Ein Recht auf Gegenlesen? Diese Annahme basiert auf zwei grossen Irrtümern in Bezug auf die PR, die in einer kausalen Wechselwirkung stehen:
- PR, also Öffentlichkeitsarbeit, ist im Grunde eine kostenlose Image-Kampagne.
- Es gibt ein Recht auf das Gegenlesen redaktioneller Leistungen, insbesondere Interviews.
Für beide Punkte gibt es, auch aus juristischer Sicht, eine deutliche Antwort in einem Wort: NEIN!
Juristisch bzw. medienrechtlich ist das in der Bundesverfassung in Artikel 17 geregelt:
- Die Freiheit von Presse, Radio und Fernsehen sowie anderer Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist gewährleistet.
- Zensur ist verboten.
- Das Redaktionsgeheimnis ist gewährleistet.
Woher diese Irrtümer kommen?
Um das ansatzweise zu verstehen, kann zuerst einmal Public Relation von Werbung abgegrenzt und anschliessend Vergangenes in Erinnerung gerufen werden:
Public Relation oder PR bzw. Öffentlichkeitsarbeit ist das Management, also die zielgerichtete Verwaltung und Bewirtschaftung, von Kommunikationsprozessen zwischen Sendern (Organisationen, Unternehmen, Personen etc.) und ihren anvisierten Empfängern bzw. Zielgruppen, um Bilder, Vorstellungen, Eindrücke und Charaktere zu beeinflussen und zu prägen.
Werbung: Als Werbung wird die Verbreitung einer Botschaft (Information, Werbebotschaft, Verkaufsargumente etc.) an die Öffentlichkeit bzw. definierte Zielgruppen verstanden, um Produkte, Dienstleistungen etc. anzubieten, zu verkaufen und/oder bekannt zu machen.
Wohl die erste wirklich wegweisende PR-Kampagne war das politisch konservative Manifest Ende der 70er von Saatchi & Saatchi unter der Leitung von Tim Bell (später Bell Pottinger Public Affairs) für die Wahl von Margarete Thatcher und gegen die regierende Labour-Partei. Mit wenigen Plakaten mit dem Titel «Labour isn’t working» (eine Anspielung über die damals grassierende Arbeitslosigkeit) rund um den Hauptsitz von Labour, wurde die Partei derart nervös gemacht, dass sie einen Fehler nach dem anderen beging und in der Öffentlichkeit immer schlechter dastand. Die Folgekampagne, also das eigentliche Manifest «time for a change» von Thatcher war einerseits der Gnadenstoss für Labour und andererseits der Anstoss für eine PR-Industrie, deren Agenturen und Berater sich in den folgenden Jahrzehnten wie Sporen über den ganzen Erdball verteilten und explosionsartig aus dem Boden schossen.
Für die Medien war die Welt bis zum Internetzeitalter eigentlich in Ordnung: Die Redaktionen waren von den Lesenden finanziert über bezahlte Abonnements, die Werbetreibenden bezahlten für einen Platz in der Zeitung. Bis dahin galt +/- auch die ungeschriebene Regel: Werbetreibende zensieren keine Redaktion, Redaktionen und Verlage zensieren keine Werbung. Gleichzeitig konnte eine Redaktion auch einen Anzeigenboykott, also die Ausnahme von der Regel, mit den Abonnenten im Rücken überstehen, z.B. als 1979 die Emil-Frey-Gruppe aufgrund eines autokritischen Artikels dem Tagesanzeiger alle Werbung entzog und diesen Boykott erst 1999 aufhob.
Jedenfalls, als sich mit dem Internet eine Gratiskultur durchsetzte, verloren die Verlage immer mehr Abonnenten und Kleinanzeigen (z.B. Stellenanzeigen), die Redaktionen büssten damit ihre Mittel und die gedruckten Zeitungen ihre Auflagen ein, was unweigerlich Kürzungen zur Folge hatte. Die Redaktionen wurden also ausgedünnt. Doch die weissen Seiten einer Zeitung mussten auch unabhängig zur verkauften Auflage mit weniger Redaktionsleistung weiterhin mit Buchstaben und Bildern gefüllt werden. Hier sprang dann die PR-Industrie in die Presche und lieferte kostenlos Text und Bild. Im Grunde ist PR neben den Depeschenagenturen das, was in den professionellen Küchen als Convenience bezeichnet wird: Bequeme Hilfsmittel, welche den Arbeitsaufwand reduzieren und so Kosten senken.
Wie bei der vermeintlich bequemen Convenience in den Küchen, geht der Schuss mitunter auch nach hinten los und es ist bis heute erstaunlich, dass die Verlage und ihre Medientitel das Spiel mitspielen, das wie folgt recht gut funktioniert: Unternehmen entziehen den Zeitungen die bezahlte Werbung, investieren das Geld unter anderem in PR-Abteilungen und Agenturen, die dann versuchen, die Werbebotschaft bei den Redaktionen gratis durchzudrücken.
«Wann senden Sie uns das Interview zur Freigabe?»
Wer beim Konsum von Massenmedien etwas genauer hinschaut, findet immer wieder die Auseinandersetzungen zwischen Pressesprecher:innen und den Medien, in denen mitunter ganze Interviews gekürzt, zensuriert, umgeschrieben oder gar verhindert werden.
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Dem zugrunde liegt eine oft gegenseitige Vereinbarung zwischen Interviewer und Interviewtem, also sowas wie eine Art Vertrag. Das Interview wird gewährt, allerdings nur unter der Prämisse des Rechts auf Gegenlesen oder das Absegnen von Ton- und Video-Interviews. Journalisten lassen sich oft darauf ein aus Angst, ansonsten keine Interviews mehr zu erhalten.
Meist aber basiert diese Haltung einseitig als unausgesprochene Erwartung des Interviewten, da sich im Laufe der Zeit ganz allgemein so etwas wie ein Rechtsanspruch aufs Gegenlesen eingeschlichen hat, den es juristisch tatsächlich gar nicht gibt.
Kontrolle über die redaktionellen Inhalte
Das Bedürfnis ist klar: Über das Publizierte die Kontrolle zu erlangen. Dies im Wissen um die Allmacht der Medien, die Niklas Luhmann 1996 in «Die Realität der Massenmedien» wie folgt in einem Satz zusammenfasste: «Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.»
Einen der konsequentesten Richtlinien führte die wohl mit 1700 redaktionellen Mitarbeitenden grösste und wichtigste Redaktion der Welt ein: 2012 untersagte die damalige Chefredakteurin Jill Abramson den Journalistinnen und Journalisten der New York Times, Zitate vor dem Publizieren gegenzulesen, zu verändern und absegnen zu lassen. 2013 wurde sie zwar wegen ihres rauen Umgangstones entlassen, die Regel hält sich aber bis heute. Die Begründung: Die Leserschaft darf nicht den Eindruck erhalten, Journalistischen-Inhalte lägen in fremden Händen, also in denen von Pressesprecherinnen und Pressesprechern bzw. Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern. Hier tritt also das eigentlich wichtigste Gut einer Redaktion zutage: Die Glaubwürdigkeit gegenüber den Lesenden, dafür bezahlen diese nämlich das Abonnement – eigentlich.