Wir sind heute so zu sagen bei der Parmelin-Revision der Maurer-Revision der Schmid-Revision der Ogi-Revision der Armee XXI angelangt. Die Armee 95 wurde noch im Topf von Kaspar Villiger angesetzt. Die ganze Szenerie erinnert an das Vorhaben, die gute, aber aufwändige Demi-Glace durch ein billiges Pülverli zu ersetzen, um mit Erstaunen festzustellen, dass man bestenfalls ein Schluckhilfe aber niemals eine Sauce erhalten hat. Der Versucht, die Schluckhilfe mit irgendwelchen Hilfsmitteln auf die Schnelle zu einer akzeptablen Sauce zu machen, kann nur schiefgehen. 

Jetzt wo die SVP poltert, man müsse endlich aufrüsten, schauen wir chronologisch zurück, wer das Schweizer Armee-Desaster überhaupt angerichtet hat.

Doch zuerst werfen wir einen Blick auf die Ukraine und merken, wer dort kämpferisch die grösste Wirkung erzielt, um dann den Vergleich zu ziehen, zum Beispiel mit der Schweizer Armee 61. Die Ukrainer sind zwar leicht und schlecht bewaffnet, dafür überbesetzt. Putin glaubte, er trete gegen die ukrainische Armee an, jetzt steht ihm ein Auszug von 40 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainern gegenüber, die sozusagen von Hand und mit ihrem schieren Willen, mal schnell 303 Panzer und 48 Kampfjets abgeschossen haben. Da ist dann also fast das Dreifache aller 134 Schweizer Kampfpanzer. Und die 43 aktiven Kampfjets wären also auch durch.

Mit der Armee 61, welche die Bürgerlichen und Rechten mit den Armeereformen 95 und XXI abschafften, hätte die verteidigende Schweiz eine angreifende Macht wie die heutige russische Armee vermutlich auf übelste beschädigt. Die Armee 61 basierte nämlich auf Herz, Heimat, Freiheitswille. Aber die obersten Offiziere der Schweizer Armee wollte international auch vorne dabei sein. Eine wirkungsvolle Landesverteidigung auf der Basis «Bürger und Soldat» ist halt nicht so chic, wie eine bis an die Zähne bewaffnete Profi-Eingreiftruppe, die analog zum amerikanischen Hummer mit dem selbstgebastelten Mowag Eagle angerauscht kommt.

Die SVP sieht also als selbsternannte einsame Rufer in der Wüste ihr Sünneli aufgehen und fordert eine neue Armee, und das «stante pede». Es ist schon erstaunlich, wie mangelhaft ein politisches Gedächtnis sein kann. Gerade die SVP müsste jetzt die Finger von Armeereformen lassen, sonst kommt es nicht gut.

Die letzten drei Armeereformen waren nämlich nicht etwa Vorstösse der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee GsoA oder der Netten und Linken, sondern die angstvolle Reaktion der Mitte-Rechts-Regierungen auf den 35.6 Prozent Ja-Stimmenanteil der Armeeabschaffungs-Initiative vom 26. November 1989. Eigentlich ist ein Drittel Ablehnung gar nicht so hoch, trotzdem glaubte man, man müsse sofort mit den Veränderungen der Armee anfangen, um noch mehr Zulauf zu den Armeegegnern zu verhindern.

Heute wird ersichtlich, dass die Verantwortlichen nicht wussten, was sie taten. Sie hatten keine Ahnung von Veränderungsprozessen, geschweige denn, wie diese geführt werden können. Sie hatten auch keine Idee.

Das Eidgenössische Militärdepartement, wie es früher hiess, wurde damals vom FDP-Bundesrat Kaspar Villiger geführt. Die Armeereform 95 geht also auf ihn zurück. Adolf Ogi als «Energieminister» propagierte damals noch energieeffizient Eier zu kochen, was als «Ogi-Methode» in die Geschichte einging. (Anm.: Im Oktober 1988 demonstrierte er im Fernsehen, wie Eier energieeffizient gekocht werden: Eier in die Pfanne legen, fingerbreit kaltes Wasser in die Pfanne geben, aufkochen, Herdplatte ausschalten und Restwärme zum Fertigkochen nutzen.)

Jedenfalls, ungefähr so gestaltete sich auch die Armeereform unter Kaspar Villiger.

Er und seine Leute machten sich also an die Arbeit, die Armee 61 vollständig über den Haufen zu werfen. Notabene eine Armee, die 30 Jahre Bestand hatte und die ununterbrochen weiterentwickelt wurde. Zuletzt hätten gut 600'000 Mann per «Zetteli im Dienstbüchli» und Plakat im Dorf innert kürzester Frist mobil gemacht und unter Waffen gesetzt werden können. Ein Grossteil davon innert 48 Stunden. Und das alles war auch noch Hacker-Resistent da Analog.

Villigers Leute setzten dort an, worüber sich Bürgerinnen und Bürger, Soldatinnen und Soldaten aber vor allem auch die Wirtschaft am meisten beschwerten. Die langen Dienstzeiten mit den Wiederholungskursen (WK) bis zum 50. Lebensjahr. Er senkte das Alter auf 42 Jahre und damit den Bestand auf 400'000 Mann. Dann musste endlich die typisch schweizerische Camouflage weg, welche abwechslungsweise meist zärtlich identitätsstiftendes «Vierfruchtpyjama», «Kampfsack» oder «Kämpfer» genannt wurde. Ah ja, dann musste auch die vielseitige Stielhandgranate HG 43 weg. Die konnte durch aufschraubbare Splittermäntel, geballte Ladungen, Zusatzladungen, gestreckte Ladungen und das Sprengrohr unglaublich vielseitig eingesetzt und damit jede Art von Coup de Main durchgeführt werden - was die Urkainer damit wohl anrichten würden?. Stattdessen ist jetzt da die HG 85. Die sieht cool und Rambo-mässig aus, kann aber nur geworfen werden. 

Egal, Hauptsache alles gut Schweizerische wurde in die Luft gesprengt und brachte Villiger und seinen Leuten den grösstmöglichen Applaus und den geringsten Widerstand.

1996 übernahm dann Adolf Ogi von Kaspar Villiger das Eidgenössische Militärdepartement EMD. Ab hier begann die Planung der Armee XXI. Ganz nach der «Ogi-Methode» wurden also energieeffizient Eier hart gekocht. Zuerst musste einmal ein neuer Name für das Departement her, bevor man sich dem Umbau der Armee widmen konnte Aus dem guten alten EMD wurde also das Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport VBS. Unter Ogi wuchs der Grundgedanke einer stark verkleinerten Miliz-Armee und einer leichten Aufstockung der Berufsarmee. Ein weiterer Grundgedanke war, den reduzierten Bestand durch die bessere Ausrüstung auszugleichen. Das war natürlich ein Trugschluss. Ende 2000 trat Adolf Ogi als Bundesrat zurück.

Dann kam Samuel Schmid, der den Umbau durchzog und die Armee noch stärker verkleinerte, als Ogi das vorhatte. Das fertig geschnürte Paket wurde damals unter der Allianz SVP, FDP und CVP durch die Räte geboxt. Nur einer sah das Unheil kommen: Der ehemalige Generalstabschef der Felddivision 8 und anschliessend Divisionskommandant Hans Wächter. Er studierte unter anderem an der US Army Command and General Staff College in Fort Leavenworth, Kansas, wo die US-amerikanischen militärischen Führungsspitzen bis heute ausgebildet werden. Er sah also tief in andere Armeen und somit in deren Stärken und Schwächen hinein. Das war egal, man hörte ihm erst zu, als er ein Bürgerkomitee formierte, mit dem er das Referendum ergriff. Man tat ihn als Fossil ab. Im Mai 2003 kam die Vorlage vors Volk, wo sie mit 76 Prozent angenommen und die Armee XXI umgesetzt wurde. Bereits 2005 kam die erste Reform der Reform. Auch Samuel Schmid reformierte sich. Nachdem er sich 2007 trotz der Abwahl seines Doyens Christoph Blochers vereidigen liess, wurde er von der eigenen Partei geächtet. Mitte 2008 trat er aus der SVP aus, dann in die neugegründete BDP ein und per Ende 2008 aus dem Bundesrat aus.

Übernommen wurde der Posten des Verteidigungsministers von Ueli Maurer, der zuvor über Schmid und seine Ächtung durch die SVP sagte: Schmid «ist so gut wie klinisch tot» und ein Parteiausschluss sei Zeitverschwendung. Nun ja, so schlecht kann Schmids Leistung aus Sicht Maurers nicht gewesen sein, denn nach ihm hatte die Schweiz damals die «beste Armee der Welt». 

Aha. Deshalb musste Mauerer als erstes einen Armeebericht anfertigen lassen, der ein Grundmodell von nur noch 80'000 Armeeangehörigen vorsah. Maurer war jetzt also bei der Reform der Reform der Reform Armee XXI angelangt. Danach sollte unter anderem die Grösse der Armee nach dem Ausgabeplafond der finanzpolitischen Vorgaben des Bundesrates ausgerichtet werden.

Spätestens hier müsste der hinterste und letzte Schwachkopf sehen, dass etwas nicht stimmt. Die Grösse einer Armee wird nach einem allgemeinen Budget gerichtet? Der St. Galler Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer kam in einem Gutachten zu Schluss, dass «eine glaubwürdige Armee für ihre verfassungsmässige Aufgabe nicht über die Budgetplafonierung festgelegt werden dürfe». 

Naja, im Januar 2018 trat dann, jetzt unter der Ägide von Guy Parmelin, die Reform der Reform der Reform der Reform in Kraft und das unter der sinnigen Bezeichnung WEA - Weiterentwicklung der Armee. Die grosse Folge dieser Reform: Es war die Grundlage, auf der die vielen Armeespitäler, die Jahrzehnte gepflegt und in Schuss gehalten wurden, aufgegeben und verscherbelt werden konnten. Und dann kam Corona. 

Bei der Betrachtung dieser Chronologie, gerade in Bezug auf den brutalen, völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, bleibt nur noch das grosse Kopfschütteln. Heute dürfte jedem klardenkenden Menschen die Tragweite des einfachen, alten Grundsatzes einleuchten: «Wer keine eigene Armee hat, wird früher oder später eine Fremde dulden müssen.» Die anderen können sich jetzt ja immer noch der GsoA anschliessen.

Abgesehen vom militärischen Desaster gibt es mit der Armee XXI auch noch ein sozialpolitisches Armageddon, das sich heute vielerorts bemerkbar macht. Die Allgemeine Wehrpflicht der Armee 61 bis ins hohe Alter hat dazu geführt, dass sich die Menschen in diesem Land wiederholt in einem beschränkten Zeitfenster als gleichwertig begegnet sind: Alle hatten dasselbe Bett, dasselbe Essen, dieselbe Kleindung und alle sind durch denselben Dreck gekrochen.  Das war ein grosser Teil der Basis von Verbindung, Zusammenhalt und gegenseitigem Respekt der Schweizer Bürgerinnen und Bürger, der unwiederbringlich verloren ist, genauso wie die Radfahrertruppen, das Vierfruchtpyjama oder die Brieftauben. Abgesehen davon wäre diese Dienstzeit heute die bestmöglich Aktion zur Integration - auch Schweizer dürften hier wieder lernen, was es bedeutet, Schweizer zu sein. Das beginnt nämlich mit der Frage, «was kann ich zum gelingen dieses Landes Beitragen».

Aber von wegen «beste Armee der Welt». Wenigstens ist das VBS seit 2019 in neuen Händen und es bleibt zu hoffen, dass Viola Amherd etwas weitsichtiger sein wird.