Wenn die Ernten eingefahren und die Speicher voll sind, Heu und Stroh die Schober füllen, das Vieh von den Alpweiden zurück ist und der Käse aufgeteilt wird, dann wird gedankt und gefeiert. Gedankt? 

Was heute nur noch Spass ist, war einst ein kirchliches Hochfest. Das Schweizer Wort Chilbi kommt von Kirchweihe und das deutsche Wort Kirmes von Kirchmesse. Die Verbindung zur Kirche ist allerdings lange passé, Chilbi und Kirmes sind heute Jahrmärkte. Dann ist auch noch alles vermischt mit dem Erntedank, dem Fest für Gottes Schöpfung und mit dem ur-irischen allerheiligen Halloween und dessen Verbreitung durch Hollywoods Filmindustrie unter dem allgemeinen Titel Hollywood Horror Nights. Gegen Michel Mayer, Kürbisfratze, Horrorkostüme und Süsses oder Saures hatten die beschaulichen und friedlichen Räbeliechtli kaum Bestand. Räben bzw. Bodenrüben haben vielleicht noch eine Bedeutung als Kleinkinderunterhaltung in Form geschnitzter Laternen, aber sicher nicht mehr als eines der wichtigen Grundnahrungsmittel für den Winter, die als letzte Feldfrüchte eingefahren und sehr oft auch wie Sauerkraut durch Milchsäuregärung fermentiert wurden.

Feste sind einfach nur noch Feste. Gedankt werden muss für nichts, es ist ja alles im Überfluss da. Die Milch fliesst aus dem Tetrapack, Kartoffeln kommen aus dem unteren Regal der Gemüseauslage der Detailhandelsriesen und das Stroh für die Zwergkaninchen gibt es im Pet-Shop.

Mit einer landestypischen Herbstfestfolklore in diesem Zustand ist es mehr als verdankenswert, wenn das Freilichtmuseum Ballenberg mit dem Motto «Zukunft braucht Herkunft» sich der Sache annimmt und wortwörtlich ein Fest der Feste begeht.

So zelebrierte das Freilichtmuseum Ballenberg 15 regionale Feste und Herbsttraditionen aus der ganzen Schweiz: Im Zentrum stehen dabei Dörfer und Städte, Talschaften, Alpgenossenschaften und Vereine, die für einmal gemeinsam Auszüge aus ihrem herbstlichen Festtagsbrauchtum und ihrem kulinarischen und kulturellen Erbe erleb- und geniessbar machten. 

Es war tatsächlich ein wunderbarer Spaziergang durch Schweizer Herbst-Traditionen. Hier konnte man eine «Älplerchilbi» aus Obwalden entdecken, dort 200 Meter später den Walliser «combat des reines» erleben und da das «festa di racolta» aus dem Val Müstair oder das Tessiner «festa d’autunno» kennenlernen. Die Waadtländer «fête des moissons» und «Saint Martin» aus dem Jura wurden ebenso zelebriert wie das «La Bénichon».

Für Kenner der Materie gab es auch ein paar Lücken zu bestaunen, die gerade an der Bénichon aufgezeigt werden können. Vergessen oder weggelassen wurden die eher schwierigeren Spezialitäten, die allerdings Zusammenhänge erklären, wie das geräuchte und gesottene Kuheuter. Früher wurden auch die alten Milchkühe im Herbst nach dem Alpabzug geschlachtet, die man mit der bestehenden Heuernte nicht über den Winter bringen konnte. Wie früher üblich, wurde alles verwendet, auch das Milcheuter. Wer wissen will, wie das schmeckt, stellt sich einen reifen Vacherin Fribourgeois vor und multipliziert mit drei. Auch vom traditionellen «Schafvoräss» war keine Spur auszumachen. 

Natürlich ist es auch verständlich, wenn zur Berner Metzgete keine Sau an Ort und Stelle geschlachtet wird, zu gross ist bedauerlicherweise die Angst vor irgendwelchen Ressentiments irgendwelcher Aktivisten. Gerade das alte Handwerk des Metzgers wird in der europäischen Gegenwart abschliessend von kontrollwütigen Beamten und dem Regulierungswahn von Politikern mit dem alten japanischen Stigma der Burakumin belegt. Die unreinen Berufe und Arbeiten werden aus der Gesellschaft entfernt und an die Industrie ausgelagert. Der Konsument will nicht, dass das sterile Filet in der Plastiktiefziehschale mit dem Töten und Zerlegen von Tieren in Verbindung gebracht wird.

Mit dem süssen Safranbrot und dem Bénichon Senf auf der Basis von Vin Cuit war da schon mehr zu gewinnen, als mit dem Schlachten einer Sau. Der Herstellung von Vin Cuit, dem wohl mitunter irreführendsten Produkt, hätte man schon etwas abgewinnen können.

Die wenigsten wissen, dass die Schweiz bis in die 1950er Jahre das Land mit dem dichtesten Obstbaumbestand und der wohl grössten Sortenvielfalt war. 

Die alten nannten diese Obstkulturen Streuobstwiesen – die Bäume wuchsen nämlich einfach dort, wo es ihnen am wohlsten war. Über 100-jährige Obstbäume waren nicht selten, sondern üblich und die Erträge gigantisch. 

Getrocknet, eingemacht oder eingekocht war Obst der perfekte Vorrat. Dazu gehörte auch der Vin Cuit, der so gar nichts mit Wein zu tun hat, denn es handelt sich um eingekochten Apfel- und Birnensaft. Am Rande bemerkt, die Engländer haben den in jeder Hinsicht treffenderen Namen: Apple Butter.

Wie dem auch sei, diese Obstkultur ging mit dem grossen Baum-Mord verloren. Drei fehlgeleitete selbstherrliche Beamte, Hans Spreng (Obstbau-Papst oder im heutigen Kontext der Putin des Obstbaus), Gustav Schmid (Obstbau-Stratege) und Ernst Lüthi (Obstbau-General), konnten Politiker und Gesetze zurechtbiegen, wie es ihnen beliebte. Unter ihrem entworfenen Diktat einer zu reformierenden Landwirtschaft wurden zwischen 1950 und 1975 11 Millionen Obstbäume auf schändlichste Art und Weise gefällt.

Deshalb müssen wir heute grob geschätzt 750 der 840 ursprünglichen Schweizer Birnensorten im Geschichtsbuch oder im Museum bestaunen. Wobei, wer nicht das Glück hat, die eine oder andere alte Sorte auf einem lokalen Markt zu finden, muss sich mit den 3 handelsüblichen Sorten Conference, Kaiser Alexander und Gute Luise begnügen. Die Fribourger, um auf die Bénichon zurückzukommen, machen also zurecht einen Riesenlärm um ihre Büschelibirne oder Poire à Potzi, wie sie auf Freiburgisch heisst. Diese wird gerne auch karamellisiert zum Schafvoräss serviert.

Schade eigentlich, dass solche Zusammenhänge zwischen der Herkunft von Ereignissen, welche die Gegenwart prägten und die Zukunft bestimmen, dann nicht aufgezeigt werden, aber wie heisst es so schön, was nicht ist, kann ja noch werden. Das «Fest der Feste» jedenfalls ist eine grossartige Idee und eine wunderbare Sache. Es bleibt zu hoffen, dass das Fest nächstes Jahr wieder inszeniert wird.

Die grossen Abwesenden an diesem Fest waren die Wirte und Köche. Erstaunlich eigentlich für eine Berufsgattung, die so eng mit der klassischen französischen Küche verbunden, in der Welt vernetzt ist und die über den grossen Walliser Hotelier César Ritz auch einen wunderbaren Zugang zum Erbe von Auguste Escoffier hätte. Die beiden erfanden ja seinerzeit zusammen die Hotellerie und Gastronomie neu. Zudem hiess der vermeintliche Erfinder der Créme Chantilly, der grosse französische Koch und bedeutendste Küchenchef seiner Zeit, Charles Fréderic François Vatel, mit bürgerlichem Namen Fritz-Karl Watel und stammte aus Zürich. Doch um solches zu erkennen, brauchte es die Chinesen als Eigentümer des César Ritz Colleges Switzerland, die den Wert unseres Schweizer Handwerks und das Engagement von Anton Mosimann zu schätzen wissen. 

So ist der Wert des Schweizer Kochhandwerks der «The Mosimann Collection» in Le Bouveret zu betrachten und nicht im Ballenberg, wo sich so eine alte, ehrwürdige Grand-Hotel-Küche auch recht gut machen würde. Gerade eine so tolle Idee wie das «Fest der Feste» wäre für gastronomische Unternehmer- und Berufsverbände eine Gelegenheit und ein Anfang gewesen, unsere Berufe kulinarisch in Szene zu setzen - das hätten wir ja auch dringen nötig.