http://daspaulimagazin.ch/de/fotoreportage/impressionen-aus-der-kuche-jays-im-ackermanns-hof-basel-mulligatawny

 

Romeo Brodmann: Habt Ihr Inder eigentlich auch eine gemeinsame Nationalsuppe?

Jay Kumar: Ja klar, Molagu Thanni.

RB: Mulligatawny ist doch britisch.

JK: Hör auf! Erstens haben uns  die Engländer diese Suppe geklaut.

RB: Ja und? Curry kommt ja auch aus Indien und die Briten waren in Indien. Und zweitens?

JK: Das heisst Molagu Thanni, nicht Mulligatawny. Molagu heisst Pfeffer respektive Chili. Thanni heisst Wasser. Also Pfefferwasser, Chiliwasser oder Feuerwasser, wenn Du so willst. Die Briten haben mit ihrem Akzent dann Mulligatawny daraus gemacht.

RB: Aber Huhn ist drin?

JK: Nein, nicht unbedingt.

RB: Na, dann mach mir mal so ein Feuerwasser.

 

In der Küche nimmt Jay Kumar eine kleine Schale und gibt Gewürze hinein -  Kümmel, Koriander, schwarzen Pfeffer, Anis, Zimt, Kardamom und Nelken. In einer Pfanne erhitzt er Öl, die Gewürze werden darin kurz angeröstet. Dazu kommen zwei zerdrückte Knoblauchzehen, 3 bis 4 gehäufte Esslöffel gehackte Zwiebeln, sowie 3 bis 4 gehäufte Esslöffel gewürfelter Ingwer. Das alles wird zusammen gedünstet. Gewürzt wird mit gemahlenen Zutaten wie Chili, Kurkuma und Koriander. Auch zwei entkernte und gewürfelte Äpfel und 4 bis 5 Esslöffel fertig gekochte rote Linsen müssen mitgegart werden. Nach kurzem Dünsten wird mit ca. einem halben Liter Geflügelfond aufgefüllt.  Noch 10 Minuten köcheln lassen und probieren.

 

RB:: Wow. So einfach, so schnell, so phantastisch.

JK: Das ist das Rezept meiner Mutter. Sie serviert das genau so, unpüriert in einer Tasse.

RB: Hat Dir Deine Mutter das Kochen beigebracht?

JK: Ja.

RB: Dann schmeckt bei Dir das Essen so wie bei Deiner Familie zu Hause in Indien?

JK: Genau. Das ist wohl auch der Grund, weshalb bei mir viele Inder essen.

RB: Zurück zur Mulligatawny. Da gehört Huhn hinein.

JK: Braucht es nicht. Und wenn, bereiten wir das separat zu, richten es an und übergiessen es mit der Suppe.

RB: Aber jetzt pürierst Du die Suppe?

JK: Für die Europäer, ja. Die kommen nicht immer klar, wenn die Gewürze als Ganzes noch darin sind und sie auf ein Pfefferkorn beissen.

RB: Welche Curries hast Du da aus diesen farbigen Töpfen hineingegeben?

JK: Das sind keine Curries. Das sind gemahlene Gewürze. Verschiedene Chilis, Koriander, Kurkuma, Kümmel, Anis und so weiter.

RB: Aber das ist doch eine Currysuppe, da braucht es doch noch Currypulver.

JK: Curry ist eine Mischung aus Gewürzen. Wir haben tausende davon und bereiten sie frisch zu 

RB: Dann hast Du jetzt also Dein Curry sozusagen in der Pfanne à la minute geröstet und gemischt?

JK: Genau, das Rösten der Gewürze bringt den Vorteil, dass es die Bitterkeit nimmt und den Geschmack öffnet.

 

Das Molagu Thanni wird im Cutter püriert zurück in die Pfanne gegeben, mit Kokosmilch verfeinert, nochmals gut durchgekocht und mit Salz abgeschmeckt. Die Pouletbrust ist bereits fertig vorbereitet - in Stücke geschnitten, rötlich gewürzt, kurz gebraten und an einem warmen Ort bereitgestellt. Ein paar Stücke davon kommen in einen tiefen Suppenteller.

 

RB: Rötlich gewürzt heisst also: Chicken Tandoori Style.

JK: Nein. Nicht schon wieder. Das Rote hat nichts mit Tandoori zu tun.

RB: Aber da ist doch Tandoori Paste dran.

JK: Das haben auch die Engländer verbrochen. Das Rote ist eine Gewürzpaste. Der Ofen heisst Tandoor. Und alles, was im Tandoor-Ofen gebraten wird, heisst Tandoori. Die Engländer haben das verwechselt und vermischt. Dabei ist nicht mal der Ofen indischen Ursprungs. Der kommt ursprünglich aus Afghanistan. 

 

Jay Kumar übergiesst die im Teller angerichteten Pouletstücke mit der pürierten Mulligatawny, also dem Pfefferwasser, das, nebenbei bemerkt, nahezu so dick ist, wie ein dünner Kartoffelstock. Darüber verteilt er etwas gekochten Reis und bestreut das Ganze mit wenig gezupften grünen Koriander. Ein Gedicht.

Originalvariante der Mulligatawny von August Escoffier 1903 im Kochkunstführer niedergeschrieben. Die Nationalsuppe und Britisches Heiligtum nach Art der alten klassischen französischen Küche:

Ein ganzes Huhn zu einem Frikassee schneiden. Dazu die Schenkel abtrennen und in zwei Hälften teilen. Die Flügel abtrennen. Die beiden Brüste auslösen und halbieren (ergibt 10 Teile). Die Karkasse (das Knochengerüst) klein schneiden. 1.75 Liter Geflügelbrühe (oder Wasser) mit der zerkleinerten Karkasse kalt ansetzen und aufkochen. Kurz kochen lassen und gut abschäumen. Salzen. Die Stücke vom Huhn sowie eine Karotte (geschält, gewürfelt), ein Zweig Stangensellerie (fein geschnitten), ein Sträusschen Petersilie und fein gehackte Champignons beigeben und auf kleinem Feuer eine halbe Stunde leise vor sich hin köcheln lassen. Eine geschälte und gehackte Zwiebel in 50 g Butter andünsten und leicht Farbe nehmen lassen. Mit 20 g Mehl und einem gehäuften Kaffeelöffel Currypulver bestreuen, dünsten lassen und gut vermischen. Die zuvor zubereitete Hühnerbrühe durch ein Sieb zu der Zwiebel-Curry-Mehl-Mischung giessen, gut verrühren, aufkochen und wieder zu den Hühnerstücken giessen. Nochmals gut 15 Minuten leise köcheln lassen. Die Frikassee-Stücke vom Huhn herausheben, in einer grossen Suppenschüssel anrichten und warm stellen. Das Petersiliensträusschen aus der Suppe nehmen und Suppe mit allem Gemüse durch ein Lochsieb (Spitzsieb oder Chinoise-Sieb) passieren (das ganze Gemüse durchdrücken) oder im Cutter pürieren. Zurück in die Pfanne geben, aufkochen und mit Vollrahm (je nach Geschmack geschlagen oder flüssig) vervollständigen und zum Schluss mit etwas Cayennepfeffer abschmecken und leicht schärfen. Dazu wird gekochter Patnareis separat serviert.

 

JK: Aber halt mal, da ist ja nur ein einziger armseliger Kaffeelöffel Currypulver drin.

RB: Na und. Alte klassische französische Küche, 1903 festgeschrieben. Stell Dir mal vor, Du hättest den hochzugeknöpften, blassen und zartbesaiteten Menschen des viktorianischen Zeitalters Deine Mulligatawny serviert.

JK: Na und? Das hätte ihnen ein klein wenig Farbe ins Gesicht gezaubert.

RB: Die hochgeschlossenen Halskrausen und festgezurrten Korsetts wären reihenweise explodiert. Denen wäre wortwörtlich der Kragen geplatzt. Aber ja, etwas mehr Curry kann es schon sein. Je nach Geschmack und Curry 2 bis 3 Esslöffel auf die oben angegebene Menge Flüssigkeit. Klassisch und damit passend ist dafür das Madras Curry Green Lable von M.M. Poonjiaji Spices Ltd.

RB: Willst Du noch was sagen?

JK: Mulligatawny nochmal. Die spinnen, die Briten! Ich mache mein Curry selbst.