1902 wurde die Yacht Meteor III getauft. Als Zeichen der Versöhnung der Deutsch-Amerikanischen Beziehung liess Kaiser Wilhelm II. das deutsche Rennschiff für Regatten von einer New Yorker Werft bauen. Für die Taufe war explizit eine Flasche Sekt der Marke Rheingold von Söhnlein & Co. vorgesehen. Dass die USA den Deutschen ein Schiff bauen dürfen und das dann auch noch, nicht wie üblich mit Champagner, sondern mit Sekt zu taufen, war für die beleidigten Franzosen ein Affront. In einem kriegerischen «Coup de Main» tauschten die Franzmänner den Inhalt der Kisten von Söhnlein & Co. mit Rheingold-Sekt durch Champagnerflaschen der Marke Moët & Chandon aus.

Am 25. Februar 1902 um 10.40 Uhr knallte Alice Roosevelt die Champagnerflasche an die Schiffswand der Meteor III. Politisch und militärisch glaubten die Franzosen seit jeher, unschlagbare Götter zu sein: Ihre Arroganz ist legendär, ihre Unfähigkeit zur Selbstreflexion ebenfalls, der Grossmut liegt auf einer Skala von 1 bis 10 bei ungefähr 15 und ihr Feingefühl für aussenpolitische Beziehungen beweisen sie mit der Bezeichnung für die Briten: Der Pariser heisst in Frankreich Capot d’Anglais. Okay, zugegeben, «Dirty Bertie» (der Britische König Edward VII) badete ja auch mit Vorliebe im Champagner, dies vorzugsweise mit Nutten im Pariser Puff «Le Chabanais». Ausserdem war England nach Ansicht der Franzosen noch immer eine Provinz des Französischen Königreiches. 

Und was den französischen Handstreich anbelangte, es folgte ein Jahrelanger Rechtstreit unter der Bezeichnung «Champagner Krieg».

Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Eines der schlimmsten Ereignisse geschah kurz darauf, nämlich vor über 110 Jahren. Nachdem bereits Ende der 1910er Jahre drei Jahre lang die Ernten durch schlechtes Wetter und Mehltau unfassbar schlecht ausfielen, gab der Himmel 1910 den Weinbauern und ihren Reben den Rest. Nicht einmal fünf Prozent der Ernte konnte eingefahren werden. Dasselbe passierte tragischer weise mit dem Getreide. Die kleinen unabhängigen Winzer und kleineren Champagnerhäuser sowie die Winzer, die den grossen Champagnerhäusern die Trauben lieferten, verhungerten wortwörtlich.

Doch die Grossen Champagnerhäuser, die ja selber nur bedingt Trauben anbauen, produzierten weiterhin massenhaft Champagner. Gegenüber dem Ende des 19 Jahrhunderts wurde der Absatz 1910 mehr als verdoppelt. Mit fünf Prozent der Ernte? Nein, sie kauften Trauben von überall auf der Welt zusammen. Jahr für Jahr wurde gelogen und betrogen, dass sich die Balken bogen. Champagner bestand zu der Zeit so ziemlich aus allem, der Legende nach auch aus Rhabarber- und Johannesbeersaft, nur nicht aus Trauben aus der Champagne.

Die Folge war verheerend – Arroganz und Ignoranz standen  «liberté, égalité, fraternité» von einer Meute aus Not und Hunger leidenden Winzer gegenüber. Im Januar 1911 war das Fass voll, es brach sozusagen ein Bürgerkrieg aus. Die Winzer, errichteten Barrikaden, kaperten die Lastwagen mit den Trauben aus aller Welt und versenkten alles in der Marne. Sie steckten die ausgerissenen Rebstöcke der Rebfelder in Brand, drangen in die Keller der grossen Champagnerhäuser ein und zerschlugen alles was Ihnen in den Weg kam, von Fässern bis Flaschen. Die Parole an den Hauswänden: «Champagne ou mort». Der französischen Republik blieb nur noch eines: Die französische Armee gegen die Winzer einmarschieren zu lassen. Mit Säbel und Gewehren gingen die Soldaten auf die protestierenden und hungernden Winzer los – im Grunde im Auftrag und Sinne der grossen Champagnerhäuser. 

Dann kam die Zeit der reichen Ernten zurück, doch die Unruhen schwelten weiter und hätten noch lange an angedauert, aber der 1. Weltkrieg bracht aus.

Das war noch lange nicht das Ende: 1927 wurde die Appellation d’origine controllé eingeführt. Um es kurz zu machen, es wurden Orte und Gelände bestimmt, wo die Trauben für Champagner wachsen durften. Alle Dörfer, die nicht dazugehörten, wie zum Beispiel Champfleury, war der Weinbau generell verboten. Champfleury ist exceptionell. Es liegt nämlich mitten in der Champagne, mitten im Kanton Reims. Champfleury hat mitunter den besten Boden für den Champagner-Weinbau, eine feine, hellbraune Erdkrume und ca. ein Meter darunter eine Kalkschicht – genau wie es sich für Champagner gehört. Allerdings wollte der Gemeinderat damals 1927 bei der AOC nicht mitmachen, denn dazu gehörte eine Verpflichtung zum Weinbau. Was heute absurd erscheint, war damals, nach der Champagnerrevolution durchaus nachvollziehbar – es war nicht klar, ob man vom Weinbau alleine überhaupt leben kann, seither werden auf bestem Champagner-Boden Zuckerrüben angebaut. Die Champagne-Vögte sind uneinsichtig und unversöhnbar bis heute. Es wird so bleiben.

Wie mächtig die Champagner-Lobby ist, zeigte sich auch in den Verhandlungen zu den bilateralen Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Handel mit wirtschaftlichen Erzeugnissen die am 21. Juni 1999 unterzeichnet wurden. 

Die französischen Champagner-Chefs setzten sich durch. Die Schweizer Regierung knickte ein. Das Dörfchen Champagne im Kanton Waadt nahe Yverdons-Les-Bains am Neuenburger See darf auf seinen Wein nicht mehr die Herkunft Champagne schreiben. Die Franzosen dagegen dürfen weiterhin Emmentaler und Greyerzer produzieren.

Wir Schweizer grüssen also mit jedem Schluck Champagner den Hut der Champagner-Vögte hoch auf dem Stecken. Dass das so zu sein hat, hat ausgerechnet das Verfassungsgericht des Kantons Waadt Anfang 2021 entschieden. Es lebe sozusagen die schweizerische Freyheyt. Das kleine «Dorf der Unbeugsamen» wurde einmal mehr gebodigt.

«Der französische Begriff «Champagne» geniesst durch das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und der EU einen exklusiven Schutz. Dieser verbiete jede Verwendung des Namens für Weine, die nicht aus der französischen Champagne kommen» so das Waadtländer Verfassungsgericht.

Es bleibt nur zu hoffen, dass die Champagner am Neuenburgersee wahrhaft unbeugsam bleiben und sich weiter wehren. 

Wie war das nochmals? Ware Grösse hat es nicht nötig, andere klein zu machen. In Bezug auf den fehlenden Grossmut der Champagner-Manager sei angemerkt: Der französische Interessenverband der Champagner-Hersteller verhält sich nur noch wie ein aggressiver Aggressor um verbissen ein geerbtes Privileg zu verteidigen. Es ist das Einzige was sie noch können. Rechtsanwälte auf die Welt loslassen.

Wäre es anders und die könnten wirklich etwas, hätten sie zum Beispiel das Schweizer Dörfchen mit in ihr Marketing und Ihre Geschichte miteinbezogen und eine Dependance errichtet. Das muss man sich vorstellen - ein Haus des Champagners in Champagne (das ist dann die Marketing-Idee Brodmann’s! Also nicht einfach Ideen klauen, gell, ihr Champagner-Vögte, immer schön fragen). Eine solch charmante Offensive könnte genussvollen Frieden stiften – und es ist ja nicht so, dass man sagen müsste, dann komme ja jeder: Das Örtchen wird 888 erstmals schriftlich erwähnt und ist einzigartig.

Dem Treiben der Champagner-Vögte lässt es sich übrigens bestens mit einem Glas «Champagne Suisse» aus Motîer begegnen. So hiess nämlich der Mauler früher. Die aktuelle Cuvée Louis-Eduard Mauler kann so jedem Champagner das Wasser reichen.

Und dabei kann auch gleich noch ein wenig der Schlacht von Grandson 1476 gedacht werden, als die Eidgenossen die Franzosen noch in Panik versetzten.