Inmitten einer Musikbranche, deren Inhalt sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, klafft eine grosse Leerstelle: frauenkomponierte Musik. Die Werke von Komponistinnen sind in Konzerten klassischer Musik nämlich äusserst selten zu finden. An ihrer Zahl würde es dabei nicht fehlen, man kennt ihre Namen nur nicht mehr. Clara Schumann und Fanny Hensel (geborene Mendelssohn) mögen bekannt klingen – aber verdanken sie diesen Ruhm nicht vielmehr dem berühmten Ehemann Robert Schumann und dem ebenso bekannten Bruder Felix Mendelssohn-Bartholdy?

Alles neu, ausser dem Inhalt?

Dass Komponistinnen bei der Modernisierung des Konzertbetriebs oft vergessen werden, beobachtet Meredith Kuliew, Bratschistin und Initiantin von FemaleClassics, schon länger: «Die meisten klassischen Institutionen sind um einen modernen Look und neue Konzertformate bemüht – wie etwa Openairkonzerte oder anschliessende Disco Happenings – den Inhalt vergessen sie dabei jedoch. Der Kern der klassischen Musik war und ist schon immer die Komposition. Es ist wichtig, dass wir hier Gleichberechtigung und Diversität schaffen.» Eine solche Inklusion vergessener oder wenig beachteter Komponistinnen biete ausserdem auch einen ganz praktischen Vorteil und Mehrwert: Das Konzertrepertoire wird um neue, spannende und vielseitige Werke erweitert. Dem stimmt auch Viviane Nora Brodmann, Musikwissenschaftlicher Beirat und Doktorandin am Musikwissenschaftlichen Institut Zürich, zu: «Ein diverses Programm auf den Spielplänen der klassischen Musik ist möglich und längst überfällig. Die Mittel der Recherche und Aufführung bestehen längst. Zudem eröffnet die Beschäftigung mit Komponistinnen spannende Forschungsbereiche zu deren Persönlichkeiten und Schaffen».

Es sind genau diese Gründe, die Kuliew dazu bewegten, das Festival FemaleClassics ins Leben zu rufen. Neben der Erweiterung des Konzertrepertoires machte sie es sich zum Ziel, diese zahlreichen verborgenen Talente von damals und heute sichtbar zu machen. Damit will FemaleClassics nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Musikverständnis leisten und Vorbilder für die zukünftigen komponierenden Generationen schaffen, sondern auch ein möglichst breites Publikum ansprechen – ob kulturfern, gleichberechtigungsnah oder auf der Suche nach neuen musikalischen Juwelen, ob Zuhörer*innen oder tatkräftige Unterstützung. Der junge, aktuell vierköpfige Vorstand von FemaleClassics ist sich bewusst, dass ein solches Unterfangen viel Arbeit bedeutet, und freut sich daher auch über Unterstützung.

Erste Konzertreihe im Juni 2022

Vom 16. bis 19. Juni 2022 werden endlich Taten folgen: In drei Konzerten spielen Berufsmusiker*innen im Zürcher Kulturraum Walcheturm und in der Photobastei Frauenkompositionen. Mit Werken der eigenwilligen Komponistin und Frauenrechtlerin Ethel Smyth wird das Festival ganz im Sinne der Ziele von FemaleClassics eröffnet. Am zweiten Tag soll die Gegenüberstellung der beiden zeitgenössischen Komponistinnen Sofia Gubaidulina und Asia Ahmetjanova die Vielfältigkeit zeitgenössischer Musik zeigen. Und auch der letzte Abend des Festivals ist ein Statement: Man gedenkt Fanny Hensel, deren Todestag sich im Mai 2022 zum 175. Mal jährt (ein Umstand, der bei ihren männlichen Kollegen jeweils zu grossen Festlichkeiten führt) und feiert die wiederentdeckte Florence Price. Talks zu Beginn der Konzerte sollen das Publikum mit Wissen ausrüsten und ihnen so ein tieferes Verständnis der aufgeführten Musik vermitteln. Mit demselben Ziel leitet Meredith Kuliew ausserdem einen Workshop, der interessierten Amateurmusiker*innen zudem einen praktischen Zugang zu den Werken ermöglichen soll. Mit seinem ersten Festival macht FemaleClassics die Ziele also zum Programm. Es soll eine Bühne entstehen, auf welcher solche frauenkomponierte Musik ihre ganze Wirkung entfalten kann, die sich – so die Hoffnung von FemaleClassics – auf andere Bühnen überträgt.