Fahl leuchtet die Wintersonne. Auf den Ästen der Tannen liegt feiner Pulverschnee. Kemi empfängt den Besucher im Januar mit einer Temperatur von minus 25 Grad Celsius. Die besondere Silhouette der Stadt mit ihrer weitherum sichtbaren Schneeburg stören nur die riesige Anlage und die Hochkamine der übel riechenden Papierfabrik von Stora Enso, einer der Sponsoren des alljährlichen Spektakels.

«Die Kälte ist wunderbar», freut sich die Verkäuferin im Lebensmittelladen. Denn der Schnee beschert den Bewohnern eben auch Feriengäste. Was andere Finnen bibbern lässt, ist für die Menschen am Tor zu Lappland nichts Ungewöhnliches. Täglich unterhalten die Schneeburg-Maskottchen Arttu und Terttu die Besucher.

Weltgrösste Schneeburg

1996 wurde die Schneeburg «Lumi Linna» 720 Kilometer nördlich von Helsinki erstmals gebaut. 273 000 Besucher strömten damals

nach Kemi (2011: 84 000 Gäste); die Einwohnerzahl verzwölffachte sich auf einen Schlag. 95 Prozent der Gäste waren damals Finnen (heute noch die Hälfte); die anderen kamen teilweise von weither, unter anderem aus Afrika, der Karibik, Japan, den USA, Malaysia und Australien.

Die Nachricht vom Bau der weltgrössten Schneeburg gelangte bis ins chinesische Fernsehen und in afrikanische Zeitungen. Kemi wurde über Nacht bekannt. Längst wissen auch Mexikaner und Brasilianer: Hier enden die Schiffsrouten, hier beginnt Lappland.

Tatsächlich liegt dieser Ort so hoch im subarktischen Norden, dass nur noch Alaska und Sibirien bei den polaren Breitengraden mithalten können. Die Natur hat dem Gebiet ein Klima beschert, das wärmer ist als es die geografische Lage vermuten lässt.

Für viele Besucher besteht der Hauptreiz aus dem Kontrast:

Milde Sommertage samt Mitternachtssonne, klirrender Frost und Nordlichter im Winter. «Wir erwarten bis zur Schliessung und Schneeschmelze am 14. April 2018 über 100 000 Besucher», erklärt Noora Barri, Schneeburg-Sprecherin der zuständigen Kemi Tourism Ltd. Seit 1996 haben über zwei Millionen Personen die «Snow castles» besucht.

Am 20. Januar 2018 wird die Burg bereits zum 23. Mal eröffnet. Vater der Idee ist Juhani Leino, Kemis früherer Stadtpräsident und «Vordenker» des Bauwerks. Lumi Linna beeindruckte auch Martti Ahtisaari, früherer finnischer Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger, so sehr, dass er einmal zur Eröffnung in den Norden kam und auch der Eisbar einen Besuch abstattete.

Die offiziellen Masse der «Lumi Linna», die auch im Guinness-Buch der Rekorde steht, hat Tapani Onkalo, Vermessungsingenieur von Kemi, festgehalten: Die Aussen-, Innen- und Einfriedungsmauern umfassen eine Länge von 300 Metern. Das Gebäude wurde in den vergangenen Jahren verkleinert, verfügt aber

immer noch über eine Fläche von rund 1000 Quadratmetern. Der höchste Turm misst acht Meter. Zum Bau wurden 25 000 Kubikmeter Kunstschnee (etwa 2500 Lastwagenladungen), 300 m³ Meereis und 10000 m³ Wasser benötigt, was etwa einem Jahreswasserverbrauch von sechzig Familien entspricht. Fünf Tage benötigten die sieben Schneekanonen dazu. Insgesamt sind fünfzig Arbeiter für den Bau des Schnee- und Eispalastes engagiert worden.

Die Gesamtbudget für 2012 betrug 240 000 Euro, neue Zahlen möchte die Stadt nicht bekannt geben. Dass diese Mittel die Stadt beisteuert, stört viele Bürger, die sie lieber in Schulen oder Arbeitsbeschaffungsprojekten investiert sehen würden.

Die Arbeitslosigkeit beträgt in Finnland momentan 8,7 Prozent. Dem hält die Medienstelle der Schneeburg entgegen, dass primär ausländische Besucher wegen der Hauptattraktionen nach Kemi kämen und durchschnittlich drei bis vier Tage hier verbringen würden.

«Animal Wonderland» – Tiere aus Nah und Fern

«Animal Wonderland» – Tiere aus Nah und Fern bevölkern das Schneeschloss Tiere des Waldes sind das Thema des Schneeschlosses 2018. Noora Barria, Sprecherin der Schneeburg, sagt dazu: «Tiere ziehen Menschen aus allen Kulturen und Altersgruppen in ihren Bann. Der Wald wiederum ist ein essenzieller Teil der finnischen Seele – Wälder bedecken rund 70 Prozent des Landes und bieten Tieren Freiheit und unverschmutzten Lebensraum. Mit dem diesjährigen Thema möchten wir unseren Gästen die Fauna und Natur Finnlands und Meer-Lapplands näher bringen. Dies gibt uns auch die Möglichkeit, herauszuheben, was unser Land nebst seinen Sehenswürdigkeiten noch alles zu bieten hat: saubere Luft, ein Gefühl von Weite und Gelassenheit sowie Stille sind Dinge, die Mensch und Tier gleichermassen geniessen.» Das Schneeschloss-Thema wird jedes Jahr neu gewählt und auch in diesem Jahr das Ergebnis eines Ideenwettbewerbs unter den Mitarbeitern.

Aussergewöhnlich heiraten

Die neue Schneeburg verfügt über zahlreiche Gänge, Säle, eine grosse Kapelle, zwei Restaurants (200 Plätze) und Bars mit Eismöbeln, eine Ausstellungshalle, ein Abenteuerland, Rutschbahnen und Aussichtsterrassen. Finnische Künstler und Bildhauer präsentieren Kunstwerke aus Eis und Schnee. Wiederum ist eine ökumenische Kapelle aus Eis entstanden. Buchungen für Hochzeiten und Taufen sollen bereits vorliegen. Markku, der offizielle

Pfarrer, fühlt sich wohl in seiner wattierten blauen Uniform: «Der Job gefällt mir», sagt er, als er ein zukünftiges Ehepaar durchs Restaurant führt. Beinahe kosmisch schön ist die Kapelle abends unter dem Polarlicht, in der faszinierenden Stille der weiten nordischen Schneefelder.

Gleich hinter der Kapelle im Burghof – 500 Meter zum Stadtzentrum entfernt – ist aus Eisblöcken aus dem Fluss und aus Kunstschnee ein Schneehotel gebaut worden; auf den Bänken und Betten liegen Rentier- und Schaffelle sowie Schlafsäcke. Die Zimmer sind nach südlappländischer Art mit warmen Naturmaterialien eingerichtet – die Innentemperatur beträgt

minus fünf Grad. Nach schwedisch-lappländischem Vorbild verfügt die Burg seit 1999 über ein «Fünfsterne-Schneehotel» mit 21 Zimmern und einer Honeymoon-Suite – für die exotischste Hochzeitsnacht der Welt.

Bei Aussentemperaturen um minus 30 Grad Celsius hilft nur heisser Tee mit finnischem Wodka in der Eisbar mit den Rentierfell-Sitzplätzen. Wer Lust auf ein feines Essen hat, sollte einige Schritte zum Rathaushügel hinauf gehen und das historische

Strandrestaurant «Puistopaviljonki» besuchen – eine filigrane Villa aus Holz. Täglich biegen sich die Tische unter der Menge der finnischen Spezialitäten. Und wenn hier abends bis zum Umfallen getanzt wird, hat die Kälte auch in Kemi keine Chance mehr.