Von unausgesprochenen Erwartungshaltungen nach Mehrleistungen bis zu den nicht geführten Veränderungsprozessen, in denen die Menschen für Aufgaben geradestehen müssen, mit denen sie nichts am Hut haben, gibt es eine Vielzahl an wortwörtlichen «über-Forderungen».

Im Zentrum steht dabei die durchdringende Digitalisierung der Kommunikation. Jeder ist immer und überall erreichbar, das Geschäft ist jederzeit und überall dabei – in der Handtasche, im Hosensack, auf dem Nachtisch, auf der Toilette. Wer nach einem Geschäftstelefon verlangt, das im Geschäft bleibt, muss sich in der Regel erst gar nicht mehr bewerben. Während der Pandemie wurden mit der zunehmenden Arbeit Im Homeoffice die Abgrenzungen zwischen Berufs- und Privatleben noch stärker verwischt.

Der Start-up- und Spin-off-Hype suggeriert «lässige» Innovationsfähigkeit, Flexibilität, flache Hierarchien etc.. Tatsächlich werden über diese vermeintlich coole Unternehmens-Art zu oft in zu knappen Fristen zu grosse Ergebnisse abverlangt, die vielmals gar nicht erfüllbar sind, ganz zu schweigen von der totalen Identifikation, die Unternehmen entgegengebracht werden sollen.

Die Extrameile oder ganz einfach spät abends und sonntags SMS, WhatsApp und E-Mails die eintrudeln, welche «innert nützlicher Frist» bearbeitet und beantwortet werden müssen bei gesetzlich kontrollierten und offiziell eingehaltenen Arbeitszeiten bedeuten ein realexistierender Widersinn, der zweifelsohne beim einen oder anderen an den Nerven nagt.

Das alles hat nicht einfach mit dem «harten Arbeiten» von früher zu tun, sondern von den Menschen wird von Unternehmen unter gesellschaftlichem Druck systematisch gefordert, sich anzünden zu lassen und zu brennen. Und am Schluss wundert man sich, weshalb sie ausbrennen.

Quiet Quitting ist der Versuch, diese – in der Regel unbezahlte – Vereinnahmung wieder zurückzudrängen.

Die Human Resources-Büros sind damit oftmals überfordert, verschanzen sich hinter administrativen Belangen, ersetzen Führung durch Richtlinien und Leitplanken, vertrauen irgendeiner Software die Selektion von Neubewerbungen an.

Die Verwaltungen menschlicher Ressourcen entmenschlichen damit systematisch ihr System. Die Begriffe Human Resources und Human Capital stehen deshalb nicht vergeblich seit Jahrzehnten in der Kritik, Arbeitende auf ihren ökonomischen Wert zu reduzieren. Human Capital wurde deswegen auch schon zum Unwort des Jahres gekürt. 

Man muss diese Entwicklung nicht mögen, doch sie ist hier und da Realität und Unternehmen tun vermutlich gut daran, sich nicht darum zu foutieren. Bei Arbeitnehmenden macht die Idee, sich langsam aus der Überarbeitung zurückzuziehen, Schule. Die Popularität des neu entdeckten Bummelstreiks sagt viel über die heutige Arbeitswelt und den zeitgenössischen Schlamassel aus. Auch dass sich viele während des Quiet Quitting über die digitalen Möglichkeiten nebenher ein eigenes Standbein aufbauen.

Die Funktionsweise von Quiet Quitting: Das Arbeitsverhältnis wird nicht durch Kündigung aufgegeben und die Arbeitsleistung gemäss Pflichtenheft auch nicht verwehrt. Allerdings werden Eigeninitiative und Arbeitseinsatz gesenkt bis verweigert, bisweilen auf ein Ausmass gedrosselt, als ob die Arbeitskraft gar nicht mehr bei ihrem Arbeitgeber angestellt wäre.

Man bleibt in seiner Position, hört auf die Extrameile zu gehen und begnügt sich stattdessen mit dem möglichen Minimum.

Viral ging der Begriff Quiet Quitting im Juli 2022 mit einem 3.5 Millionen Mal aufgerufenen Video ««Work Reform» von @zkchillin auf TikTok, das unter Hashtag #quietquitting eine ganze Online-Community unter kräftiger Mithilfe von New York Times und CNN anschob und anstiftete. Mittlerweile hat es sich über die ganze Welt ausgebreitet und wirft gerade die «stramme» Haltung der «alten» Arbeitsstruktur mit drei Sätzen über den Haufen.

  • Quitting the Idea of going above and beyond at work (Abkehr von der Idee, bei der Arbeit über sich hinauszuwachsen).
  • Work is NOT your life (Die Arbeit ist nicht dein Leben).
  • Your worth is not defined by your productive output (Dein Wert wird nicht durch deine produktive Leistung definiert).

Weitergetragen im Sinne einer Anleitung: «Du gibst nicht direkt deinen Job auf, aber du gibst die Idee auf, mehr zu leisten als das, was du tust», «du erfüllst immer noch deine Pflichten, aber du unterwirfst dich nicht mehr der Mentalität der Hustle-Kultur, die besagt, dass die Arbeit dein Leben sein muss; in Wirklichkeit ist das nicht der Fall, dein Wert als Mensch wird nicht durch deine Arbeit definiert.» 

Viele Menschen haben «die Nase voll» und getrauen sich auch, dies sich und ihrem Umfeld einzugestehen. Sie stellen für sich fest, dass sie sich viel mehr engagiert haben, als ihr Gehalt innerhalb des von weltfremden Human Resources-Managern theoretisch festgelegten und stur durgeboxten Lohnbandes aussagt und sagen sich: «Ich muss mich nicht für einen Lohn mit aufgebürdetem Stress und Sorgen in den Burnout treiben lassen.»

Wie bereits geschrieben, es ist kein neues Phänomen, unzufriedene Arbeitnehmende haben schon immer Wege gefunden, sich von der Arbeit abzukoppeln und dabei den Lohn zu kassieren.

Doch das neue Konzept des stillen Kündigens scheint einen besonderen Nerv zu treffen. Die Unternehmen haben mit dem Vorantreiben der Spezialisierungen und Kultivierung von Fringe Benefits und Bonus eine komplexe Situation geschaffen. 

So gibt es beispielsweise viele Menschen, die nicht in der Lage sind, ihren Arbeitsplatz zu verlassen bzw. ihren Job zu wechseln: Sie verfügen vielleicht über nicht auf andere Tätigkeiten übertragbare Qualifikationen oder haben sich Flexibilität und Vorteile erarbeitet, die sie anderswo nicht bekommen können. Oder sie leben gebunden an ihre Familien in einem Gebiet mit einem Mangel an anderen Möglichkeiten. Also bleiben sie am Arbeitsplatz, erledigen ihre Pflicht und verweigern die Kür. Und die Unternehmen schlucken die Kröte, viele merken es nicht einmal.

Die Unternehmen ihrerseits sind an die Spezialistinnen und Spezialisten gebunden und leiden gerade in vielen Bereichen unter einem akuten Mangel an Arbeitskräften. Ausserdem ist Dienst nach Vorschrift keine Verfehlung und damit auch kein Grund zur Kündigung.

Diese Popularisierung des Quiet Quittings sollten Unternehmen nicht auf die leichte Schulter nehmen, sie dürfte unsere gesellschaftliche und kulturelle Einstellung zur Arbeit auf lange Sicht verändern. Und das Risiko, Kreativität, Innovation, Goodwill, Loyalität etc. der Mensch zu verlieren ist real. Wie umfassend das Quiet Quitting gesellschaftlich Schule macht, insbesondere wenn die Menschen merken, dass sie sich mit Geld und Arbeit keinen inneren Frieden kaufen können, ist nicht abzuschätzen. Angesichts der Zeitgenössischen Begleitumstände wie Pandemie, Krisen, Kriege ist es jedenfalls gut möglich, dass die Dynamik diesbezüglich überproportional zunehmen könnte.

Für Unternehmen wird das schwierig zu handhaben, wenn sich die «Human Resources-Gesellschaft» nicht auf die Veränderung der Arbeitnehmenden-Kultur einlässt und weiterhin die technische Verwaltung des ökonomischen Wertes der Menschen und deren Ausbeutung vorantreibt. In Betroffenen Unternehmen ist viel Fingerspitzengefühl und Entwicklungsarbeit gefragt, stehen doch beträchtliche Verluste von Ideellen Leistungen (Kreativität, Engagement etc.) auf dem Spiel.

Auch die Mitarbeitenden tun gut daran, an der Situation zu arbeiten. Die vielbesungene Industrie 4.0, also die Digitalisierung, läuft zwangsläufig auf die Industrie 5.0, also die Robotisierung, hinaus. Unternehmen werden, wenn sie die Wahl haben, kaum zuerst die Menschen weiterentwickeln, sondern die Roboter (lgauben Sie nicht? Gucken sie sich hier die Videos von Boston Dynamics an). Auch eine Veränderung in der Art und Weise der Führung und Leitung ist beispielsweise denkbar. Mitarbeitende, die nur noch das tun, was sie müssen, bieten gute Gründe für eine Rückkehr von der heute eher partizipativen hin zur Autoritären Führung (Führungskontinuum Tannenbaum, Schmidt, 1958).