Ein Blue Food-Kochevent Anfang Oktober förderte von Das Pauli Magazin aus gastronomiescher Sicht eine einfache Frage zu Tage: «Was ist, wenn ein Wirt beim Fischhändler einen MSC-Zertifizierten Fisch kauft und diesen auf dem Menu als solchen ausweist?»

Antwort MSC: «Das kann er schon tun, nur dann hat er sehr schnell einen freundlichen Telefonanruf von unserer Logo-Lizensabteilung.»

Will heissen: Wer als Gastronom mitmachen und MSC oder ASC unterstützen will, muss sich zwingend zertifizieren lassen. Wer etwas tut ohne Zertifizierung, muss mit einer Aufklärung seitens des ASC bzw.  MSC rechnen.

Es ist nicht so,  dass die beiden Nichtregierungsorganisationen (NGO) die Gastronomie nicht interessieren würde, im Gegenteil, das ist schon spürbar. Allerdings gibt es kein Verständnis, weshalb sich Gastronomen so schwer tut, sich beglaubigen zu lassen. In Bezug auf die Gastronomie werden bei NGOs oft einige Dinge nicht verstanden: 

  • Die Gastronomie ist immernoch weitgehend eine kleingewerbliche Branche mit kaum vorhandenen oder sehr tiefen Gewinnmarchen bei einem Personalaufwand von bis zu 60 Prozent. Da liegen kaum Investitionen in ein Label drin, weder finanziell noch personell.
  • Die Küchen in der gewerblichen Gastronomie funktionieren nicht wie der Detailhandel oder Lebensmittelproduzenten Linear, sondern nichtlinear mit Abschweifung. Das Einrichten von beispielsweise getrennten Arbeitsprozessen ist eine besondere Herausforderung. Das wesentlich ältere «Knospenlabel» für bio dürfte davon - nach 41 Jahren in der Gastronomie immer noch +/- erfolglos, ein Lied singen können.
  • Man muss nicht zwei Giganten (Coop und Migros) gewinnen um 70 Prozent des Detailhandels abzudecken. Die Gastronomie setzt sich – je nach Statistik und Definition – aus rund 24 bis 27 Tausend Betrieben zusammen die zu +/- 15 Tausend Unternehmen gehören. Das sind selbst die 227 Gastronomiebetriebe der Migros Klacks.
  • MSC und ASC vergessen aber auch, dass Migros und Coop mit ihren Foodcornern und anderen Futtertrögen – bei Coop sind es 2333 Verkaufstellen, ein Stachel im Fleisch der Gastronomie sind. Man müsste sich hier also schon überlegen, weshalb ein Gastronom etwas unterstützen sollten, das vorderhand dem Detailhandel dient.
  • Man vergisst, weshalb es sicht für MSC / ASC trotzdem lohnen könnte, die Gastronomie an Bord zu holen. Wenn ein Einkäufer eines Detailhandelsriesen hinsteht und den heiligen Meeresschutz herunterbetet, ist die Glaubwürdigkeit, nett gesagt, ungleich kleiner, als wenn ein unabhängiger und erfolgreicher Sternekoch hinsteht, einen MSC Fisch «frei und willig» einkauft, weil die Qualität stimmt. Die Gäste guter Restaurants vertrauen ihrem Koch nicht einfach so.

Man könnte sich also  darüber Gedanken machen, wie die Eintrittsschwelle gesenkt werden könnte, denn der Willen, sich für eine gute Sache zu engagieren, besteht in der Gastronomie durchaus, besonders, wenn es darum geht, dass MSC-zertifizierte Fischereien folgende Kriterien erfüllen müssen:

  • 1. Sie dürfen nicht zur Überfischung führen. Bei bereits erschöpften Fischbeständen muss die Fischerei so gestaltet werden, dass sie nachweisbar deren Erholung bringt.
  • 2. Sie müssen das Ökosystem erhalten. Wertvolle Lebensräume dürfen nicht durch die Fischerei zu Schaden kommen. Beifang von Jungfischen und anderen Meerestieren muss gering sein.
  • 3. Sie müssen Bestandteil eines effektiven Verwaltungssystems sein, das Gesetze und internationale Standards berücksichtigt und die Einhaltung von 1 und 2 garantiert (zum Beispiel, indem es schonende Fangmethoden vorschreibt und wirtschaftliche und soziale Anreize für bestandserhaltende Fischereien vorsieht).

 

Weitere Infos zu «Blue Food» und «Check deinen Fisch» aus der Pressemitteilung von MSC und ASC:

Kernaussagen „Blue Food“ (#bluefood)

  • Der Anstieg der Weltbevölkerung auf über 8 Mrd. Menschen bis zum Jahr 2030 
    (und auf 10 Mrd. bis 2050) wird - ebenso wie der immer spürbarer werdende Klimawandel - einen noch nie dagewesenen Druck auf die bestehenden Nahrungsmittel-Produktionssysteme ausüben. Insbesondere auf die landbasierten.
  • Die globale Nahrungsmittelproduktion ist heute eine der größten Triebkräfte für Umweltveränderungen: Sie ist verantwortlich für ein Viertel aller Treibhausgasemissionen, sie beansprucht die Hälfte aller eisfreien Flächen der Erde und ist für drei Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs ebenso verantwortlich wie für das zunehmende Problem der Eutrophierung von Gewässern.
  • Unsere Nahrungsmittelproduktionssysteme und ihre Verteilung können den globalen Bedarf an Nahrungsmitteln schon heute nicht decken: 820 Millionen Menschen verfügen derzeit nicht über ausreichend Nahrung. Jeder neunte Mensch auf der Welt leidet unter schwerem Hunger.
  • Weltweit verlieren wir jedes Jahr mehr als 10 Mio. Hektar Ackerland – ausgetrocknet, überdüngt oder ausgelaugt. Mehr als ein Drittel (35,4 %) der weltweiten Fischbestände werden derzeit überfischt. 
  • Die Vereinten Nationen fordern neue Strategien der Nahrungsmittelproduktion. Dabei sollen unter anderem „Blaue Lebensmittel“ – also Nahrung aus dem Wasser – stärker in den Fokus rücken. 
  • Mit „Blue Food“ bezeichnet man Lebensmittel aus Meeren, Flüssen, Seen, Feuchtgebieten, Teichen und Zuchtbecken oder -anlagen. Sie werden auch „Blaue Lebensmittel“, aquatische Lebensmittel oder aquatische Nahrungsmittel genannt. 
  • Die „Blaue Transformation“ der Vereinten Nationen fordert: 
    • weniger Verschwendung „Blauer Lebensmittel“
    • einen Ausbau der nachhaltigen Aquakulturproduktion 
    • eine nachhaltige Befischung der Meere
  • Fisch und Meeresfrüchte gehören zu den nährstoffreichsten Lebensmitteln, die wir kennen. Sie sind reich an Proteinen, Vitaminen und anderen Nährstoffen wie Omega-3-Fettsäuren.
  • Der ökologische Fußabdruck von Fisch ist deutlich geringer als der vieler anderer Formen der landbasierten Nahrungsmittelproduktion. Unter anderem ist Fisch mit deutlich geringeren Treibhausgasemissionen verbunden als andere tierische Eiweiße.
  • Aktuell ist Fisch Lebensgrundlage für 600 Millionen Menschen 
    und hat einen weltweiten Handelswert von 151 Milliarden US-Dollar.
  • Der Seafood-Sektor kann nicht nur lebenswichtige Nährstoffe für die Weltbevölkerung sichern, sondern liefert auch Arbeitsplätze für Millionen von Menschen und volkswirtschaftliche Einnahmen für viele Länder.

Zukunftsstrategie “Blaue Transformation” | Auf dem Weg zu neuem Ernährungstrend

Tiere, Pflanzen und Algen aus Süßwasser- und Meeresgebieten spielen als Lebensmittel eine wesentliche Rolle bei der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung. Mehr als 2500 Arten oder Artengruppen von Fischen, Schalentieren, Wasserpflanzen und Algen werden dem Blue Food Assessment (BFA) zufolge weltweit gefangen oder kultiviert. Sie sichern demnach Lebensunterhalt und Einkommen von mehr als 100 Millionen Menschen und ernähren eine Milliarde Menschen.

Im Juni 2022 veröffentlichte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) eine Blue Transformation Roadmap – einen Wegweiser für politische Entscheidungsträger, Unternehmen und Investoren, um die Verfügbarkeit aquatischer, “blauer” Lebensmittel zu erhöhen und damit auch einen Beitrag zur Erreichung verschiedener Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs) zu leisten.

Aktuell sichern rund 600 Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt durch den Fang, die Zucht oder die Verarbeitung Blauer Lebensmittel. Fisch und Meeresfrüchte gehören zu den weltweit meistgehandelten Gütern, der jährliche Handelswert wird auf 151 Milliarden US-Dollar geschätzt.

Im Vergleich: Weniger Umweltauswirkungen durch «Blue Food»

Die Gewinnung ««Blauer Lebensmittel» aus Aquakultur oder Fischerei ist generell weniger umweltschädlich als die Produktion landbasierter tierischer Lebensmittel. Die ökologischen Auswirkungen der Zucht von Meeresalgen und Muscheln oder des Fangs von Fischarten wie beispielsweise Sardine, Hering und Makrele sind ausgesprochen gering.

Auch der CO2-Fußabdruck von Fisch und Meeresfrüchten ist deutlich geringer als der von Fleisch. Dabei reicht das Spektrum der Treibhausgasemissionen in der Fischerei von sehr niedrig, etwa bei Sardine oder Kabeljau, bis zu relativ hoch bei bodennah lebenden Lebewesen wie der Scholle oder der Krabbe

Weitrführende Links/Publikationen:
Check deinen Fisch 2023
Blue Food Assessment
Blue Transformation Roadmap
Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDGs)

Weiterführende Links zur Kritik an MSC
FAQ Übersicht | Marine Stewardship Council (msc.org)
Aquakultur erklärt - ASC Germany, Austria, Switzerland (asc-aqua.org)