Als 2013 der erste Burger aus kultivierten Muskelzellen in London serviert wurde – für rund 250.000 Euro – war das mediale Echo gross, die Skepsis grösser. Heute, zwölf Jahre später, ist die Zellkulturtechnologie längst keine Science-Fiction mehr, sondern ein globales Innovationsfeld mit Milliardenpotenzial. Und doch: Der Weg vom Labor auf den Teller bleibt steinig.


Bild: Unsplash, Jon Tyson

 

Wissenschaftlich: Fortschritt in Zeitlupe

Auf kommunikativer Ebene entwickelte sich eine unglaubliche Dynamik, mit der tatsächlichen Marktentwicklungen nicht mithalten konnten. Das Ganze verhält sich mehr die Entstehung von schwarzem Knoblauch – Maillardreaktion in Zeitlupe, langsam aber nachhaltig. Die Zellkulturtechnik hat enorme Fortschritte gemacht – etwa bei der Verwendung von pflanzlichen Nährmedien, dem Verzicht auf fetales Kälberserum und der Entwicklung von essbaren Gerüsten für Strukturfleisch. Projekte wie CELLZERO Meat in Deutschland zeigen, dass auch ohne Gentechnik und Antibiotika kultiviertes Fleisch möglich ist.

Zwischen Hype und Realität

Laut der aktuellen Marktanalyse von Global In-Vitro Meat Market Forecast to 2032 von Wise Guy Reports wird der globale In-vitro-Fleischmarkt bis 2032 auf über 70 Milliarden US-Dollar wachsen. Die jährliche Wachstumsrate liegt bei über 90 %, was auf eine massive Skalierung (also die rasche Ausweitung von Produktion, Infrastruktur und Marktvolumen, um die steigende Nachfrage zu bedienen)hindeutet.

Was einst in kleinen Laborchargen unter sterilen Bedingungen entstand, wird nun in industriellen Bioreaktoren mit Tausenden Litern Volumen produziert. Die Produktionskapazitäten vervielfachen sich rasant, und mit ihnen sinken die Kosten: Skaleneffekte greifen, je mehr produziert wird, desto günstiger wird das Produkt – ein Effekt, der die Marktdurchdringung massiv beschleunigt.

Kultiviertes Fleisch verlässt gerade nach und nach die Nische der Pilotprojekte. Supermärkte, Restaurants und Lieferplattformen integrieren bereits einzelne Produkte oder interessieren sich zumindest dafür. Parallel dazu fliessen immer noch Milliardenbeträge in Start-ups, Produktionsanlagen, regulatorische Verfahren und Logistik. Es ist eine Dynamik, die an die Frühphase der Elektromobilität oder die Biotech-Branche erinnert.

Auch die gesellschaftliche Akzeptanz wächst: Sinkende Preise, verbesserte sensorische Qualität ganz allgemein von Fleischalternativen und ethische Argumente – etwa Tierwohl und Klimaschutz – treiben die Nachfrage. Die Skalierung ist nicht nur technisch, sondern auch kulturell im Gange. Was heute noch als Zukunft gilt, könnte morgen bereits Alltag sein.

Dennoch: 2024 verzeichnete die Branche einen Investitionsrückgang von 40 %, während fermentationsbasierte Alternativen boomten. Das zeigt: Der Markt glaubt an das Konzept – aber nicht bedingungslos.

Uneinheitlich und politisch aufgeladen

Während Singapur, Israel und Teile der USA bereits kultiviertes Fleisch zulassen, haben Länder wie Italien, Floridaund Alabama den Verkauf verboten. Die EU prüft derzeit mehrere Zulassungsanträge, darunter von The Cultivated B und Mosa Meat. In der Schweiz liegt ein Antrag von Aleph Farms vor – bislang ohne Entscheidung.

Grosse Widerstände, wenn auch leise ausgesprochen kommen von der Bauernlobby und den Fleischproduzenten. Die Prognose ist ja nicht ohne: Eine stabile Wachstumsprognose von über 90% bedeutet ja nichts anderes, als dass sich der Markt jedes Jahr beinahe verdoppelt und gleichzeitig sagen die Prognosen, der Fleischmarkt falle bis auf 40% in sich zusammen. Ein titel aus der Zeitschrift der Standart kann nicht deutlicher sein: «Fleisch aus dem Labor: Natürlich werden Bauern Widerstand Leisten. Bauernverbände sehen kultiviertes Fleisch als Gefahr für die regionale Landwirtschaft.

Laut einer Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) zeigt sich in der Schweiz ein politischer und gesellschaftlicher Widerstand gegen kultiviertes Fleisch. Die Akzeptanz liege bei nur 20 %, während 66 % der Befragten angaben, sie würden Laborfleisch eher nicht probieren. Hierbei spricht das GDI von einer «kulturellen Barriere» und warnt vor einem Akzeptanzproblem, das durch politische Lobbyarbeit verstärkt wird. Man kann sich also an einer Hand ausrechnen, wo der Antrag von Aleph Farms hängen blieb.

Verkostung als Brücke

Verkostungsevents zeigen: Geschmacklich nähert sich das Laborfleisch dem Original. Doch die Akzeptanz hängt nicht nur vom Gaumen ab, sondern von kulturellen Codes, Vertrauen und Transparenz. Das Pauli Magazin hat in Artikeln wiederholt betonts: Die Kunstfleischfrage ist nicht nur eine technologische, sondern vor allem eine soziologische. Hierbei darf eines nicht vergessen werden: Es braucht eine einzige Generation, die In-Vitro-Fleisch akzeptiert, dann ist die Sache gegessen.

Zwischen Vision und Verwertung

In-vitro-Fleisch ist kein Hype um eine 250’000-Dollar-Burger mehr, sondern bereits ein langsamer Paradigmenwechsel. Die Technologie ist da, die regulatorischen Rahmenbedingungen sind im Entstehen, und der Markt beginnt zu reagieren. Doch ob die 40 %-Marke bis 2040 erreicht wird, hängt weniger von Bioreaktoren ab als von der gesellschaftlichen und soziologischen Entwicklung.

Der Kunstfleischmarkt ist kein Zufallsprodukt sondern eine Notwendigkeit der Zukunft. Die sogenannte auf 2050 prognostizierte 10-Milliarden-Welt - mit Blick auf Ressourcenknappheit wie schrumpfende Agrarfächen und Wasserknappheit, zunehmende Umweltblastungen, Ethik und Tierwohl, ist ein zentraler Treiber für die Entwicklung und Skalierung von kultiviertem Fleisch.

Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann, wie schnell und in welcher Form sich In-vitro-Fleisch durchsetzt. Die technologische Machbarkeit ist längst bewiesen, die Investitionen fliessen, die Skalierung läuft – und die gesellschaftlichen Debatten sind in vollem Gange.