Die vermeintlich grossen Stars auf der Bühne waren Rasmus Munk von Alchemist in Kopenhagen sowie eine der im Moment angesagtesten Köchinnen der Welt, Manoella «Manu» Buffera von Manu in Curitiba, Brasilien. Aus aktuell verständlichen Gründen, konnte Manoella Buffera nicht persönlich teilnehmen, und wurde dafür digital auf die Bühne geZoomt – das war nicht weiter problematisch, der ganze Anlass stand ja unter dem Motto «Re-birth, the post shutdown gastronomy». Der Fokus im Besonderen war auf Nachhaltigkeit gerichtet.
Die nachhaltig witziges Aussage des Events haute denn auch Munk in die die Pfanne: «Meine Mutter war eine schlechte Köchin. Ich habe keine gute kulinarische Erinnerung an ihre Kochkünste.» Nun ja, vielleicht war das ja auch ein Erklärungsversuch seiner provokativen kulinarischen Performance.
In Bezug auf Rasmus Munk aus Dänemark, kann ja auch gleich die wahrhaft grosse kulinarische Hinterlassenschaft dieses nordischen Königreichs angemerkt werden: Den Coup Danmark.
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Vanille Eis als Kugeln in einem Eisbecher, das mit geschlagenem Rahm garniert und meist separat dazu servierter, heisser Schokoladensauce übergossen wird. Einer der Kolportieren Erläuterungsversuche: Als im Weltberühmten Vergnügungspark Tivoli in Kopenhagen einige Gäste nach einer abendlichen Vergnügung in einem Restaurant noch ein Dessert wünschten, gab es nur noch Vanilleeis. Der Koch soll dann einen Rest Schokolade geschmolzen und diese darüber gegossen haben. Irgendwie so ist auch die Sachertorte entstanden, aber das ist eine andere Geschichte.
Dasselbe passiert allerdings gerade mit der Avantgardistischen Naturküche, Sie wird wie der Coup Danmark zum kulinarischen Erbe als Geschenk der Nordländer an die Welt gemacht.
Das hat viel mit dem Kochwettkampf Bocuse d’Or zu tun. Die Nordländer investieren jährlich Unsummen an Tourismusgeldern in die Trainings, damit ihre Köche der Welt demonstrieren, wo Thors Hammer hängt.
Gegen die Geschichte des Coup Danmarks gibt es nichts einzuwenden, doch in Bezug auf die Avantgardistische Naturküche muss eine Frage gestellt werden: Wer hat’s erfunden? Genau. Und um präzis zu sein, der Hexer aus der Luzernischen Biosphäre Entlebuch, Stefan Wiesner, ist einer der Urväter der Avantgardistischen Naturküche.
Was Rasmus Munk wirklich gross und einzigartig macht, ist die gewollte, grossartige Inszenierung im vollumfänglichen Spannungsbereich zwischen gefallender Schönheit und polemischer Provokation, zwischen bodenständigem Handwerk und schrillem Theater, zwischen Gastronomischer Ernsthaftigkeit und Lapidarem Slapstick.
So gestaltete sich auch sein Auftritt – Rasmus Munk bewegte sich mit seinen Erläuterungen zwischen wahrhaft tödlichem Ernst und charmantem Augenzwinkern. Jede Demonstration seiner Gerichte – ob in seinem Restaurant, auf der Bühne der Chef-Sache oder Digital, hat es in sich und spricht für sich selbst – ein Fisch in Essbarem Plastik verpackt. Der Zungenkuss - ein beerig-saures Bouquet angerichtet auf einem der menschlichen Zunge nachgeahmtem Löffel aus Silikon, Gänseleber mit einer Struktur von schwammigem Hirn serviert in einem nachgeformten Menschenkopf – als Cloche dient die Schädeldecke. Seine Küche bezeichnet er denn mitnichten avantgardistisch, sondern als Holistic Cuisine und zitiert dazu den Oxford Dictionary: «Looking at the whole instead of Parts.» Wer in seinem Restaurant bzw. in seinem Theater isst, bewegt sich durch verschiedene Raum- und Empfindungswelten, die einen Blick auf ein ensprechend grosses Ganzen ermöglichen sollen. Die gesellschaftskritische Grössenordnung und die durchdringende Tiefe seiner Darbietungen sind gewaltig.
Ganz anders jedoch in gleichem Masse tiefgründig und provokativ war der Burgenländer Max Stiegl 2019 anlässlich der 11. Chefsache. Bei ihm reichte ein einfaches, der Regionalität und Natürlichkeit verpflichtetes Gericht, bei dem die inneren Werte wortwörtlich mehr als alles andere zählten: Pferdehirn-Terrine, beglückt mit geraspelten Kirschkernen und grünen Holunderbeeren. Was vorderhand absurd klingt, wird beim Essen logisch. Die filligranen Bittermandelaromen der Kirschkerne und die Säuren der grünen Holunderbeere beflügeln das Aroma und die Tiefe des Geschmacks.
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Stiegel demonstrierte damals wohl nicht ungewollt, wie irritierend ein geöffneter aber sonst intakter Pferdeschädel auf der Küchenablage wirkt, den Blick auf die inneren Werte verhindert und somit wunderbares schlecht wirken lässt.
Sehr viel leiser und ruhiger, aber nicht minder gewaltig ist im Gegensatz zu alledem die Brasilianerin Manoelle «Manu» Buffera die sagt, «Ich koche, um zu verändern». Das ist ihre Kernbotschaf: «To change cities, to change people, to change the world». Dabei baut sie vorderhand auf gegenseitige Wertschätzung.
Sie ist die «One to Watch» auf der World’s 50 best Restarants in Lateinamerika und nicht vergebens gerade eine der angesagtesten Köchinnen. Sie hat die Marschroute von Foodjournalisten und Gourmetfanatiker zwischen Lima und Buenos Aires grundlegend verändert.
Bufferas Handlungsansatz ist Verständnis. «wir müssen die Prozesse der Nahrungsmittel verstehen, wir müssen die Klimaveränderungen verstehen, wir müssen verstehen, wie Ernährung besser wird, ohne die Umwelt zu belasten.» Ihr Wirken in Bezug auf Nachhaltigkeit steht wie erwähnt in totalem Kontrast zu Munks oder auch Stiegls Schaffen. Ihre Inszenierungen sind subtil, still und wortwörtlich von organischem Wachstum beseelt. In ihrer Heimatstadt Curitia z.B. stiftete die unnachgiebige Kämpferin für eine besser Welt unnachlässig zum Urban Gardening an und trieb es so weit, bis sich ganze Stadtbrachen in blühende Oasen verwandelten, von denen sich einige Menschen sogar ernähren können.
Die «heimlifeissen» an der Chefsache, wie es positiv auf Schwiizerdütsch heisst, waren dann aber Felix Schneider vom Etz (Fränkisch für jetzt) in der Bindergasstheke in Nürnberg, Josef Floh vom Floh in Langenlebarn (Au) und Heinz Reitbauer, Steiereck und Meierei in Wien und dem Steiereck am Pogusch hoch oben auf einem Gebirgssattel bei Wien. Heimlifeiss setzt sich ja aus heimlich und fett zusammen und bezeichnet ursprünglich Ziegen, die fett sind aber mager aussehen. Was damit also gesagt sein will, die drei Spitzenköche boten den Zuschauern mit Ihren Darstellungen richtig Fleisch am Knochen bzw. Fett am Fleisch.
Alle drei sagten auf ihre eigene und bescheidene Art, wie die Küche der Zukunft von einer Gastronomie aussehen wird, die sich gleichermassen von der Industrie und von der Avantgardistischen Küche im Sinne der Molekularküche mit allen industriellen Zutaten, Additiven, Mittelchen und Pülverchen abgrenzen will. Naturbelassen!
Auch wenn der eine (Heinz Reitbauer) ein ganzes Gastronomie-Universum am Start hat und unter den 10 Besten der 50 best Restaurants der Welt rangiert, der andere (Felix Schneider) mit seinen drei Köchen für ein Jahr ein Pop-Up in einer Bar aufmacht und der letzte (Josef Floh) Essigmuttern in filmischer Kunst lüstern inszeniert – alle drei haben sich das gleiche, uralte Prinzip der Kreislaufwirtschaft zur Gundlage gemacht, sie alle setzen schon in der Beschaffung auf den Ursprung, auf das möglichst unverarbeitete Grundprodukt, das in eigenen Verarbeitungsprozessen ganzheitlich und vollständig verwendet und verarbeitet wird. Reitbauer züchtet auch eigene Tiere und erntet mit den Gästen auf dem Pogusch schon mal Kartoffeln. Floh züchtet Essigmuttern in selbst hergestellten Säften, die er auch zu Gerichten verarbeitet. Ganz einfach erklärt Schneider, der auch Gemüsebauer ist, das Prinzip anhand von Milch: Die ausgesuchte Milch werde gekauft, die Sahne abgeschöpft, aus der Sahne wird Butter, die Magermilch wird zusammen mit der Molke verkäst (Anmerkung: Aus Magermilch wird beispielsweise im Besonderen der Tiroler Graukäse und im Allgemeinen Sauerkäse hergestellt). Die Molke die übrig bleibt wird zum Fermentieren benutzt.
Und dann noch das. In der Schweiz gibt es eine legendären, pensionierten Koch namens Jacky Donatz sowie einen Chef des Gault Millau, Urs heller. Letzterer nannte ersteren einmal «bester nicht kochender Koch». In etwas so könnte man den Fernsehkoch und Moderator Alexander Hermann beschreiben, der übrigens die Hauptbühne der Chefsache souverän und natürlich mit dem Verständnis eines Spitzenkochs moderierte. Allerdings redet er heute mehr im Fersehen, als dass er in seinem Restaurant noch selber kocht. Das tut für ihn der Küchenchef Tobias Bätz. Deshalb heisst das Restaurant auch Alexander Hermann by Tobias Bätz. Bätz briefings der Küchenbrigade seien legendär, seine Haltung der Arbeit und Mitarbeiter gegenüber ist dafür glasklar: Der Job macht Spass und wer alles gibt, bekommt viel zurück. Darüber hinaus unterstrich Bätz die Haltung «zurück zum Ursprung und zum Aroma das sich wohl am besten mit einer seiner Dessertkreationen beschreiben lässt:
Die Erdbeere «Mieze Schindler» ist das Paradebeispiel einer geschmacklich fulminanten Frucht, die aufgrund der kleinen Fruchtgrösse und deren schlechten Lagerfähigkeit auch als Himbeererdbeere bezeichnet und kaum kommerziell angebaut wird. Diese Erdbeere, die ein Otto Schindler 1925 züchtete, grub Bätz aus und servierte sie in einem Fichtenspitzensud. Und was sagt und das? Das Belassen der Natürlichkeit und fantastische Phantasmagorie schliessen sich nicht aus.