Nach seiner Lehre arbeitete Adrian Hirt noch auf seinem Beruf, fand aber schnell seinen Bezug zu Lebensmitteln und fühlte seinen Hang zur Familientradition. Er holte die Berufsmatura nach und studierte Lebensmitteltechnologie in Wädenswil. Er arbeitete anschliessend in einer Metzgerei, um das Handwerk zu fühlen, heuerte für einige Jahre als Cowboy in Kanada an und arbeitete in einer Metzgerei in Jamaica, bevor es ihn heim in die Surselva und in die Selbständigkeit zog.

Alpahirt schlachtet und verarbeitet Kühe von Bündner Bauern, die ganz natürlich aufgewachsen sind. Als Nahrung dienen hauptsächlich Gras und im Winter Heu. Zugekaufte oder gar importierte Futtermittel aus beispielsweise Silage, Mais oder Soja werden nicht verwendet. Die Tiere sind durchschnittlich zehn Jahre alt wenn sie geschlachtet werden - ein «normales« Rind ist zum Zeitpunkt der Fleischgewinnung gerade mal um die elf Monate alt. 

Romeo Brodmann: Es handelt sich dabei also um Mutterkühe? Wer sagt, weshalb jetzt eine Kuh geschlachtet wird?

Adrian Hirt: «Vorab, das stimmt alles, bis auf eine Ausnahme, die Silage. Wenn beispielsweise der Sommer sehr feucht ist, wird Gras schon auch mal zu Silage verarbeitet und im Winter mit Heu gemischt verfüttert. Für uns bzw. für das Schlachtfleisch spielt das keine Rolle. Ich muss dazu aber auch sagen, dass die Silage einen schlechteren Ruf hat, als sie tatsächlich ist. Entscheidend ist, dass die Silage durch die Milchsäuregärung wirklich gut fermentiert wird und sich beispielsweise kein Schimmel bildet. Auf der Basis von Milchsäuregärung fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut sind ja für uns Menschen auch gesund. Und ja, die Tiere, die wir bekommen, sind durchschnittlich zehn Jahre alt, verbrachten sieben Sommer auf der Alp und hatten acht Nachkommen. Wir hatte auch schon eine 22-jährige Kuh, die jedes Jahr ein Kalb zur Welt brachte.

Meistens kommen die Tiere zu uns, weil sie nicht mehr aufnehmen (trächtig werden) oder verwerfen (Totgeburt). Das ist die Regel. Es gibt auch Ausnahmen, z.B. wenn die Kühe Probleme mit dem Euter oder den Klauen haben, so dass sie nicht mehr auf die Alp können oder aber in ihrer Position in der Herde Probleme machen. Dann sind die Tiere auch schon mal jünger. Aber damit wir eine Kuh nehmen, muss sie mindestens zwei Jahre alt und zweimal auf der Alp gewesen sein. Wichtig ist das alles für die Güte des Fleisches - die Kühe ernähren sich auf der Alp gesund, sie fressen das was sie wollen und sie bewegen sich viel.»

Aus welcher Haltung kommen denn die Kühe, die bei Alpahirt in der Salsiz landen?

«Unsere Kühe stammen aus Muttertierhaltung, die ihre Kälber selber aufgezogen und gesäugt haben. Das Kalb bleibt so lange bei der Mutter, bis die es verstösst, es keine Milch mehr trinkt und anfängt, sich nur noch von Gras und Raufutter zu ernähren. Nach unserer Ansicht gehört die Muttermilch also dem Kalb. 

Und nochmals, für uns ist vor allem die Ernährung der Kühe wichtig. Wesensgerecht und Bio sind ebenfalls entscheidenden Stichworte. Die Kühe müssen Freilauf haben und im Sommer sind sie sowieso draussen in der Surselva.»

Sie sagen, bei einer zehnjährigen Kuh, die ja wesentlich reifer ist als ein Rind der gängigen Fleischwirtschaft von elf Monaten, hat das Fleisch ein ideale Fettabdeckung und ist aromatischer. 

Ist es tatsächlich aromatischer oder riecht es einfach nach Stall?

«Nein (lacht). Betrachten wir erst einmal das Poulet mit seiner kürzeren Lebensspanne. Ein Masthuhn, das ein paar Monate alt ist, schmeckt nicht nach viel und ist meist etwas wässrig. Je älter das Tier ist, desto mehr verdichten sich die Zellen im Muskelfleisch, das Fleisch wird dunkler und der Fleischgeschmack wird dichter. Eine einjährige Freilandpoularde mit Bewegung hat dann richtig Geschmack. 

Bei älteren Tieren merkt man die Unterschiede auch von Tier zu Tier. Ganz am Anfang hatten wir bei Alpahirt eine Einzeltierverarbeitung, der Salsiz hat dann auch wie das Tier geheissen. Wir hatten also zum Beispiel einen Salsiz von der 8-jährigen Greta, Grauvieh, in Antiast aufgewachsen. Der andere Salsiz wurde hergestellt von der 16-jährigen Susi, Limousin, die auf verschieden Alpen war. Diese zwei Salsize haben komplett anders geschmeckt, es waren zwei verschiedene Produkte. 

Die Tiere haben tatsächlich einen derart starken Eigengeschmack, dass wir dadurch auch sehr wenig Gewürze brauchen. Und um den Kreis zu schliessen, legt man je ein Steak von einer alten Kuh und einem Kalb nebeneinander auf den Grill, liegen geschmackliche Welten dazwischen. Die Spanier haben dafür den Begriff «die fette alte Kuh»*.»

(*Anm.: «Die fette alte Kuh: Das Baskenland hat eine lange Tradition, in der fette alte Kühe mit einem glücklichen, erfüllten Leben von mindestens zwölf Jahren den Jungrindern vorgezogen werden. Die auf Holzkohlefeuern grillierten «Txuletóns» werden sein einigen Jahren auf den entsprechenden Plattformen als die besten Steaks abgefeiert.)

Für verarbeitete Fleischprodukte wie Würste, Salsiz oder Trockenfleisch ist Kuhfleisch sicherlich ideal. Aber viele können sich Kuhfleisch für die Küche kaum vorstellen. Zu zäh, so die gängige Meinung. Allerdings muss eingefügt werden, dass heute mit technischen Hilfsmitteln viel machbar ist bzw. wäre, wenn man nur wollen würde. Ein schönes Stück von der Milchkuh salzen, vakuumieren und je nach Fleischteil zwischen 57 bis 66°C 24 bis 48 Stunden ziehen lassen. Danach auspacken und auf allen Seiten bei grosser Hitze anbraten oder noch besser über offenem Feuer grillieren und quer zur Faser fein tranchieren. Etwas Wunderbares.

Aber wie war das früher? Wissen Sie, wie Ihr Urgrossvater, von dem ja die Rezepturen der Salsiz und Würste von Alpahirt stammen, das Fleisch einer alten Kuh sonst noch zubereitet hat?

«Wichtig ist, dass das Fleisch nach dem Schlachten abgehangen wird. Das Fleisch soll nicht sofort weiterverarbeitet werden. Es soll mindestens drei Wochen, besser sechs, sieben oder sogar bis acht Wochen reifen. Kurz bevor es wieder anfängt zu leben (lacht), ist es am besten. Dann ist das Fleisch reif, die guten wichtigen Stücke zart und nochmals aromatischer. So viel zum Ruf der Zähheit von Kuhfleisch. Generell wird industrielles Frischfleisch heute leider kaum mehr gereift, weil es dafür Zeit und Platz braucht. 

Mein Urgrossvater war Bauer, Berglandwirt und Selbstversorger. Und sowieso gab es weder Kühlschrank noch Gefrierer und schon gar keine E-Nummern. Das brauchte es auch nicht. Trocknen ist die älteste Methode, um Lebensmittel haltbar zu machen. Die Metzgete findet ja bis heute im Herbst statt, wenn die leicht verderblichen Innereien sofort gegessen werden mussten. Heute fehlt der Bezug, früher war das logisch. Damals kamen die Tiere nach dem Sommer von der Alp. Der grösste Teil einer Kuh wurde zuerst eingesalzen und anschliessend in die Trockenkammer gehängt. Ein Teil wurde eingemacht*, ein Teil verwurstet. 

Anzumerken gilt es auch, dass die Rassen von früher, das Grau- und Braunvieh, auch nicht so gross und schwer waren wie heutige Fleischrassen wie zum Beispiel Limousin oder Hereford. Wenn heute eine Kuh 350 kg Fleisch ergibt, waren es früher vielleicht 200 bis 250 kg. Man hatte also auch einerseits weniger zu verarbeiten und andererseits wohnte man auf dem Berg auf über 1000 m und verwendete das Fleisch auch für den wichtigen Tauschhandel, mit dem man sich gegenseitig aushalf.»

(Anm.: Wie Gemüse kann auch Fleisch eingekocht und eingemacht werden).

Alte Kuh wortwörtlich: Kühe hätten eine durchschnittliche Lebenserwartung von 20 bis 25 Jahren, wenn man sie nur leben lassen würde.

Nun ist aber Kuhfleisch auf dem Markt kaum zu finden. Was passiert eigentlich mit all den «ausrangierten» Kühen bzw. deren Fleisch in der Schweiz, die den Weg nicht zu Ihnen finden? 

«Ha! Spannend, gäll? Sowohl die Kuh als auch das Kalb und alles zwischendrin sind Tiere der Rindergattung. Das ist die Sachbezeichnung. Wenn also auf einer Packung im Laden Rindshackfleisch steht, ist da meisten eine alte Kuh drin. Und vieles von diesem Rindshackfleisch landet in der Burger-Industrie. Interessant zu wissen ist auch, dass die durchschnittliche Kuh in der Schweiz fünf Jahre alt wird. Diese ist nach zwei Laktationen (Milchproduktion/Milchwirtschaft) durch, da bei den heutigen Milchleistungsanforderung wortwörtlich alles aus der Kuh herausgepresst wird. Hier wird jetzt auch die Differenz ersichtlich zu unserer Grundhaltung. Gegenwärtig haben wir Kühe, und das ist schon fast die Regel, mit einem Alter von 16, 17 Jahren, die bei uns in den Schlachtprozess kommen und die wir verarbeiten dürfen.»

Eines müsste ich jetzt noch wissen: Wie machen Sie den Teig für die Capuns?

«Okay (lacht), ähm, ich selbst mache nicht wirklich viel Capuns. Und wenn, dann natürlich mit fein gewürfeltem Salsiz oder Bergfleisch. Das gehört mal definitiv mit rein. Bei den traditionellen Bünder-Spezialitäten, wie auch Maluns oder Bünder Gerstensuppe, wurde früher das eingesetzt, was man hatte. Trockenfleisch und Wurstwaren hatte man immer vorrätig. Das Bergfleisch war die Nahrung für die Bergarbeit – mit gut 40 Prozent Protein ideal. Das Bindenfleisch (Trockenfleisch) war ja früher aber nicht vakuumiert. Nach dem Einsalzen und Trocknen wurde es oft im Keller gelagert wo es, wie z.B. bei Salami, Weissschimmel ansetzte, welcher das Produkt noch zusätzlich vom Verderben schützte. Dennoch verhinderte dies nicht eine über die Zeit immer stärkere Austrocknung. Wenn Fleisch im folgenden Herbst und Winter noch da war, war es dann meist steinpickelhart. Ganz klein gehobelt war es perfekt, um Gerichte zu würzen oder in der Suppe weichgekocht zu werden.»

Sie lenken von den Capuns ab…

«Ja, aber lassen Sie mich noch eines sagen. Das Fleisch hatte früher auch nicht so eine durchdringend rote Farbe wie heute, es war eher rotbräunlich, manchmal gräulich. Umrötung mittels Nitritpökelsalz und Salpeter wurde früher nicht gemacht. Heute ist das für die «Uniformierung» des Bündnerfleisches wichtig. Es muss immer gleich rot und viereckig sein und es muss immer in etwa gleich schmecken. Wir setzten keine Pökelsalze ein. Das ist auch nicht notwendig, insbesondere weil wir ein Naturprodukt herstellen und auch alle wissen, dass Nitrate als Verursacher von Magen- und Darmkrebs gelten.»

Deshalb heisst Ihr Trockenfleisch nicht Bündnerfleisch sondern Bergfleisch?

«Wir erfüllen die Kriterien nicht, weil wir es nicht rechteckig pressen möchten. Bei unseren Naturprodukten verzichten wir auf alles Überflüssige. Zudem möchten wir unser Trockenfleisch nicht mit etwas verglichen sehen, das zu einem Grossteil nicht einmal aus Schweizer Fleisch hergestellt wird und standardmässig Zusatzstoffe und Zusätze enthält. Wir produzieren Lebensmittel, also Mittel zum Leben.»