Romeo Brodmann: Die erste wirklich grosse Schweizer Ausscheidung für den Bocuse d’Or fand 2004 im Montreux Palace statt. Ich erinnere mich noch an dieses schöne Bild, wie Paul Bocuse damals zusammen mit Philippe Rochat und Lucien Mosimann an einem Tischchen in der Küche sass und diskutierte. Hast du überhaupt etwas von Paul Bocuse mitbekommen?

Dominic Bucher: Nein. Ich wusste zwar, dass er eingeladen war. Aber ich war extrem konzentriert. Wahrgenommen habe ich ihn erst bei der Siegerehrung.

RB: Hatte seine Anwesenheit eine Bedeutung für dich?

DB: Ja. Es ist wie mit Anton Mosimann. Das sind so «Übergrössen», die automatisch Respekt und Ehrfurcht einflössen. An diesem Tag allerdings war das einfach ein Teil vom Ganzen, es war damals nicht so wichtig für mich. Heute, im Nachhinein, hat dieser Umstand an Bedeutung gewonnen. Es ist schon toll, dass er mir persönlich zu meinem Sieg gratulierte.

RB: Dein Sieg damals war für viele recht überraschend…

DB: Es hat Favoriten gegeben. Urs Messerli war der Top-Favorit, auch Ambros Notz. Ich habe mich selber nicht als Favoriten gesehen, und auch sonst niemand.

RB: Diese akribische Vorbereitung auf ein Finale, so wie heute, die gab es damals noch nicht, oder?

DB: Stimmt, das war der Zeit geschuldet. Das hat damals kaum einer gemacht. Deswegen habe ich vermutlich die Überraschung geschafft, weil ich mich sehr punktuell vorbereitet habe. Schon damals habe ich auf Stückgarnituren gesetzt und dabei den Ansatz verfolgt, dass die Platte etwas anderes ist als der Teller. So konnte ich differenzierter, präziser und schneller arbeiten. Zwei meiner Kandidatenkollegen sahen meine Platten und sagten, jetzt sähen sie, was sie nicht richtig gemacht hätten. Sie hatten versucht, die Teller auf die Platte zu übertragen.

RB: Aber anschliessend hast du für die Finalvorbereitung die «Schule Rochat» durchlaufen. Wie war das?

DB: Ich hatte damals ja bereits schon einiges in meinem Leben geleistet. Doch jedes Mal, wenn ich in Crissier im Training war, kam ich mir vor wie ein unfähiger Lehrling. Die Rückmeldungen waren nicht immer differenziert, er nannte das väterliche Strenge. Am Schluss hat er mich jedoch sehr gelobt. Während des Prozesses konnte er das nicht. Aber jetzt mal ehrlich, jeder seiner 24 Köche kochte besser als ich. Dies natürlich auch, weil sie jeden Tag so gekocht haben. Für mich war das eine fremde Welt.

RB: Was war denn deine Welt?

DB: Gutbürgerlich, qualitativ sehr gut. In der Krone Aarburg nannte man das eine «leicht gehobene Küche». Ich erkochte einmal 13 Punkte im Gault-Millau. Mit 19 Punkten ist das nicht mehr vergleichbar. Mein Alltag bestand zu einem Grossteil auch aus Banketten und Hochzeiten. Da war gute Qualität, aber nie in diesen Sphären.

RB: Jetzt berätst du als Coach Christoph Hunziker. Wie gehst du da ran, wenn nicht als 19 Punkte-Koch?

DB: Wir haben das im Vorfeld ganz klar besprochen und geklärt. Ich kann ihm nicht als Koch sagen, mach das so und so. Ich kann sagen, was fehlt, hat es zu viel oder zu wenig Säure, ist etwas mit der Knusperkomponente oder die Konsistenz nicht ideal etc. Christoph braucht nicht den besten Koch an seiner Seite. Dafür hat er viel kompetentere Kollegen und vor allem die Unterstützung aus Crissier. Dort kann er sich die fachtechnischen Feinheiten holen. Er braucht jemanden als Coach, der ihn kennt, der ihn versteht und durch schwierige Gewässer begleiten kann. Wir ergänzen uns gut. Schon deshalb, weil ich der Wettbewerbstyp bin, Christoph ist fachlich viel besser.. In Budapest an der europäischen Ausscheidung lief es anfangs nicht rund . Dort brauchte er einen Freund als Coach und nicht eine fachliche Koryphäe.

RB: Was hat diese ganze Bocuse d’Or-Geschichte seit 2004 mit dir gemacht, wie hat es dich geprägt und verändert?

DB: Der Respekt vor Leistung hat mich nachhaltig geprägt. Ich sehe heute auch, was ich tatsächlich geleistet habe. Das war damals genauso viel wie heute. Ich bin morgens um drei Uhr aufgestanden, stand um vier in der Küche bis um acht. Dann bin ich nach Crissier gefahren und wieder zurück. Ein Jahr lang hatte ich keinen freien Tag. Ich habe gewusst, für Lyon musste das jeder machen, sonst wäre er gar nicht dort hingekommen. Letztendlich hat mich das in meiner Führungsarbeit geprägt. Ich habe vor jeder Art von Leistung grossen Respekt.

RB: Am Final in Lyon ist es dir dann aber recht gut gelaufen, oder?

DB: Ich bin der Wettkampftyp. Ich bin am Tag X parat. Das war schon immer so. Druck macht mir wenig aus. Gemäss Philippe Rochat habe ich nie besser gekocht als dann. Was mich bis heute fuchst ist der elfte Platz, der zehnte wäre schon toll gewesen und wäre auch möglich gewesen. Sie haben ja die Sauce vertauscht. Ich denke, wenn die richtige, also meine Sauce, dabei gewesen wäre, hätte es gereicht. Aber vielleicht auch nicht. 

RB: Aber wenn man weiss, man ist am Tag X parat, nimmt einem das in der Vorbereitung schon auch Druck raus?

DB: Ich sage es mal so, man läuft Gefahr, in der Vorbereitung nicht an die Grenzen zu gehen. Das ist es auch, was ich an Christoph so unglaublich schätze. Er geht an die Grenze und kann sich noch steigern. Wenn wir abmachen, etwas besser zu machen, dann macht er das noch besser. Aber das Alte, das schon gut war, ist immer noch gut. Ich war das Gegenteil davon. Ich machte das Neue super und das Alte plötzlich schlechter. Ich konnte mich im Training nicht kontinuierlich steigern. Da ist Christoph viel weiter.

RB: Was würdest du einem Jungen mitgeben, der gerne in die Wettbewerbslaufban möchte?

DB: Dass er die Freude nicht verlieren soll. Heisst, auch wenn viel Arbeit ansteht, muss es Spass machen. Der Wettbewerb steht ja automatisch immer dominant im Zentrum. Man muss sich eben auch darum kümmern, die Lust nicht zu verlieren. Christoph und ich zelebrieren zum Beispiel unsere Freundschaft. Er hat viel zu tun mit seinem Geschäft und dem Wettbewerb. Und ich habe auch viel Arbeit. Wir nehmen uns aber die Zeit und schauen, dass wir auch ausserhalb etwas zusammen machen, etwas diskutieren, irgendwo hingehen und vor allem, dass wir etwas zu lachen haben. 

RB: Lachen als Erfolgsrezept?

DB: Wenn der Spass verloren ginge, dann würden wir es beide weniger gut machen, das ist klar. Und ja, in Budapest hatten wir, weil es nicht so gut lief, eine sehr schwierige Situation. Die Enttäuschung und die schlechte Stimmung nach dem Schicken waren schwer auszuhalten. Ich habe ihm im Anschluss gesagt, dass ich für diese schlechte Stimmung nicht hierhergekommen sei. Ich würde für Lyon nur noch mitmachen, wenn er und sein Commis Céline Maier sich nach dem Schicken der zweiten Platte umarmen. Was im Wettbewerb auch geschieht, es wird freundschaftlich akzeptiert und zurückgelassen. Das mussten mir beide versprechen.

RB: Und wie geht es weiter?

DB: Solche Engagements bieten ja auch immer eine Chance im Leben. Wir haben beide Wettbewerbe und Wege bestritten. Es ist für uns beide definitiv der letzte Bocuse d’Or-Wettbewerb, das wissen wir. Deshalb geniessen wir es auch. Christoph hat zudem für dieses letzte Mal einen Weg gefunden, anders zu kochen als früher. Ich verspreche mir viel davon. Ich bin aber auch nicht enttäuscht, wenn dem nicht so ist.
 

Quelle: Bocuse d'Or/GL Events |  v.L. Dominic Bucher, Mario Garcia, Christoph Hunziker, Céline Maier.