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  Kommentar | Gastronomie-Mehrwertsteuer in Deutschland von 19% auf 7% auf 19%. Halleluja. Der Versuch einer gastropolitischen Ode aus der Schweizer Ursuppe nach Teutonien.

Von: Romeo Brodmann | Bild: Stefanie Koehler, aus dem Buch: Die Suppen der der klassischen französischen Küche.

In Deutschland wird der MwSt Statz wieder von 7 auf 19 % heraufgesetzt. Darüber reiben wir uns in der Schweiz die Äuglein. Beleuchten wir das doch mal politisch von hinten nach vorne.

Letzthin wurde in der Schweiz gewählt. Die Schweizerische Volkspartei SVP ging dabei als Gewinnerin hervor. Die deutschen Nachrichtensender titelten darauf unisono: «RECHTSRUTSCH IN DER SCHWEIZ». In der Schweiz löst so ein Kommentar öffentlich-rechtlicher deutscher Kanäle Lachkrämpfe aus. Das ist politisches Unvermögen pur.

An dieser Stelle also eine Erklärung an unsere Gastrofreunde in Deutschland zum politischen System der Schweiz und weshalb wir einen erträglichen MwSt-Satz haben, den wir selber auch noch frei und willig erhöhen.

Die Schweiz ist wie eine gute alte französische Petite Marmite. Da drin ist Suppe, Fleisch, Huhn, Gemüse, Knochen, Gewürze, Salz, Bouquet Garni, unten brodelt und oben simmert es. Der Dreck schäumt auf und kann abgeschöpft werden. Es ist eine Vielfalt unterschiedlichster Zutaten, die sich letztendlich immer zu einer Einheit entwickelt und sich selbst klärt. Ja gut, hin und wieder geht auch einiges schief, das System vermag das allerdings recht gut auszugleichen.

Bild: Stefanie Koehler, aus dem Buch: Die Suppen der der klassischen französischen Küche.

Das mit der französischen Petite Marmite ist nicht weit hergeholt, denn es entsprang Napoleons politischer Grösse, zu erfassen, dass die Selbstbestimmung der Kantone die wohl wichtigste Zutat für ein grösseres Ganzes und eine moderne Schweiz ist. Im Volksmund heisst das «Kantönligeischt». Napleon machte 1803 die Schweiz mit seiner Mediationsverfassung (er musste diesen damaligen Gewaltshaufen für die eigenen Zwecke in geordnete Bahnen lenken) von der Republik wieder zu einem losen Staatenbund, eben der Eidgenossenschaft, aus der 1848 der heutige Bundesstaat entsprang. 

Seither ist die Schweiz eine direkte Demokratie. Schweizerinnen und Schweizer verfügen neben dem Wahlrecht auch über das Recht, bei Sachfragen abzustimmen. Regiert wird die Schweiz durch den Bundesrat, einem Kollegium von 7 Mitgliedern welches die vom Volk gewählten Parteien und Ihre Stärken abbildet und seine Entscheide mittels Konsens fällt. Bundesrät:innen werden durch die Vereinigte Bundesversammlung gewählt. Vereinigt deshalb, weil sich die Bundesversammlung aus zwei Kammern zusammensetzt. Die grosse Kammer, der Nationalrat, übernimmt die Vertretung des Volkes, während die kleine Kammer, der Ständerat, die Vertretung der Kantone übernimmt. In diesem Parlament bringen die gewählten Volksvertreter ihre Positionen ein. Innerhalb des Parlamentes gibt es festgeschriebene Werkzeuge: z.B. Parlamentarische Initiative, Standesinitiative, Motion, Postulat, Interpellation, Anfrage sowie Fragestunde. Abgesehen von den meisten Geschäften, über die das Volk in der Regel an vier festgesetzten Terminen jährlich abstimmt, hat das Volk weitere Möglichkeiten mitzubestimmen: z.B. mittels Volksinitiative und Referendum. Bei aller Verschleierung und Geheimniskrämerei ergibt das doch eine recht klare Suppe, die es den Bürgern ermöglicht, sich zu informieren und mitzubestimmen. Z.B. darüber wieviel Fett und wieviel Suppe aus der Petit Marmite abgeschöpft wird.

Ganz wichtig dabei, die Tragende Säule des Schweizerischen Bundesstaates: Der Föderalismus. Dieses Organisationsprinzip spricht den einzelnen Gliedern (Kantone, Gemeinden) eine begrenzte Eigenständigkeit zu, schliesst diese aber zu einer übergreifenden Gesamtheit zusammen. Es handelt sich also um ein im Grunde paradoxes Werkzeug, das sowohl zentralisierend als auch dezentralisierend wirkt, damit die Vielfalt in der Einheit erhält und – wie es Alexis de Tocqueville ausdrückte, so weit als möglich auch «die Tyrannei der Mehrheit» in ihre Schranken verweist. Oder anders gesagt: Auch eine Minderheit bekommt ihre Stimme und kann sich gegebenenfalls durchsetzen. Ein Beispiel dafür ist das Ständemehr bei Abstimmungen: Bestimmten Vorlagen muss in der Regel nicht nur die einfache Mehrheit des Volkes, sondern auch die Mehrheit der Kantone zustimmen. Lehnen also beispielsweise 14 Kantone eine Vorlage ab, während 60 Prozent der Gesamtheit der Stimmbevölkerung dafür sind, ist die Vorlage abgelehnt. Demnach haben sich 40 Prozent gegenüber der Mehrheit rechtsstaatlich durchgesetzt. Dieses System besitzt eine befriedende Wesensart.

Damit sind wir beim Punkt, weshalb wir in der Schweiz keinen Rechtsrutsch haben. Die Schweizerische Volkspartei SVP, deren Vorlagen oft zu weit gehen, werden vom Volk meist schlichtweg verworfen. Die SVP ist in der Schweiz die Partei mit den am meisten «verlorenen» Sachabstimmungen. Knapp zwei Drittel der Schweizer:innen wählen also SVP und damit vermeintlich rechts, korrigieren aber dann den Kurs in den einzelnen Fragen an der Urne nach Mitte-Links. Okay, wenn es uns den Deckel «lüpft», dann stimmen wir einer rechtsgerichteten Vorlage schon auch mal zu. Wir sind mündige Bürger.

So bestimmen wir eben auch unseren MwSt-Satz selbst. Zuletzt taten wir das am 25. September 2022. Der MwSt-Satz wird 2024 von 7.7 auf 8.1 angehoben, um die Altersrenten zusätzlich zu finanzieren.

In krassem Gegensatz dazu stehen die demokratischen Systeme Europas, in denen für eine Amtsperiode jeweils ein Programm gewählt wird. 

In Deutschland wählt Ihr also an der Bundestagswahl ein Programm. Das müsst Ihr dann vier Jahre gucken und schlucken, ob Ihr wollt oder nicht. Wir gucken in der Schweiz die Programme Europas, z.B. das Ampel-Programm, ebenfalls mit, schütteln den Kopf und sind heilfroh, können wir mitbestimmen und korrigieren. Das macht es uns auch leichter, etwas mitzutragen, dem man als Individuum nicht zugestimmt hat.

Das sollte in Europa auch das Verständnis wecken, weshalb die Mehrheit der Schweizer:innen die Zugehörigkeit zum Gewaltenmonopol EU ablehnt, obwohl man dem Gedanken eines europäischen Miteinanders eigentlich mehrheitlich sehr zugetan wäre. Wir Schweizer lehnen diesen gewählten Diktaturkoloss mehrheitlich ab, eben weil er sich vor der Mitbestimmung der Bürger:innen fürchtet wie der Teufel vor dem Weihwasser. Falls Ihr es noch nicht gemerkt habt, Eure Regierungen und Beamten erklären euch EU Bürger:innen damit generell für unmündig.

Und die EU erklärt im Grunde die Schweiz aufgrund ihres Hanges zur Selbstbestimmung schlicht für unmündig. Das hat ja auch dazu geführt, dass am 26. Mai 2021 der damalige Bundesrat und Bundespräsident, der Landwirt und Winzer Guy Parmelin aus der kleinen Schweiz der gewählten Adelige EU-Despotin, Ursula die Grosse, kabelte (Kabeln, CH-D für Telefonieren) und ihr mitteilte, die Verhandlungen über die bilateralen Rahmenabkommen mit der Grossmacht EU seien abgebrochen. Fertig, Schluss, Aus, Amen. Auch wenn ich persönlich nicht so der SVP-Typ bin, dafür hatte sich Parmelin meinen ganzen Respekt verdient, sowas braucht Mut, okay auch ein klein wenig Naivität und vielleicht die eine oder andere Flasche La Côte.

Ja gut, also doch, oder nein, in der Schweiz steht auch nicht alles zum Besseren. Aber so etwas, dass unter der heiligen Angela während Corona als Entlastungsmassnahme die MwSt für die Gastronomie auf 7 % gesenkt wird, der «neue» Kanzler notabene zwischenzeitlich die «Entfristung» dieser Entlastungsmassnahme vor laufenden TV-Kameras und im Gespräch mit Bürgern verspricht während der andere Teil der Regierung dieses Versprechen in nathlosem Übergang bricht, die MwSt wieder auf 19 % anhebt, worauf Olaf der Schweigsame sich im Opossum-Style tot stellt und dem Ganzen ohne etwas zu sagen zustimmt, nein, so etwas gibt es bei uns eher nicht. Bei sowas haben wir als Schweizer Stimmvolk dann ein Wörtchen mitzureden. 

Jetzt hoffe ich, dass jeder Gastronom in Deutschland, der diese MwSt-Erhöhung überlebt, den Mut hat, alle Mitglieder dieser Ampel-Regierung, die in Euren Restaurants Platz nehmen wollen, im «Parmelin-Style» vor die Tür zu setzen oder ihnen eine Spezialkarte mit doppelt so hohen Preisen vorsetzen, damit sie ihre eigene(n) Kröte(n) schlucken müssen.