1952 wurde in New York von der National Association for the Specialty Food Trade (NASFT) die kleine Messe mit dem Namen Fancy Food Show gegründet. Die einfache Idee dahinter war es, kleinen Produzenten eine Plattform zu geben, um ihre Produkte einem breiteren Publikum und dem Handel zu präsentieren mit dem Ziel, Förderung von handgemachten, hochwertigen Lebensmitteln jenseits des Mainstreams – von Marmeladen über fermentierte Produkte bis zu handgeröstetem Kaffe.
In den 1980er bis zu den 2000er Jahren wuchs die kleine Messe zwar stetig, wurde professioneller, aber behielt ihren Indie-Charme.
Ab den 2000er Jahren hat man die Sommershow in New York im Winter nach San Francisco kopiert und plötzlich wurden die Messen zu Pflichtterminen für Foodies, Händler und Scouts. Eingeführt wurde auch die sofi™ Awards. Diese Auszeichnungen wurden zum Ritterschlag für kleine Labels – oft folgte ein Deal mit den US-Supermarkketten Whole Foods oder Trader Joe’s. 2012 wurde die Messe-Veranstaltering in Specialty Food Association (SFA) umbenannt, die neue Marke «Specialty Food: Craft. Care. Joy» entwickelt, um die Werte der Mitglieder besser zu kommunizieren: Kreativität, Sorgfalt und Genuss. Die Umbenennung wurde 2013 beim Summer Fancy Food Show in New York öffentlich vorgestellt – als Höhepunkt der Feier zum 60-jährigen Bestehen der Organisation.

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Dann kam der Boom.
Etwa ab 2013–2015 passierte Folgendes:
Food-Trends explodierten: Fermentation, Paleo, Vegan, Craft Snacks – alles wurde plötzlich «cool».
Social Media: Instagram & Pinterest machten hübsch verpackte Homemade-Produkte viral.
Große Konzerne jagten kleine Marken: Nestlé, Unilever & Co. schickten Scouts auf die Messe, um neue Trends zu kaufen, bevor sie groß wurden.
From Garden to Label: Die Messe wurde zum Symbol für den Traum, aus dem eigenen Garten ein Business zu machen.
Die Messe war plötzlich nicht mehr nur Fachpublikum – sie wurde zum Trendbarometer und zur Startup-Schmiede.
Heute zählt die SFA über 4.000 Mitglieder und macht über 60 Mio Dollar Umsatz jährlich. Also «nur» unter dem Fokus Nachhaltigkeit, Diversität, Innovation, Rückbesinnung auf die Wurzeln von kleinen Produzenten mit großen Ideen ist also eine «Nischen-Messe» entstanden in der Umsatzgrössenordnung der Anuga in Köln.
Und was passiert im DACH-Messe-Raum? In den letzten zwanzig Jahren ist bei den Gastronomie- und Fachmessen im DACH-Raum ein spürbarer Rückgang sowohl bei Ausstellern als auch Besuchern zu beobachten. Die einst pulsierenden Hallen, die von Vielfalt und Entdeckergeist lebten, wirken zunehmend ausgedünnt. Je weniger Aussteller teilnehmen und je kleiner die gebuchten Flächen pro Unternehmen werden, desto stärker geraten die Messeveranstalter unter Druck. In ihrer Not wenden sie sich verstärkt ausgerechnet den großen Konzernen zu – jenen Giganten, die durch aggressive Aufkäufe, Fusionen und strategische Marktkonsolidierungen nicht nur den Wettbewerb auf den Messen selbst, sondern auch im Anzeigen- und Medienmarkt zunehmend verdrängen.
Was einst als Bühne für kreative, unabhängige Produzenten gedacht war, droht zur Schaufensterfläche für marktbeherrschende Player zu verkommen. Die Messen (und notabene auch die Fach-Verlage) verlieren damit nicht nur ihre Diversität, sondern auch ihre Relevanz als Innovationsplattformen. Denn wenn die Vielfalt schrumpft, schrumpft auch die Neugier – und mit ihr die Besucher- bzw. die Leserzahlen.
Wir von Das Pauli Magazin haben uns drei Studien&Analysen zur Messeentwicklung angeschaut.
Die Prognos AG erstellt regelmäßig Studien zur wirtschaftlichen Entwicklung und Branchentrends – darunter auch zur Veranstaltungs- und Messewirtschaft. Sie analysieren Resilienz der Messebranche, Digitalisierung und hybride Formate, Regionale Unterschiede im DACH-Raum und Zukunftsszenarien bis 2030.
Der AUMA, der Verband der deutschen Messewirtschaft, veröffentlicht jährlich Berichte zur Lage der Messewirtschaft in Deutschland, mit Ausblicken auf Trends wie Nachhaltigkeit und CO₂-neutrale Messen, Rückgang internationaler Aussteller, Wachstum bei spezialisierten Fachmessen, Verlagerung von Budgets in digitale Kanäle.
Die Konjunkturforschungsstelle KOF | ETH Zürich diskutiert regelmäßig die Grenzen und Chancen von Prognosen – auch im Kontext von Veranstaltungen und wirtschaftlichen Plattformen wie Messen. Sie betonen, dass externe Schocks (Pandemie, Krieg, Inflation) Prognosen stark beeinflussen können.
Eine Zusammenfassung der Ausgangslage im DACH-Raum könnte wie folgt aussehen:
Die Fachmessebranche in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat in den letzten Jahren stark gelitten. Laut AUMA sank die Zahl der internationalen Aussteller seit 2020 um über 30 %. Die Pandemie hat nicht nur Veranstaltungen verhindert, sondern auch das Vertrauen in physische Formate erschüttert. Prognos AG prognostiziert bis 2030 eine Konsolidierung: weniger Messen, dafür spezialisierter und nachhaltiger.
Die KOF ETH Zürich warnt vor zu linearen Prognosen. Externe Schocks – wie Energiekrisen oder geopolitische Spannungen – können die Entwicklung jederzeit neu justieren. Dennoch zeigen sich klare Trends:
- Hybride Formate (Veranstaltung sowohl physisch vor Ort als auch digital online) sind gekommen, um zu bleiben.
- Nachhaltigkeit wird zur Eintrittskarte.
- Personalisierung und Datenanalyse werden zum Erfolgsfaktor.
Der Blick über den Atlantik
In den USA finden jährlich über 1300 Fachmessen statt. Die größten Events – etwa die RSA-Konferenz (Cybersecurity), die Natural Products Expo (Bio-Lebensmittel) oder die MAGIC Las Vegas (Mode) – sind längst mehr als Ausstellungen. Sie sind Erlebnisräume, Networking-Hubs und Innovationsplattformen.
Was machen die USA anders?
- Erlebnis statt Ausstellung: Messen werden als Festivals inszeniert – mit Keynotes, Live-Demos und interaktiven Formaten.
- Community-Building: Viele US-Messen setzen auf ganzjährige digitale Plattformen, die Aussteller und Besucher auch außerhalb der Messe vernetzen.
- Agilität: Veranstalter reagieren schneller auf Trends – etwa durch Pop-up-Messen oder thematische Spin-offs (Ausgliederung, Fokussierung auf ein Thema).
Was der DACH-Raum lernen kann
- Mut zur Inszenierung: Fachmessen dürfen emotionaler und erlebnisorientierter werden. Das schafft Bindung und Differenzierung.
- Digitale Ökosysteme: Eine Messe ist kein Event, sondern ein Knotenpunkt in einem digitalen Netzwerk. US-Plattformen wieExpoTobi» (Online-Portal, das sich auf die Veröffentlichung und Organisation von Messen, Konferenzen und Ausstellungen weltweit) zeigen, wie das geht.
- Flexibilität statt Tradition: Während viele europäische Messen an festen Terminen und Formaten festhalten, setzen US-Veranstalter auf modulare Konzepte.
Aber: Europa hat eigene Stärken
Der DACH-Raum punktet mit technischer Tiefe, hoher Fachkompetenz und einem starken Mittelstand. Nachhaltigkeit wird hier nicht nur kommuniziert, sondern zunehmend auch umgesetzt – etwa durch CO₂-neutrale Messekonzepte und regionale Lieferketten.
Die Herausforderung liegt darin, diese Stärken mit den dynamischen Ansätzen aus den USA zu kombinieren. Eine «europäische Messe 2.0» könnte so aussehen:
- Fachlich tief, aber emotional inszeniert.
- Regional verankert, aber global vernetzt.
- Nachhaltig geplant, aber agil umgesetzt.
So odere so, die Messewirtschaft im DACH-Raum steht vor einem Paradigmenwechsel. Während Europa auf Spezialisierung, Nachhaltigkeit und hybride Formate setzt, zeigen die USA, wie Messen als ganzheitliche Plattformen für Innovation und Community funktionieren können. Die Zukunft liegt in der Synthese: Fachliche Tiefe aus Europa trifft auf Erlebnisorientierung und Agilität aus den USA. Wer diesen Spagat schafft, wird die Messe der Zukunft prägen.
Wobei der Weg noch lang sein dürfte: An den hiesigen Messen suchen keine Foodscouts nach kulinarischen Highligts und es jagen auch keine Grosskonzerne kleine Marken – das findet hierzulande im Stillen auf Start-up-Hups statt oder man sucht nach Sophify-Stores mit auffälligem Traffic.
Fazit: Wir (Stefan Schramm und Romeo Brodmann) wissen von was wir reden – im Erfolg und Misserfolg.
Als wir von bzw. die Salz&Pfeffer AG im Herbst 1995 die erste Gourmesse – die Messe für Geniesser im Zürcher Kongresshaus aus dem Boden stampfte, war das ganz genau ein Fancy Food Faire rund um Genussprodukte und ihre Produzenten. Die Gourmesse war gut zwei Jahrzehnte lang ein Treffpunkt für Feinschmecker, Kleinproduzenten und kulinarische Entdecker. Doch trotz ihres lokalen Erfolgs und ihrer treuen Fangemeinde verschwand sie irgendwann aus dem Messekalender. Warum? Letztendlich kann man nur spekulieren – doch einige Dinge stechen heraus.
Seit den 2010er-Jahren entstanden zahlreiche Food-Festivals, Street-Food-Events und regionale Genussmärkte, die oft niederschwelliger, trendiger und kostengünstiger waren. Die Gourmesse hatte ein eher klassisches Messeformat, das im Vergleich zu hippen Outdoor-Festivals weniger attraktiv wirkte – besonders für jüngere Zielgruppen. Die Messe richtete sich stark an Feinschmecker und Kenner, weniger an das breite Publikum. Mit dem Wandel hin zu Erlebnisgastronomie, veganen Trends, Nachhaltigkeit und Social Media Food-Hypes wirkte das Konzept der Gourmesse teilweise überholt. Es fehlte auch eine klare digitale Strategie, um neue Zielgruppen zu erreichen. Das war da auch die Sache mit dem Standort und der Infrastruktur: Die Messe wechselte zwangsläufig (Umbau Kongresshaut Zürich) den Standort, was zu Verwirrung und Identitätsverlust führte. Die neue Location (halle 622 in Örlikon) war zwar modern, aber weniger zentral und hatte weniger Charme als das ursprüngliche Kongresshaus. Letzere Punkte hatte auch viel mit der Corona-Kriese zu tun die dem kleinen Team übel mitspielte. Aber, die Gourmesse war eigentlich bis zuletzt eine Pionierin für die Food-Nostalgie, an der sich eine grosse Messe durchaus einen grossen Lehrplätz herausschneiden könnte, z.B. mit dem Ziel, Business und Genuss, Innovation und Emotion, Fachpublikum und Endkonsumenten zusammen zu bringen – ohne sich gegenseitig zu verwässern.
Die Gourmesse war ein Ort für Genuss, Begegnung und sinnliche Erfahrung. Das fehlt oft in der nüchternen Businesswelt. Die Gourmesse war eine Bühne für lokale Labels, die mit Herzblut produzieren – genau jene, die heute von Konzernen gesucht werden.
Und während Gängige Messen auf Technik und Trends setzen, brachte die Gourmesse die Geschichten und Menschen hinter den Produkten ins Rampenlicht.
Die Gourmesse dann als hybride Erweiterung einer klassischen Messe wäre kein nostalgisches Revival,sondern ein zeitgemäßes Erlebnisformat, das die IGEHO emotional auflädt, digital verlängert und neue Zielgruppen aktiviert. Es wäre ein Festival des Geschmacks, eingebettet in die Professionalität der Gastrobranche.