In-vitro-Fleisch (von lateinisch in vitro «im Glas») wird auch als kultiviertes Fleisch, Kunstfleisch oder Laborfleisch bezeichnet. Das Bestreben ist es, Fleisch für die Ernährung des Menschen im industriellen Massstab synthetisch herzustellen.

Die Idee dahinter ist es, die Ernährung/Proteinversorgung der Weltbevölkerung zu garantieren und gleichzeitig den Problematiken der Massentierhaltung zu entgehen. Dazu gehören

  • Verursachtes Tierleid. 
  • Gülle/Jauche und die damit einhergehende Ammoniak- und Nitratbelastung des Bodens und des Grundwassers. 
  • Überbeanspruchung der weltweit schrumpfenden Agrarflächen durch die Futtermittelproduktion (ca. 25 kg Getreide für 1 kg Fleisch).
  • Die mit der industriellen Futtermittelproduktion zusammenhängende Verdrängung von einheimischen Kleinstbauern und deren Landwirtschaft mit ihren lokalen Nahrungsmitteln durch z.T. gewaltsame Inbesitznahme.
  • Ge- und Missbrauch von Medikamenten bzw. Antibiotika in der Tiermast.
  • Antibiotikaresistenz beim exorbitanten Wasserverbrauch. 
  • Ausstoss von Kohlenstoffdioxid (für 1 kg Rindfleisch werden je nach Quelle zwischen 15 und 32 kg CO2 freigesetzt, bei Linsen sind es 0.7 kg, bei Insekten ist es ca. 1.5 kg).
  • Etc.

All diese Dinge zu verändern ist ein hehres Ziel. In diesem Zusammenhang geht bei Kunstfleisch oft auch der Begriff «Clean Meat» als Synonym einher. Das ist natürlich ganz und gar nicht korrekt, im Gegenteil.

Zwar wird tatsächlich kein Tier für Kunstfleisch gehalten. Dass aber keines hierfür sterben muss, stimmt so nicht. Um den Muskelzellen den Wachstumsimpuls zu verleihen, werden Hormone benötigt, die als «fötales Kälberserum» gehandelt werden und deren Gewinnung höchst bedenklich ist. Dazu wird mit einer Hohlnadel durch das Muttertier hindurch in das Herz des Fötus, also des ungeborenen Kalbes, gestochen und dessen Blut abgesaugt. Dieses Blut, das embryonale Stammzellen enthält, ist die Basis für die Herstellung des Wachstumsserums. Das ist eine der Kernproblematiken, das selbstredend das ganze Ziel in Frage stellt.

Der Schlüssel für die vollumfängliche Berechtigung der Kunstfleischproduktion liegt also darin, den Impuls für das Wachstum zu erkennen, zu erforschen und letztendlich eine Lösung dafür zu finden, ohne dass ein Tier dafür leiden und sterben muss. Deshalb arbeiten alle Firmen aus Eigeninteresse daran. Aus Insiderkreise ist zu vernehmen, dass die Schwierigkeit ist, dass man noch gar nicht versteht, wie diese Hormone und fötalen Stammzellen das Wachstum auslösen. 

Allerdings, gäbe es nicht zuversichtlich stimmende Ansätze, hätte die Schweizer Fleischverarbeiterin Bell Food Group AG vermutlich nicht die Investition in den niederländischen Kunstfleischpionier Mosa Meat aufgestockt.

Bereits Ende 2018 gab das Start-Up Meatable bekannt, eine vollständig tierfreie Alternative zum umstrittenen Kälberserum zu haben. Die Firma wirbt mit «The new natural» mit Slogans, die genau der Wunschvorstellung entsprechen: «Identisch auf jedem Level, ohne einen der Nachteile» oder «Es ist nicht wie Fleisch, es ist Fleisch.» Wie weit fortgeschritten die Techniken bei Meatable heute sind, ist nicht in Erfahrung zu bringen.

Ein weiteres Problem betrifft die «Gesundheit» des Kunstfleisches. Ein Rindvieh hat von Grund auf ein eigenes Immunsystem, das die Mehrheit der Krankheitserreger abwehrt. Kunstfleisch liegt wortwörtlich nackt in der Petrischale und ist damit empfänglich für alle krankmachenden Keime, die in der Weltgeschichte herumschwirren. Die Immunabwehr muss in irgendeiner Form, physisch oder chemisch, simuliert werden.

Auch die Ernährung der wachsenden Muskelzellen ist nicht ganz ohne. Der Stoffwechsel ist ein umfassendes Sammelsurium an biochemischen Vorgängen, die in einem Organismus ablaufen. Bei Kunstfleisch muss dieses vor Komplexität strotzende Naturwunder vom Verdauungstrakt bis zum interzellulären Energieaustausch auf eine einfache Nährlösung reduziert werden. Und natürlich wird es auch hier ein Abfallprodukt aus dem Stoffwechsel, also eine Ausscheidung und damit so etwas wie Gülle und produziertes CO2, geben.

Eines unter vielen verbleibenden Probleme ist dann noch das Wachstumsgerüst. Die Zellen wachsen nämlich nur, wenn sie etwas haben, an dem sie sich festhalten können. Solche Gerüste bestehen heute aus essbarem Kunststoff.

Betrachtet man das Ganze, wird schnell klar, dass es hier um nichts anderes geht, als um die Schöpfung an sich. Und man kann schnell eine Parallele ziehen zu Mary Shelley und ihrem Doktor Frankenstein, der nach dem Geheimnis des Lebens sucht und entdeckt, wie einem toten Lebewesen Leben eingehaucht werden kann.

Wie fortgeschritten das Ganze aber doch schon ist, zeigt ein Ende 2019 erschienener Artikel der deutschen Onlinezeitung agrarheute.com, welche die Frage der Konkurrenz von Kunstfleisch zur Landwirtschaft aufwirft. Das ist durchaus auch eine existenzielle Frage, denn etwas wird sich durchsetzen: irgendwelche Formen von Kunstfleisch, Fleischersatz oder Fleischimitaten. Eine wichtige Frage für die Bauern könnte sein, ob sie die Rohstoffe für ihre eigene Produktion nutzen und so die Wertschöpfungen mitgestalten wollen (so wie in der Schweiz früher die Milchgenossenschaften und Käsereien), oder ob sie am Schluss wieder unter Preisdruck die Grundstoffe, z.B. für Nährlösungen, herstellen müssen.

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