«Für alles ist ein Kraut gewachsen», besagt ein Sprichwort; auch für jedes Gericht. Die Kräuter müssen aber immer zum jeweiligen Essen passen, denn nichts ist schlimmer, als wenn sich ein unpassender Geschmack durch ein Gericht zieht. Um mit Kräutern zu kochen, muss man aber über keinen grossen Kräutergarten verfügen. Es reichen bereits ein paar Kräutertöpfe auf Balkon und Terrasse oder man sucht die Kräuter in der Natur.

Urs Oskar Keller: Sie sind als Koch bekannt für Ihre originellen Kraut-, Unkraut-, Blumen- und Blüten-Kreationen und werden auch «Chrüter-Oski» genannt. Woher kommt Ihr grosses Interesse an Kräutern und (Wild-)Pflanzen? Einfach weil Sie neben der berühmten ehemaligen Zisterzienserabtei St. Urban LU mit Klostergarten aufgewachsen sind? Oder eher durch den Garten Ihrer Eltern und die Verarbeitung dieser natürlichen Kostbarkeiten durch Ihre Mutter?

Oskar Marti alias Chrüter-Oski: Wir hatten zu Hause einen grossen Garten. Als Kind besass ich zudem einen eigenen Schrebergarten. Dort durfte ich meine eigenen Pflanzen, Erdbeeren, Kräuter und Blumen auswählen, pflanzen, hegen, pflegen und ernten.

Keller: Wo gibt es schöne Kräutergärten?

Chrüter-Oski: Die Schweiz war immer bekannt für Kräuter. Im Mittelalter waren Kräuter ein Privileg der Klöster, weil die Kräuter auch eine Heilwirkung hatten und somit wurde auch entsprechend Macht ausgeübt. Hätte ich im Mittelalter gelebt und solche Kräuter so angewendet, wäre ich bestimmt ein Hexer gewesen und verbrannt worden. Die Klöster wollten ja nicht, dass man dieses Heilwissen weiter gab und ihnen etwas von ihren Privilegien wegnahm. Ich mag die barocke Schlossdomäne Wildegg (Museum Aargau).

Keller: Wo kaufen Sie heute, wo Sie kein eigenes Restaurant mehr führen, Ihre Kräuter ein?

Chrüter-Oski: Ich kann es nicht lassen: Ich habe auch in Meggen einen Garten mit einer grossen Kräuterspirale angelegt. Da ernten meine Frau und ich sogar im Oktober frischen Safran.

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«Pfarrer Künzle hat über die Heilwirkungen sehr viel zu seiner Zeit doziert und seine Erkenntnis vorgelebt. Kräuter haben eine sehr grosse präventive Heilwirkung. Also: Die Gesundheit geht eben auch durch den Magen!»

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Keller: Als Sie 1974 selbständig wurden und zuerst das Hotel-Restaurant «Drei Könige» in Entlebuch übernahmen, stand auf jedem Esstisch ein Gewürzständer (Menage) mit Salz, Pfeffer, Aromat und Maggi flüssig und die Gerichte, die aus der Küche kamen wurden mit Schnittlauch bestreut oder mit einem Peterli dekoriert. Etwas anderes kannte man kaum. Sie haben in Ihrer langen Kochkarriere fast 100 Lehrlinge ausbildet. Wird in der helvetischen Kochausbildung das Thema Kräuter genügend gewürdigt? Müssten die Bücher des bekannten Schweizer Kräuter-Pfarrers Johann Künzle (1857–1945) nicht Pflichtlektüre sein?

Chrüter-Oski: Ja, da bin ich auch Ihrer Meinung. Pfarrer Künzle hat über die Heilwirkungen sehr viel zu seiner Zeit doziert und seine Erkenntnis vorgelebt. Kräuter haben eine sehr grosse präventive Heilwirkung. Also: Die Gesundheit geht eben auch durch den Magen!

Keller: Wie heisst Ihre «Kräuter-Bibel», welches ist für Sie das beste Werk über Kräuter und ihre Verwendung?

Chrüter-Oski: Ich bin schon sehr lange mit dem Naturheilpraktiker und Autor Bruno Vonarburg in Teufen AR befreundet. Er führt dort eine Naturheilpraxis mit Kräuterstube. 1989 hat er das wunderbare Buch «Natürlich gesund mit Heilpflanzen» geschrieben, das leider vergriffen ist. Bruno Vonarburg hatte 2010 aber ein neues, 450-seitiges Standardwerk der Heilpflanzenkunde beim AT-Verlag Aarau herausgebracht, welches eine Weiterentwicklung der Phytotherapie darstellt. Es heisst «Energetisierte Heilpflanzen. Schonendes Verarbeiten und Veredlen von Arzneipflanzen. Grundlagen, Therapien und Anwendungen».

Keller: Ohne Zweifel sind Kräuter in der richtigen Dosierung wirkungsvoll und heilsam. Wie beeinflussen oder unterstreichen Sie den Geschmack?

Chrüter-Oski: Sehr wichtig ist, dass man saisonal, also nach den Jahreszeiten kocht. Dementsprechend sollten auch die Kräuter in der Küche angewendet werden.

Keller: Was für Auswirkungen haben Kräuter auf die Verbesserung von Speisen?

Chrüter-Oski: Je nach Jahreszeit wirken Kräuter wärmend (Kümmel), reinigend (Bärlauch), entwässernd (Brennnessel), entschlackend/entschleimend (Schlüsselblume, Veilchen) oder beispielsweise verdauungsfördernd (Thymian).

Keller: Wie sehen Sie den Einfluss von Kräutern auf die Gesundheit?

Chrüter-Oski: Einerseits vorbeugend, andererseits auch heilend. Natürlich auch als Behandlung. Salbei hat eine entzündungshemmende Wirkung. Mit Salbei gurgeln. Warum nicht ein Saltimbocca mit Salbeiblättern? Das ist eine Heilspezialität.

Keller: Stellen Sie auch Gewürzsalze mit getrockneten Kräutern selber her? Was sollte man neben einem guten Salz verwenden?

Chrüter-Oski: Ja. Ich verwende aber höchstens Salz mit frischen Kräutern. Salz ist eben Salz und mit dem «Salz-Kult» kann ich wenig anfangen. Von der Gesundheit und Ernährung her, ist klar: Salz ist Salz! Bedenken Sie: Ein Gramm Salz bindet 100 Gramm Wasser. Mit anderen Worten: Die Fettleibigkeit ist auch darauf zurück zu führen, dass wir zu viel Salz von den Speisen aufnehmen. Ich verwende es zur Konservierung, es hält mir auch die Verschimmelung ab, etwa für eine Bärlauch-Pesto nehme ich für 100 Gramm Bärlauch (fein gehackt), acht Gramm Salz und einen Deziliter Oliven- oder Rapsöl. Alles gut gerührt in einem fest verschlossenen Glas hält die Pesto ein Jahr im Kühlschrank.

Keller: Und wo findet ein Städter die Kräuter?

Chrüter-Oski: Am schönsten ist es eine Bergtour zu machen und Kräuter dort zu holen. «Die Apotheke Gottes», sagte Pfarrer Künzle dazu. Da gibt es alles in Hülle und Fülle – und gratis. Da findet man unvergleichlichen Bergthymian, Dost, Kümmel, Löwenzahl, Schafgarbe und köstlichen Wiesensalbei und, und, und. Da hat es alles. Die Bergkräuter verfügen über die grösste Kraft, viel Sonnenschein und gedeihen in mehrheitlich ungedüngten Boden. Absolute Spitze! Das Sammeln ist schon ein Erlebnis und man hat dazu ein tolles Wandererlebnis. Wir sind doch eigentlich Jäger und Sammler! Nur jagen die Menschen heute den Ferien nach und sammeln Geld und Aktien!

Keller: Welche Kräuter werden am häufigsten in der unserer Küche verwendet?

Chrüter-Oski: Wasabi, japanischer Meerrettich, und auch Zitronengras sind heute ganz im Trend. Diese Exotik ist eine Auswirkung der globalisierten (asiatischen) Küche. Das ist eigentlich schade, da unsere Bergkräuter, wie etwa der Bergthymian, grossartig schmecken. Ich brauche deshalb keinen Wasabi. Bei uns wird sicher Petersilie, Schnittlauch und Basilikum am meisten verwendet.

Keller: Mit der italienischen Küche sind auch die italienischen Kräuter beliebter geworden: Basilikum liegt sehr im Trend. Wie sehen Sie das? Oder ist die asiatische Küche, vor allem aus Thailand heute prägend?

Chrüter-Oski: Die mediterrane Küche bietet eine gesunde Variante der Ernährung. Der Massentrend geht zu Teigwaren und Pizzas. Basilikum, ein «Göttergewürz», gehört zur Mittelmeerküche und es gibt etwa fünfzig verschiedene Arten davon.  

Keller: Lassen sich Kräuter wie Basilikum auch gut in der Wohnung ziehen, wenn man keinen Garten hat?

Chrüter-Oski: Ja, aber am besten auf dem Balkon und Küchensims bei viel Sonne. Für mich ist natürlich ein Basilikum im Sommer in der Sonne gewachsen am besten. Das hat einfach eine ganz andere Qualität und Basilikum hilft in der heissen Jahreszeit den Körper zu kühlen.

Keller: Wie kann man die Sommerfrische in die kältere Jahreszeit mitnehmen und wie lassen sich Kräuter gut haltbar machen?

Chrüter-Oski: Im Winter möchte ich Kräuter, die mir Wärme bringen. Trocknen ist die klassische Konservierungsvariante, der Grossteil der Kräuter eignet sich gut zum Trocknen (Thymian, Oregano etc.). Basilikum und Bärlauch etc. lassen sich auch zu einer Kräuterpaste oder zu Pesto verarbeiten. Aber Waldmeister zum Beispiel, entfaltet nach dem Einfrieren eine 50 bis 100 Mal stärkere Wirkung (Duftstoffe) als wenn man ihn frisch verarbeitet. Auch die Form der individuellen Kräuterbutter ist sehr praktisch und das Einfrieren der Butter ideal.

Keller: Sie hatten in Ihrem früheren Garten bis zu sechzig verschiedene Kräutern und geniessbaren Blüten angepflanzt, dazu noch viele wild in freier Natur gesammelt, mit denen Sie in Ihrer Küche anschliessend kreative Gerichte komponierten, die Gäste verzauberten und die Rezepte in vielen Büchern veröffentlichten. Welche Kräuter sind besonders pflegeleicht?

Chrüter-Oski: Vor allem mediterrane Kräuter sind für mich pflegeleicht (Rosmarin etc.). Ich mag in meiner Küche solche Kräuter wie Thymian und Rosmarie, aber auch Dost, der nichts anderes ist als der wilde Oregano. Und die vergessene deutsche Rauke ist eigentlich Rucola, die ideal in einen Wildsalat passt. Schnittlauch ist ein sehr interessantes, pflegeleichtes und mehrjähriges Gewürz.

Keller: Welche Kräuter sind sehr intensiv, wovon sollte nicht zu viel verwendet werden?

Chrüter-Oski: Kräuter haben alle – je nach Ernte- und Sammelzeitpunkt – eine hohe Intensität. Basilikum ist früh morgens schwach im Geschmack, am späten Nachmittag ist die volle Wirkung am grössten. Auch bei Thymian ist es so. Zudem hat man ja den Hang, die Kräuter in der Küche statt dezent zu üppig zu verwenden und zu überwürzen. Alles, was schon einen sehr ausgeprägten Eigengeschmack und intensive Aromastoffe haben, sollte sorgsam dosiert werden und begleitend sein. Was aber viel wichtiger ist als die Menge: Kräuter müssen immer zum Gericht passen. Die Kräuter sollen die Speise leicht unterstützen. Ein Tipp: Ich säe und pflanze den Kerbel, ein Klassiker, erst im August aus. Dann kommt er im Herbst und im nächsten Frühling entwickelt der Kerbel einen fünfzig Mal stärkeren Geschmack. Eine Kerbelsuppe im Mai ist ein Gedicht. Mein Kerbel schmeckt wie Anis, sehr intensiv. Der richtige Zeitpunkt für die Aussaat ist ebenso wichtig.

Keller: Wie weiss man, welche Kräuter zu welchen Gerichten passen?

Chrüter-Oski: Da gibt es im Zusammenspiel eine Faustregel: Wenn ich nun mal den Monat August nehme. Im Sommer sind die Aprikosen reif und gleichzeitig steht das Basilikum in voller Ernte, dann passen auch dezent mit Basilikum gewürzte, eingemachte Aprikosen. Also (fast) alles was miteinander reif ist, ist auch miteinander kombinierbar.

Keller: Hat sich der Stellenwert der Kräuter durch die Naturküche sowie durch die Internationalisierung der Küche in den vergangenen Jahren verändert?

Chrüter-Oski: Ja, auf alle Fälle. Als ich vor 41 Jahren mit dem Kochen und der Kräuterküche begann, da stand auf jedem Esstisch ein Gewürzständer mit Salz, Pfeffer, Aromat und Maggi-Würze, eben der Kräuterersatz. Heute sind Kräuter ein gewaltiger Markt geworden und sogar Coop und Migros verkaufen frische Kräuter und das Angebot ist gross. Da hat sich Gott sei Dank in den vergangenen Jahrzehnten viel bewegt und zwar nicht nur das Geschmackserlebnis, sondern auch die Arbeit in der Küche.