WEISSES GOLD | KOCHKUNDE: Zuckerfrei mit Struktur – Wie man ohne Zucker nicht nur süss, sondern auch stabil backt.
Zucker ist mehr als nur Süsse. In der Welt der Patisserie ist er Architekt, Emulgator, Feuchtigkeitsspender – ein unsichtbarer Statiker für Biskuit, Mousse und Meringue. Wer ihn streicht, verliert nicht nur Geschmack, sondern auch Halt. Doch genau hier beginnt die Kunst: Wie ersetzt man Zucker so, dass nicht nur die Süsse bleibt, sondern auch die Struktur? Die Antwort liegt nicht im Ersatzstoff, sondern im System. Moderne Backtechnik kombiniert Ballaststoffe, Polyole und fermentative Innovationen zu funktionalen Mischungen, die Volumen, Bindung und Textur liefern – ganz ohne Blutzuckerspitzen. Was früher als Verzicht galt, wird heute zur Vielfalt: Zuckerfrei ist kein Kompromiss mehr, sondern ein Konzept. Und wer es beherrscht, backt nicht nur gesünder – sondern besser.
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Text: Romeo Brodmann | Bild: Unsplash
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Zucker ist mehr als nur Geschmack. In der Welt der Patisserie und Süssspeisen spielt er eine tragende Rolle: Er stabilisiert Eischnee, gibt Cremes Volumen, sorgt für Feuchtigkeit im Teig und beeinflusst die Textur von Mousses und Biskuits. Wer sich mit einer diabetesgerechten Ernährung auseinandersetzt, steht daher vor einer doppelten Herausforderung: Wie ersetzt man Zucker nicht nur als Süssungsmittel, sondern auch als strukturgebenden Bestandteil – und zwar so, dass selbst Zuckerliebhaber keinen Unterschied schmecken?
Die Antwort liegt in der Kombination. Einzelne Ersatzstoffe können die Süsse imitieren, aber erst durch gezielte Mischungen entsteht ein funktionales Pendant zum klassischen Haushaltszucker. Ballaststoffe wie Inulin oder Polydextrose bringen Volumen und Bindung, während Erythrit, Allulose oder Stevia für die Süsse sorgen. Besonders spannend sind fermentative Innovationen, etwa aus Chicorée oder Apfelfasern, die nicht nur texturgebend wirken, sondern auch die Darmflora unterstützen – ein Pluspunkt für Menschen mit metabolischen Erkrankungen.
Beim Aufschlagen von Eimassen etwa – ein kritischer Punkt für viele Süssspeisen – kann eine Mischung aus feinkristallinem Erythrit und etwas Xanthan oder Guarkernmehl die Luftbindung stabilisieren. Für Baiser oder Meringue eignet sich Isomaltulose, da sie ähnliche Kristallstruktur und Karamellisierungseigenschaften wie Saccharose besitzt. In Mousses und Cremes hilft Allulose, die Textur weich und cremig zu halten, ohne den Blutzucker zu belasten.
Doch wie gelingt der Einstieg? Der Schlüssel liegt im Umdenken. Statt Zucker als unverzichtbare Basis zu sehen, lohnt es sich, Rezepturen neu zu interpretieren – mit Fokus auf Funktion, nicht nur Geschmack. Das bedeutet: testen, anpassen, neugierig bleiben. Viele Hersteller bieten inzwischen strukturwirksame Zuckerersatzmischungen an, die speziell für diabetische Ernährung entwickelt wurden. Und ja – mit etwas Fingerspitzengefühl lassen sich Produkte kreieren, die selbst eingefleischte Zucker-Junkies überraschen. Der Trick liegt nicht im radikalen Verzicht, sondern im intelligenten Ersatz.
Zuckerfrei bedeutet heute nicht mehr Verzicht, sondern Vielfalt. Wer sich darauf einlässt, entdeckt eine neue kulinarische Welt – eine, die nicht nur süss schmeckt, sondern auch gesund strukturiert ist.
Übersicht zu funktionalen Zuckerersatzstoffen bzw. Stoffkombinationen:
Inulin + Erythrit
Inulin, ein präbiotischer Ballaststoff aus Chicorée oder Agave, bringt Volumen und eine leicht cremige Textur in Süssspeisen. In Kombination mit Erythrit entsteht eine Mischung, die nicht nur süsst, sondern auch beim Aufschlagen von Eimassen Struktur und Luftigkeit unterstützt. Besonders geeignet ist diese Kombination für Biskuit, Mousse und leichte Cremes, bei denen Stabilität und Mundgefühl gefragt sind.
Polydextrose + Stevia
Polydextrose ist ein synthetischer Ballaststoff mit geringer Süsskraft, aber ausgezeichneter Volumenwirkung. Zusammen mit Stevia, das für die Süsse sorgt, ergibt sich eine funktionale Mischung, die beim Aufschlagen von Eiern die Luftbindung verbessert und die Masse stabilisiert. Diese Kombination eignet sich gut für Soufflés, luftige Teige und kalorienarme Desserts, bei denen Textur entscheidend ist.
Isomaltulose oder Palatinose
Isomaltulose, auch bekannt als Palatinose, ist ein Disaccharid mit ähnlicher Kristallstruktur wie Haushaltszucker, aber deutlich langsamerer Verstoffwechselung. Sie eignet sich hervorragend für Anwendungen wie Baiser oder Meringue, da sie beim Aufschlagen von Eiweiss die gewünschte Stabilität und Karamellisierungseigenschaften bietet – ohne den typischen Blutzuckeranstieg.
Allulose
Allulose ist ein seltener Zucker, der dem Haushaltszucker geschmacklich und physikalisch sehr nahekommt, aber nahezu keine Kalorien liefert. Sie kristallisiert ähnlich, karamellisiert leicht und unterstützt die Volumenbildung in aufgeschlagenen Massen. Besonders in Mousses, Cremes und Eis zeigt Allulose ihre Stärken, da sie sowohl Süsse als auch Struktur liefert.
Maltodextrin + Fruchtzucker
Maltodextrin bringt Volumen und Bindung in die Rezeptur, während Fruchtzucker (Fructose) für die Süsse sorgt. Diese Mischung eignet sich besonders für aufgeschlagene Eimassen, da sie die Luftbindung unterstützt und eine angenehme Textur erzeugt. Allerdings karamellisiert Fructose schneller als Saccharose, weshalb bei der Verarbeitung eine präzise Temperaturkontrolle wichtig ist.
Anwendungstababelle für Zuckerersatzprodukte mit Texturwirkung:
Gebrauchsfertige, Handelsübliche Zuckerersatzprodukte mit Texturwirkung:
Zwei Zuckerfreie Rezeptbeispiele:
Zuckerfreies Biskuit für Tortenböden oder Rouladen, Angaben für Springform mit 24cm Durchhmesser

Bild: Unsplash, Giorgio Trovato
4 Stk Eier trennen. Die 4 Eiweisse mit einer Prise Salz steif schlagen. Sobald es beginnt fest zu werden, 80 Gr fein gemahlenes Erythrit langsam einrieseln lassen und weiterschlagen, bis eine stabile, glänzende Masse entsteht.
4 Stk Eigelbe mit 20 Gr Inulin und ½ Tl Vanilleextrakt cremig aufschlagen, bis die Masse hell und schaumig wird.
80 Gr Mehl (z.B. Dinkelmehl Type 630 oder. Weizenmehl Type 405) mit 1 Tl Backpulver mischen, über die Eigelbmasse sieben und vorsichtig unterheben.
Den Eischnee in drei Portionen unterheben, dabei behutsam arbeiten, um das Volumen zu erhalten.
Die Masse In die mit Backpapier ausgelegte oder gebutterte und gemehlte Springform füllen, in den auf 180°C vorgeheitzen Ofen schieben und mindestens 25 Minuten backen (Nadelprobe)
Zuckerfreie Meringue

Bild: Unsplash, Massimo Vergilio
4 Stk oder 130 gr Eiweiss in eine fettfreie Schüssel geben und mit einer Prise Salz beginen steif zu schlagen. Sobald die Masse beginnt, Volumen zu bekommen, den Zuckerersatz (160 Gr Isomaltulose bzw. Palatinose oder dann 120 Gr fein gemahlenes Erythrit langsam und portionsweise während des Schlagens einrieseln lassen – das ist wichtig für die Stabilität.
Weiter schlagen, bis die Masse glänzt und feste Spitzen bildet. Das kann mit Erythrit etwas länger dauern. Optional ½ Tl Zitronensaft oder 1 Tl Vanilleextrakt zum Schluss mitschlagen. – das stabilisiert zusätzlich und gibt Aroma.
Die fertige Meringue-Masse mit einem Spritzbeutel oder Löffel in gewünschten Formen auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech dressieren oder setzen.
Die Meringue im Ofen ca. 90–120 Minuten trocknen lassen, je nach Grösse. Sie sollen aussen trocken und innen leicht weich bleiben. Bei Erythrit reichen oft schon 80–100 Minuten, da es schneller kristallisiert. Zum durchtrocknen, die Meringue im Ofen lassen, diesen aber ausschalten und die Backofentüre einen Spalt öffnen und so über nach trocknen lassen.
Erythrit vor der Verwendung fein mahlen damit sich keine Kristalle bilden. Isomaltulose ergibt eine besonders stabile und glänzende Meringue, fast wie mit Zucker. Wer die Merinque jetzt noch vegan will, verwendet anstatt Eiklar Aquafabe. Aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.