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  Berufsbildung: Die NZZ portraitiert drei Kochlehrlinge und Berufsaussteiger. Der Artikel wirft nebenher ein schiefes Licht auf ein verfehltes Nachwuchsmarketing.

( Titelbild: Unsplash,  Louis Hansel)

Der Artikel in der NZZ «NZZ: Eine junge Köchin verlässt ihren Lehrbetrieb frustriert. Sie sagt: «Die Nerven liegen blank» macht auch, einmal ganz abgesehen von den unhaltbaren geschilderten innerbetrieblichen Zuständen, schonungslos auf das ganze Ausmass der dramatischen Situation der Ausbildungspolitik unserer Branche aufmerksam.

Junge Menschen beginnen ihre Lehre in Erwartung der Ihnen von der Nachwuchsförderung versprochenen kreativen Ausbildung und finden einen knochenharten Job in der Reproduktion vor - wenn der Schlüssel nichts ins Loch passt, geht die Türe nicht auf.

Was in den letzen zwanzig Jahren unternommen wurde, war den Versuch wert. Aber jetzt wäre es an der Zeit hinzusehen und zu erkennen, dass, wenn es so weitergeht, nicht gut kommt.

Die Broschüre des Bundesamtes für Statistik Lehrvertragsauflösung, Wiedereinstieg, Zertifikationsstatus: Resultate zur dualen beruflichen Grundbildung (EBA und EFZ), Ausgabe 2021 finden sie nach dem Artikel als PDF Download.

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Text: Romeo Brodmann
Von Ausbildung über Gastro-Zulieferer und von Pauli Fachbuchverlag AG und MyPauliLog bis Gloria Helvetia Brodmann Cigars auf LEEK.ch.
LEEK.ch: Die unabhänige Suchplattform für Gastronomie und Hotellerie von Das Pauli Magazin.
 
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( Instagramm Screenshot  / Hol Dir einen Koch oder alles ist besser als unser Beruf)
 
Die harten Fakten: Ende der 90er Jahre war der Beruf Koch mit weit über 4000 bestens ausgebildeten Köchen pro Jahr auf dem Zenit. Dann begannen die Zahlen einzubrechen. Heute werden noch knapp über 1000 Köche/Köchinnen EFZ ausgebildet. Zudem leiden die gastgewerblichen Berufe zunehmend unter Lehrabbrüchen. Heute sind Koch- und Serviceberufe auf der Liste der Berufe mit den meisten Lehrabbrüchen (Bundesamt für Statistik) ganz vorne mit dabei. Ein Drittel der Köche brechen die Lehre ab.
Die Gastronomie hat sich strukturell stark verändert, ein grosser Teil wurde wortwörtlich abgerissen. Die Anzahl der Betriebe (Gastronomie und Beherbergung) blieb allerdings trotzdem mehrheitlich stabil. Grob umrissen: 
  • Gerade in ländlichen Gegenden fand ein Restaurantsterben statt.
  • Viele altbewährte Ausbildungsbetriebe wurden im Zuge der Entwicklung des Immobilienmarktes umgenutzt oder gar abgerissen.
  • Kochende Patrons als verantwortungsvolle Ausbildner gibt es immer weniger – viele wurden ersatzlos pensioniert.
  • Die grosse Masse neuer Gastronomiebetriebe sind Gruppen und Marken von Burger King bis Dunkin Donuts. 
  • Eine der grossen und am meisten unterschätzten Konkurrenz der Gastronomie ist der Detailhandel mit seinen Food-Corners und Food-Shops sowie den Tankstellenshops.
  • Letztere tragen kaum mehr etwas oder nichts zur gemeinschaftlichen Entwicklung von Branche und Beruf bei, während die Ausbildung von Köchen auf immer weniger Betrieben lastet, die gemeinschaftlich für alle ausbilden müssen.
  • Gleichzeitig nimmt bei jungen Menschen, und solche Gesellschaftlichen Phänomene sind schwierig zu fassen und auszudrücken, die Resistenz gegenüber Stress, harter Arbeit etc. deutlich ab.
Unter solchen strukturellen Veränderungen verlor der Kochberuf, notabene während das Kochen als Live-Style mit den Star-Chefs als Zugpferd immer beliebter wurde, massiv an Boden. Die Reaktion der der Branche:
  • Das Image der Berufe heben
  • Die Berufe im Gastgewerbe vermarkten
  • Die Ausbildung immer mehr von der Praxis weg in die Theorie verlagern
  • Berufsbilder anpassen, herabsetzen der Anforderungen (in der Praxis die Messlatte senken)
  • Anpassen der Berufsbezeichnung
Berufehotelgastro.ch ist die Manifestation eines Nachwuchsmarketings, das seit über 15 Jahren mit immer gleicher Homepage darauf abzielt, den jungen Menschen die gastgewerblichen Berufe schmackhaft zu machen. Jugendliche hocken superrelaxt und voll locker easy vor einer Mauer, auf die «Rock the Palace» und «groove the Kreuz» gesprüht wurde. «Eifach nicht übersüüre und kein Fass uffmache, chill de Läbe» – ungefähr so kommen junge Interessierte als erstes mit unseren Berufen in Kontakt und landen dann in einem knallharten Job.
Der Beruf Koch/Köchin EFZ wird wie folgt beschrieben: Die Küche ist ein Arbeitsplatz für einfallsreiche Entdecker und kreative Köpfe mit einem guten Geruchs- und Geschmackssinn. Mit deiner Arbeit überraschst du die Gäste täglich aufs Neue. 
Einfallsreiche Entdecker? Kreative Köpfe? Der Lehrling überrascht die Gäste? Täglich aufs Neue? Mitnichten. Im NZZ Artikel ist sehr schön nachzulesen, was passiert, wenn ein Lehrling in der Küche selbstverantwortlich einen Posten fasst – was früher durchaus üblich war.
In 99 Prozent der Fälle ist der Chef oder das Team dann kreativ, wenn die neue Karte geschrieben und Gerichte dafür neu entwickelt werden. Nicht mehr und nicht weniger.
Zuerst einmal ist der Beruf des Koches ein knochenharter Job. Und die wirkliche Kunst des Koches ist nicht die Kreation, sondern die Reproduktion. Aus sich verändernden Grundbedingungen und Zutaten immer wieder das gleiche Resultate auf den verlangten Zeitpunkt in der verlangten Form auf den Teller des Gastes zu bringen, das ist die wahre Kunst. 
Das bedeutet aber, dass das Handwerk in der der Praxis konsequent erlernt werden muss, denn die volkommene kreative Entfaltung ist erst mit der handwerklichen Perfektion zu erreichen.
Die aktuelle Situation ist, dass Menschen, Dinge und Situationen zusammenpassen müssen, die nicht zusammenpassen können.
  1. Es werden junge Menschen mit eher niedriger «Schmerztoleranz» und mit der Vorstellung, Kreativität zu erlernen, mit geschönten Marketingformaten für einen Berufe gewonnen, dessen eigentliche Kunst die Reproduktion ist, deren Fingerfertigkeiten mit Fleiss in der Praxis in harter Alltagsumgebung mühsam erlernt werden müssen.
  2. Es bilden Lehrbetriebe Menschen in einen handwerklichen Beruf aus, den sie oftmals kaum oder nur teilweise überhaupt noch betreiben. Stichwort Convenience und Automation.
Das kann in vielen Fällen nur schief gehen: Ein Drittel wird den Bettel während der Lehre, und vermutlich ein Drittel direkt danach, hinwerfen.
Da es keinen Sinn macht, von Tausend gewonnenen Talenten über 300 noch während der Ausbildung zu verlieren, ist folgendes dringend notwendig:
  • Wer bzw. welcher Betrieb kann und darf noch welche Berufsfelder ausbilden
  • Ausbildungsplatzdefinition und Selektion der Lehrbetriebe (wer kann was ausbilden)
  • Anpassung der Berufsdefinition und deren Kommunikation nach aussen
  • Klares Anforderungsprofil und ungeschönte Definition des Berufes an Auszubildende
  • Weg von der Theorie wieder hin zur Praxis und zum Handwerk
Nur so finden sich in der Folge auch Lernende und Lehrende, die auch zueinander passen. Damit hätten wir zwar kurzfristig nicht mehr sondern eher weniger Lehrlinge, aber vermutlich auch kaum mehr Junge, die den Bettel hinwerfen dafür mehr, für die der Beruf wieder mehr Berufung ist. Mittel und Langfristig würde ein durch mehr und tiefere Praxisinhalte angehobenes Ausbildungsniveau in logischer Konsequenz zu grösserem Respekt (Be)Achtung unseres Berufes führen.

 

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