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Die Bühne dampft, die Kameras klicken, die Gäste posten. Auf dem Teller: Rauch, Textur, Farbe. Geschmack? Vielleicht. Gespräche? Selten. Was einst als Begegnung zwischen Produzent, Gastgeber und Gast begann, ist heute oft ein visuelles Spektakel mit digitalem Nachhall. Kulinarik wird immer mehr inszeniert, immer weniger erlebt. Und genau darin liegt das Problem.
Das zeigte offensichtlich auch an den SwissSkills. Daniel Nyfeler, Präsident der Wettbewerbskommission des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbands, räumt im Interview mit Panissimo offen ein, dass die SwissSkills-Wettbewerbe nicht den Berufsalltag abbilden: «Wettkampf ist immer ein wenig Show – da muss ich den kritischen Stimmen Recht geben.» Torten mit sieben Komponenten seien zwar eindrucksvoll, aber fern der Realität in den meisten Betrieben. Dennoch verteidigt Nyfeler die Inszenierung als strategisches Mittel, um Aufmerksamkeit für das Handwerk zu schaffen und die Bühne für die Berufe zu nutzen. Damit bestätigt er jedoch genau, was viele Beobachter kritisieren: Die Meisterschaften zeigen Können, aber nicht Alltag – und setzen auf visuelle Wirkung statt auf praxisnahe Vermittlung.
Food-Events, Gourmetmessen und Street-Food-Festivals haben sich in den letzten Jahren radikal gewandelt. Sie sind immer weniger Orte des Austauschs, und immer mehr Plattformen für Content-Produktion. Über 70 Prozent der Besucher:innen posten ihre Eindrücke auf Instagram oder TikTok – oft noch bevor sie überhaupt gekostet haben. Die durchschnittliche Verweildauer an einem Stand liegt unter 90 Sekunden. Gespräche mit Produzenten weichen Selfies, Reels und Hashtags.
Der Einfluss von Influencer:innen ist schon messbar: Events mit Social-Media-Prominenz verzeichnen zwar oft mehr Besucher:innen. Doch die Verkaufsquote bleibt zumeist unter 15 Prozent (siehe Kasten). Es geht weniger um Genuss oder Interesse am Produkt und mehr um Reichweite. Kulinarik wurde zur Währung im digitalen Aufmerksamkeitsmarkt.
Auch in der Gastronomie selbst zeigt sich der Wandel. 62 Prozent der befragten Gastronom:innen beobachten, dass Gäste zunehmend «visuell motiviert» bestellen. Dafür spricht auch, dass wie in Asien immer mehr Angebotskarten und Aushänge mit Bildern der Gerichte versehen sind. Die sensorische Tiefe, das Abschmecken, das Verstehen von Produkten – all das tritt in den Hintergrund. Geschmack wird sekundär, Handwerk zur Kulisse.
Als ehemaliger Messeleiter der Gourmessen habe ich viele dieser Entwicklungen hautnah erlebt. Was früher zählte, war die Begegnung: das Gespräch mit der Käserin, das Probieren eines neuen Produkts, das Staunen über handwerkliche Präzision. Heute zählt die Inszenierung, und alles muss klickbar sein.
Doch es gibt Hoffnung. Die Slow-Food-Bewegung, kleine Produzenten, echte Gastgeber:innen – sie alle setzen auf Qualität, Tiefe und Authentizität. Was früher als Gegenbewegung zur industriellen Lebensmittelproduktion begann, wird heute zur Antwort auf die digitale Entwertung des Genusses. In einer Welt, in der Essen zunehmend inszeniert, gefiltert und verwertet wird, schaffen diese Akteur:innen Räume, in denen Kulinarik wieder erlebt werden kann – nicht nur dokumentiert.

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Was neu ist: Die Sehnsucht nach Echtheit wächst. Gäste wollen wieder wissen, woher ein Produkt kommt, wer es gemacht hat, wie es schmeckt – jenseits von Algorithmen und Trendfeeds. Kleine Betriebe, handwerklich arbeitende Küchen, regionale Initiativen gewinnen im Kleinen an Relevanz, weil sie nicht nur Produkte liefern, sondern Haltung. Sie bieten keine Klicks, sondern Kontext. Keine Reichweite, sondern Resonanz.
Der springende Punkt ist, die beschriebenen Räume für echten Genuss, Tiefe und Authentizität entstehen nicht im Regal der Grossverteiler, sondern in der Nische. Dort, wo Produzent:innen noch selbst erzählen, wo Herkunft nicht nur ein Label ist, und wo Geschmack nicht durch Marketing, sondern durch Handwerk entsteht.
Die grossen Detailhändler setzen auf Skalierbarkeit, Effizienz und visuelle Reizverstärkung. Was zählt, sind Drehgeschwindigkeit und Regalperformance – nicht Begegnung oder Kontext. Slow Food, handwerkliche Käsekunst, regionale Spezialitäten oder ehrliche Gastgeber:innen finden dort nur bedingt Platz. Sie leben von Direktbeziehungen, von kleinen Plattformen, von Magazinen wie Das Pauli Magazin, die nicht Reichweite simulieren, sondern Wahrnehmung schaffen.
Gerade deshalb wird die Nische zur Bühne für das Echte. Nicht laut, nicht flächendeckend – aber wirksam.
Kulinarik braucht Raum, nicht Tempo. Sie braucht Zeit, nicht Taktung. Und sie braucht Menschen, die nicht nur konsumieren, sondern verstehen wollen. Wenn wir das wieder zulassen, kann aus der Bühne wieder ein Tisch werden – und aus dem Content wieder ein Erlebnis. Nicht laut, nicht viral – aber nachhaltig, sinnlich und erinnerbar.