköchen.

Aber, um die Frage nochmals aufzunehmen, es gibt eine Scala, die ist unschlagbar: Anzahl Michelin Sterne pro 1000 Einwohner. Da ist die Schweiz weitaus an erster Stelle. Demnach können wir tatsächlich sagen: Wir sind die Besten der Welt.“

 

Die beste Morchelrahmsauce einer Kampfmaschine

Apropos die Besten -  Elodie Manesse gewann Anfang März den Bocuse d’or – Zentral war dabei auch eine einfache Morchelrahmsauce nach alter Art zum Schweinefleisch. Ist das ein Kernpunkt, der zeigt, dass wir zu alten Werten zurückkehren sollten?

„Also“ sagt Lucien Mosimann, „ so einfach ist das nicht. Wenn man das Menu analysiert –– ist dieses einerseits sehr komplex, andererseits wirkt es schlussendlich einfacher als das der Mitbewerber. Der Stil von Elodie Manesse erinnert mich an den einfachen Satz, weniger ist mehr. Diese vordergründige Vereinfachung musste sie aber herausarbeiten, dabei hat sie sehr viel Augenmerk auf den Geschmack gelegt. Wir sahen bei der Jury, dass der Geschmack viel mehr zur Geltung kam als anderso, da waren sich alle einig. Und ja, die Morchelrahmsauce, aber auch die Sauce au Vin Jaune waren schlicht und einfach Weltklasse.

Das kam vor allem im Halbfinal in Zürich stark zum Tragen, wo ganz klar alleine schon die Qualität der Saucen einen grossen Ausschlag gegeben hat. Dabei ist aber nicht zu vergessen, dass sie ja in allem anderen auch perfekt sein musste, um gegen dieses Teilnehmerfeld zu bestehen. Hier merkt man schlicht und einfach auch, dass sie zwei Jahre mit Philip Rochat arbeiten und lernen konnte. Jetzt hat sie ihren eigenen Stil gefunden – unter anderem mit viel Farbe und mit den Feinheiten einer Frau.

Abschliessend muss ich hier noch anmerken: Elodie Manesse hat einen unglaublichen Willen und sie ist eine Kampfmaschine. Sie übt und übt und übt und sie ist wahnsinnig ehrgeizig. Im Übrigen, der zweitplatzierte Florian Bettschen ist genau der gleiche Typ, aber einer musste ja gewinnen.“

 

Quo vadis Quoco?

Und wohin glaubt Lucien Mosimann geht unsere Küche, gehen unsere Köche, geht unser Berufsbild?

„Jetzt muss ich aufpassen, was ich sage, denn mein Enkelkind hat den Lehrvertrag als Koch unterzeichnet“ lacht er. „Ich muss unterscheiden, zwischen dem, was ich sehe und dem, was ich höre. Wenn ich in Gewerbeschulen bei Prüfungsessen bin, wann immer ich mit Fachlehrern diskutiere, sehe ich eines sehr deutlich und das hat nichts mit Lehrmeister oder Gewerbeschulen zu tun, sondern damit, dass wir ein gesellschaftliches System haben, das den jungen Köchen das Gefühl vermittelt, sie seien die Besten. Kaum haben sie ihre Lehre erfolgreich abgeschlossen, wollen Sie selbstständig, Alleinkoch oder sogar sofort Küchenchef sein und sich nicht mehr unterordnen.

Es ist schon klar, wir müssen nicht alles mit unserer Zeit vergleichen, dies aber schon, denn es war eindeutig nachhaltiger. Wir Alten haben doch noch alle unsere Commis-Stellen absolviert. Und die Commis-Stellen sind im Grunde nichts anderes als die verlängerte Lehre. Ich selbst habe in 3 Jahren 8 Commis-Stellen gemacht und überall viel gelernt.

Das wird vernachlässigt, es ist nicht mehr wichtig und wird vergessen. Ich glaube, das müssen wir ändern. Zumindest müssen wir aufhören, den Jungen zu suggerieren, dass sie nach drei Jahren schon alles können.

Und dann höre ich immer wieder vom Konflikt zwischen Geschäft, Schule und Elternhaus. Im Geschäft, also im Lehrbetrieb, haben sie einen Chef, der seine Philosophie sowohl in Bezug auf die Arbeitsweise als auch auf die Küche weitergeben will. In der Schule ist oft der Kontakt zu gewerkschaftlichen Haltungen nahe. Da geht es darum, den Lehrlingen einzuflössen, zuerst für ihre Rechte, für ihren Lohn, für ihre Freitage etc. zu schauen. Das Elternhaus ist dabei entscheidend. Erhalten die Lehrbetriebe die Unterstützung der Eltern oder die gerwerkschaftlichen Haltungen? Und ganz wichtig, Respekt oder Respektlosigkeit entsteht im Elternhaus und nirgend anderswo.

Das alles wird verschärft durch die modernen Kommunikationstechnologien. Das vergleiche ich mit jemandem, der krank ist, sich selbst über google diagnostiziert, zum Arzt geht und diesem sagt, was er für eine Diagnose zu stellen hat.

Etwa so verhält sich das auch in der Lehre. Irgendwie. Viele glauben, sie, also Google, wissen alles besser. Aber das ist vermutlich ein allgemeines Problem und nicht nur bei den Köchen so.

 

Die Wettbewerbe, all die Gewinner suggerieren eine heile Welt

Mosiman, der Koch, der Vize-Direktor, der Netzwerker beschreibt einen Eisberg. Die Spitze sei gesund, sauber, schön und weiss. Die Fachzeitschriften beschreiben immer nur diese Eisspitze von den jungen Weltmeistern, Gewinnern des Swiss Culinary Cup, dem Abräumer bei Gusto oder eben über die Finalisten des Goldenen Koches. Aber es wird beispielsweise nie von den gut 50 Prozent Berufsausteigern geredet, die seien nie sichtbar. Die müssten auch mitgenommen werden. Weshalb haben sie aufgehört, wo haben sie zu wenig Unterstützung. Es ist ja immer auch Kapital, das der Branche in der einen oder anderen Form wegfliesst.

Lucien weiss wie kein anderer von was er redet, denn er vollführt einen Spagat den niemand sonst fertigbringt. Er vereint in seinem Netzwerk sowohl die feine hochstehende Küche als auch die Nahrungsmittelindustrie. Dadurch hat er Einblicke wie kein anderer. Dass die Industrie der Gastronomie schadet, glaubt er nicht. Die Gastronomie kann nur sich selbst schaden, wenn zu viele in den Küchen nicht wissen, was sie tun. Grundsätzlich stimmt es ja auch, dass die Schweizer Nahrungsmittelindustrie mit der Haltbarmachung von Lebensmittel erst den modernen Wohlstand ermöglichte. Viele Produkte sind hervorragend. Es sei schlicht und einfach so, dass die Industrie, natürlich auch neben vielem anderem, sehr viele gute Produkte anbiete. Nichts ist frischer als Tiefkühlgemüse und keine Pommes Frites können knuspriger werden, als die von Kadi. Wer will das schon bestreiten.

Letztendlich machen die Basisprodukte der Industrie die Kalkulation einer Küche präziser. Ganz einfach ausgedrückt: Ein  Kilogramm Erbsen vom Markt ergibt niemals ein Kilogramm Erbsen in der Pfanne. Hingegen ein Kilogramm Tiefkühlerbsen ergibt ein Kilogramm Erbsen in der Pfanne. Was aber sichtbar ist, und das sieht er bei seinen vielen Aufenthalten in ausländischen Industriebetrieben, ist der Verlust von Mini-Jobs in der Schweiz und das wiederum ist der Überregulation von Gewerkschaften und Beamten zu verdanken. Für diesen Systemfehler schweifen wir erneut gerne kurz vom Thema ab, weil das auch die Gastronomie betrifft. Früher bot die Industrie beispielsweise immer auch saisonale Rüst- oder Fliessbandjobs an, die Familien ein Nebeneinkommen ermöglichten. Heute darf man beispielsweise niemanden mehr auf Abruf beschäftigen. Auch die Gastronomie im Service darf das nicht mehr.

Zurückgekehrt zum Thema – es kommt retour, dass in Küchen zunehmend wieder wirklich „hausgemacht“ produziert wird. Das ist ein eindeutiger Trend. Das führt Mosimann nicht zuletzt auf die Entwickung der Kochsendungen der letzten 10 bis 20 Jahre zurück. Es gebe unglaublich schlechte Sendungen und unglaublich gute, am Schluss spiele das keine Rolle, das Resultat sei dasselbe: Ob zuhause oder privat, Kochen hat massiv an Stellenwert gewonnen, Freude und Lust sind in die Küchen zurück gekehrt. Als Beispiel führt Mosimann zwei seiner Enkelkinder von 17 und 19 Jahre an, die abends zuhause kochen. Das hätten die zwei Generationen zuvor niemals so lustvoll inszeniert.                                                                                                                       

Wie gewaltig die Veränderungen seien, zeige ja auch, wie vor zwanzig Jahren ein Geschäftsessen stattfand. Man traff sich um halb zwölf zum Apero, dann das Essen mit Vorspeise, Suppe, Hauptgang, Dessert und Käse. Auf zwei Personen kam mindestens eine Flasche Wein. Danach die Digestifs mit Zigarren. Einige von uns mögen sich ja schon auch erinnern, dass nachmittags um drei der Zigarrenqualm so tief stand, dass man die Hand vor den Augen kaum mehr sehen konnte. Man ist bis drei oder 4 Uhr sitzen geblieben.

Und heute? Alles muss schnell gehen. 12 Uhr treffen, Mineralwasser ohne Kohlensäure, ein Salat voraus, Tages- oder Fitnessteller, Espresso und Tschüss um 13 Uhr. Am Abend wollen die Leute dann etwas Schönes und Feines, ob zuhause oder im Restaurant.

Aber die Veränderung zeige sich auch signifikant an anderen Entwicklungen. Wer dachte vor 20 Jahren schon daran, dass ein Hamburger so aktuell und qualitativ so hochstehend sein kann wie heute, wo dafür schon mal 30 bis 40 Franken bezahlt werden.

Mosimann zu Brodmann: „Weißt Du noch, als wir 2004 bei Bocuse waren und Mr. Paul uns schnappte, in seinen Mercedes G-Klasse Geländewagen schubste, ich seine Mütze auf dem Schoss und du hinten im Wagen verkeilt, um nicht während seiner Raserei quer durch Lyon von  einem Eck in das Andere zu fliegen -  da hatte er schon den Burger Rosini mit Gänstestopfleber am Laufen. Bocuse war schon immer 10 bis 15 Jahre voraus.“ (Anm.: Und ja, lieber Lucien, das ist Brodmann noch gut in Erinnerung, wer kommt auch schon in den Genuss, von Paul Bocuse himselbst im Stil von Fast and Furious quer durch Lyon chauffiert zu werden.)

Um das Thema abzuschliessen, es rechnete niemand damit, dass sich aus dem Billignahrungmittel der amerikanischen Foodindustrie ein Mode- und Lifestyleprodukt entwickeln könnte.

 

Ein schwieriges Thema. Quant même.

Die Schweizer Gastronomie hat in jüngster Zeit zwei seiner Besten verloren. Lucien Mosimann hatte eine enge Bindung zu  Philippe Rochat und Bennoît Violier.

„Heute mit 65 kann ich das ganz anders beantworten, als ich es noch vor zwanzig Jahren hätte tun können. Beide Ereignisse waren sehr schmerzhaft für mich. Wir standen ja einander auch sehr nahe und mit Philippe Rochat habe ich die l’académie du Bocuse d’Or Suisse wiederbelebt. Es sind riesige Verluste.

Zwei Wochen bevor Philippe von uns ging, haben Armin Fuchs und ich - wie jedes Jahr einmal - für ihn Ochsenmaulsalat und Beinschinken mit Kartoffelgratin gemacht. Und Rochat machte immer das Dessert dazu, einen Aprikosenkuchen. Wir haben Wein und Kaffee getrunken, gelacht und diskutiert. Stark im Zentrum der Diskussion war auch die Angst vor dem Sterben und dem Tod. Dabei fragte er auch danach, wie sich mein Herzinfarkt angefühlt und wie ich das bemerkt habe. Ich denke, er hat etwas geahnt. Auf die Frage, ob er etwas habe, sagte er nein, nein, ich habe nichts. Bei Bennoît Violier ... bei dem Druck, bei dem Stress heutzutage, im falschen Augenblick einen Tropfen zu viel .... was es war, vermag niemand zu wissen.

 

Dann, wenn einem das Leben die Augen öffnet

Lucien Mosimann stand selber auch schon an dem Punkt. „Das war 1999 und ich habe Glück gehabt. Es war morgens um 7 Uhr an meinem Schreibtisch. Der Produktionsleiter lief vor meinem Büro durch, sah mich, sagte, bitte nicht bewegen. Er rief im Spital an, sagte, er komme mit einem Herzinfarktpatienten. Ich sagte, nein, nein, ist schon wieder gut. Doch der liess nicht mit sich reden, ich konnte nichts sagen und schon sass ich im Auto und in der Notaufnahme. Der Produktionsleiter damals fuhr am Wochenende die Ambulanz und hatte ein Auge dafür. Das hat mir das Leben gerettet.“

Und das hat dir die Augen geöffnet. Hoffentlich.

„Du bist dann ein paar Tage auf der Intensivstation, du hast dann das Gefühl, jetzt muss ich etwas ändern, sonst kommt du wieder in den Teufelskreis. Und dann kommst du raus, machst weiter wie zuvor. Erst als ich Probleme mit dem Augenlicht bekam, habe ich wirklich beherzigt, dass ich mit mir zu weit gegangen war.“

An dieser Stelle ein kleiner Einschub, ein Ereignis in Lyon auf dem Weg nach Collonge d’Or zu Paul Bocuse - Lucien Mosiman live: Halt an einer Tankstelle, Mosimann zieht die Karte von Lyon, breitet sie auf der Kühlerhaube seines Alfa Romeo's aus, hält sein Gesicht so tief, dass die Nase fast die Karte berührt. Was er da mache, fragte ich ihn. Na, er suche den Weg auf der Karte. Ob er überhaupt noch fahren könne, fragte ich ihn. Nein, nein, antwortete er, alles gut. Nur ein kleines Sehproblem.

„Das ist genau das Problem“ sagt er heute. „Du wird blind und gewöhnst dich daran. Du merkst es nicht, weil es mit dir wächst. Ich war mir damals noch gar nicht bewusst, dass das eine Beeinträchtigung ist. Ich habe einfach kompensiert, zum Beispiel, indem ich den Kopf hin und her drehte, um die peripherische Sicht zu kompensieren. Dann habe ich etwas realisiert, aber keine Zeit gehabt, es wahrzunehmen. Immer schön weitermachen. Wir haben doch immer das Gefühl, wir sind unzerstörbar. Auch nach dem Herzinfarkt. Nicht zu besiegen. Mir kann nichts passieren. Bis an dem Tag, an dem es passiert. Aber ich bereue nichts. Ich habe immer mit Vollgas und mit über 100 gelebt und gearbeitet. Und ich habe es noch rechtzeitig bemerkt.

 

Wollen wir nochmals auf die Küchentechnologie zurückkommen

Auf die Frage nach der Entwicklung von Küchentechnologie und Küchenstil zuckt er mit den Schultern. Wenn er die Welt heute beobachte, stelle er immer eines fest: Alle kochen mit Wasser. Die Basis der Küche sei die gleiche wie schon immer. Es habe ein paar Vorteile gegeben. Man könne beispielsweise mit Sous vide-die Temperatur besser kontrollieren, man könne etwas mit einem Geschmack inprägnieren und man könne durch Technik beispielsweise den Saftverlust verhindern und so die Rentabilität verbessern. Aber sonst – wer die Basis nicht beherrscht, dem hilft auch die Technologie nichts.

Was Mosimann mit Sorge betrachtet ist die Diversität. Diversität? In Anbetracht der progressiven Zunahme von Allergien und Überempfindlichkeiten sollte man schon ein wenig hinsehen, woher das alles kommen könnte. Im Zentrum stehe dabei sicher die Nahrung. Früher assen wir das, was auf unserem Boden heranwuchs. Kartoffeln, Fisch, Fleisch aus unserer Gegend. Heute dagegen müssen unsere Körper Sachen assimilieren, die er zuvor 10 tausend Jahr e nicht assimilieren musste.

Die Schärfe der südlichen Hemisphäre zum Beispiel. Lebensmittel, für die unser Körper noch nicht bereit ist. Dass das in der Gastronomie immer mehr ein Problem ist, sei das Eine, das Andere ist, dass man abseits der üblichen Symtombekämpfung wie Deklarationspflichten auch einmal darüber nachdenken sollte, woher das kommt und wie die Ursache zu beheben sein könnte. Das wird zuwenig ernst genommen.

Dazu gehört auch, dass die Studien nicht gesehen werden, die zeigen, dass Bauernkinder, die mit Dreck und Erde in Berührung kommen, auffällig wenig Allergien aufweisen, ganz im Gegensatz zu Stadtkindern, die nur noch mit Sterilität umgeben sind. Ganz nebenbei bemerkt kommen wir auch mit keinen Kinderkrankheiten mehr in Kontakt.

„Wir“ sagt Lucien Mosimann „haben auch noch rohe Kuhmilch getrunken. Daran konnte sich der Körpfer doch stärken. Und heute? Heute ist alles sterilisiert, uperisiert und sowieso keimfrei. Irgendwie geht etwas nicht mehr auf. Alle wissen, frischer Salat ist etwas vom einfachsten und billigsten. Schneiden, waschen, anmachen, essen. Aber dann nimmt man, weil es bequem ist, doch den vorgeschnittenen, gewaschenen, keimfrei gemachten und im Plastikbeutel begasten Salat, der auch noch viel teurer ist, wählt dann aber unter diesen Fertigsalaten wieder den billigsten aus.“

Mosimann und Brodmann sind sich an dieser Stelle einig. Ob in der Berufsbildung oder im Bundesamt für Gesundheit. Es wird immer mehr aus Beamten-Büros von Leuten diktiert, denen nicht nur die Praxiserfahrung, sondern auch der Bezug zum richtigen Leben fehlt.

„Wir waren doch eine verrückte Generation. Wir hatten als Kinder sogar noch zehn Jahre nach dem Krieg nichts und konnten damit sehr gut leben. Dann kam die 68er Bewegung, da waren wir 15 bis 20 Jahre alt. Dann kamen die Computer, dann die progessive Entwicklung der Kommunikationstechnologie. Heute lachen mich meine Enkelkinder aus, wenn ich Ihnen sage, dass bei uns ein Telefon an der Wand hing und wir ja sowieso nur zwei Telefone im Dorf hatten. Meine Enkelkinder sind eigentlich schon fast mit dem Natel in der Hand geboren.

Tja, lieber Lucien, nach dem Krieg gab es wenig, man musste schauen, wo das Essen herkam ... und was es gab bescherte offensichtlich Glücksgefühle. Heute sind in den Läden 10 Minuten vor Ladenschluss alle Regale voll, alles ist im Überfluss vorhanden. Für Nahrungsmittel geben wir kaum mehr als zehn Prozent unseres Einkommens aus und trotzdem reden die Sozialdemokratie und Gewerkschaften den Menschen das Unglück ein und wie schlecht es ihnen geht. Wie hast du anfangs gesagt, alles subjektiv, alles Ansichtssache.

"Objektiv betrachtet frage ich mich, ob unsere Gesellschaft gegen eine Wand fährt. Ich bin viel mit dem Zug und Bus unterwegs. jeden Tag. Was ich tatsächlich beobachte ist, dass die Menschen nicht mehr miteinander reden. Alle versinken im Smartphone. Die reden mehr im Facebook zusammen, als dass sie es persönlich tun. Das erfüllt mich mit einer Mischung aus Trauer und Wut.

Ich wünsche mir anstatt einer Atombombe einen Knopf, auf den ich drücken kann und alle Smartphones und alle sozialen Medien sind weg. Dann hätten wir ein bisschen Zeit, um persönlich zusammen darüber zu reden, wie wir das gastronomisch erfolgreichste Land mit den meisten Michelin Sternen pro 1000 Einwohner in Zukunft vermarkten können, die Politik und Schweiz Tourismus tun es ja nicht.“