Den meisten repräsentativen Marktforschungsumfragen entspringt folgendes: Gut zwei Drittel der Konsumenten halten die Abverkaufs-Werbung mit Preisangaben, also das «Schweinebauchinserat» für glaubwürdig, gut knapp die Hälfte lässt sich davon auch in der Kaufentscheidung beeinflussen. Das Image-Inserat befinden noch gut die Hälfte als zuverlässig und vertrauenserweckend. Vom kunstvollen Werbedesign lässt sich allerdingst nur noch ein Drittel im Kaufentscheid beeinflussen, wobei hier wohl anzunehmen ist, dass das beeinflusste Unterbewusstsein halt eben nicht bewusst wahrgenommen wird. Was aber eindeutig ist: Werbung und Kommunikation wirken. 

Procter & Gamble (dazu gehört Gillette Gruppe genauso wie Wella) geben wohl kaum umsonst so gegen 600 Millionen Euro für die Platzierung von Anzeigen und Spots in den deutschen Medien aus – der Grösste Teil entfällt immer noch auf das Fernsehen. Werbung und Kommunikation hat für Gastronomen keinen Sinn? Bei Edeka sind es gegen 114 und bei McDonalds 110 Millionen Euro (Quelle: Horizont), die sie für Werbeplätze ausgegeben. Die würden das kaum tun, wenn sich diese Investitionen nicht gewinnbringend refinanzieren liessen.

Mitunter ist Kommunikation und Werbung dazu da, um beispielsweise die Ausstrahlung eines Unternehmens aufzupeppen und auf neue gesellschaftliche Strömungen auszurichten. Das gelingt mit adäquaten Mitteln auch ohne eine echte Änderung von inneren Werten.

Die Werbung der Rasierklinkenmarke Gillette zum Beispiel stellt seit einiger Zeit nicht mehr einfach den perfekten Schnitt in den Vordergrund, sondern made in Berlin. Nein, nicht made in Germany,made in Berlin, was natürlich stimmt. 1937 wurde das Produktionswerk in Tempelhof in Betrieb genommen. Die Krux: Ich bin auch ein Berliner? Gillette ist seit der Erfindung des Rasierhobels mit austauschbarer Klinge von King C. Gillette 1901 ein US-amerikanisches Unternehmen bzw. Konzern.

Die Menschen werden einerseits sensibler und achten – wieder - darauf, ob etwas wieder aus heimischer und lokaler Produktion stammt. Andererseits möchten Konsumenten einfach hören, was sie hören wollen, sei es, um das Gewissen zu beruhigen, sei es, um einer Mode zu entsprechen. Die Werbe- und PR-Industrie inszeniert solche Umstände gekonnt, woher der Wind auch immer gerade weht – noch vor kurzem hätte kein Hahn danach gekräht, woher Rasierklingen kommen, geschweige denn die von Gillette.

Diejenigen, welche solche Strömungen echt leben, diese sogar mitunter auslösen und mittragen, gehen dann bedauerlicherweise in der grossen Masse des medialen Trend-Bullshit-Streamings unter. Das trifft oft auch auf die kleingewerblichen Restaurants zu, die ja vielmals sehr früh einen Trend aufgreifen, der erst später zur kommerzialisierbaren Mode wird.

Wie man als Restaurant in solchen Situationen kommunikativ nicht drunter&drüber geht, sondern drüber&drauf bleibt, das zeigt das Berliner Restaurant Nobelhard & Schmutzig. Seit den Anfängen 2015 haben sich die beiden Gründer Micha Schäfer und Billy Wagner über alles hinweg der Haltung «Brutal lokal» verschrieben und kochen radikal nur mit Produkten, die im Berliner Umland produziert werden. 

Sagen können Viele viel, wenn der Tag lang ist. Und überhaupt, bei den Hipstern, wie Billy Wagner einer zu sein scheint, weiss man nie so recht, ob die den Bart tragen, obwohl sie nicht wissen, ob dieser sich nachts beim Einschlafen nun über oder unter der Decke befinden soll oder ob sie den Suppenfilter tatsächlich gerne im Gesicht haben.

Doch das Nobelhart & Schmutzig, insbesondere der ausgebildete und erfahrene Sommelier Billy Wagner und der Koch Micha Schäfer liefern, was sie rotzfrech in die Welt hinaushauen. Die Küche läuft unter reduzierter Formsprache ohne Türmchenbauermenthalität. Es kommen nicht 20 Komponenten auf den Teller, sondern 2 und die sind in der Regel ausserordentlich sinnstiftend aufeinander abgestimmt. Mal harmonisch, mal disharmonisch. 

Das Kreieren thematischer Bezüge ist stringent, die Inhalte manchmal ebenfalls, manchmal auch nicht. Gelegentlich sind sie auch am Barthaar herangezogen und öfters provokativ. Wer stellt schon eine Pupe ins Schaufenster, die ein T-Shirt trägt auf dem steht: Who the fuck is Paul Bocuse? (2017) Aber, das schafft Grundlagen, um thematische Bezüge rund um die Gerichte herzustellen und Geschichten darüber zu erzählen. Das ist Kommunikation und Storytelling vom Feinsten auf Sterneniveau, auch wenn sich doch einige über das Gehabe des Nobelhart & Schmutzig lauthals echauffieren.

 «Wir haben uns zum politischsten Restaurant entwickelt» steht auf der Homepage von Nobelhart & schmutzig. Damit gemeint ist die Askese vor weltlichen Dingen wie Zitrone und Schokolade also die radikale und ausschliessliche Berücksichtigung lokaler Produkte in der Küche. Das alleine führt bereits zur einer eigenständigen, geschmacklichen Handschrift: Prägung durch Verzicht und reklamieren des Themas für sich. 

Wer kann es sich schon leisten, als Gang im Menu ein Butterbrot - hausgebackenes Brot mit einer speziell fermentierten Butter - zu servieren, ohne gelyncht zu werden. Wohl nur jemand, der dazu auch Marlene und Dietrich, die säuerliche Berliner Weisse der Schneeeule servieren und erzählen kann.

 

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Speiselokal www.nobelhartundschmutzig.com von Billy Wagner und Micha Schäfer.
Das saure Berliner Weisse von www.schneeeule.berlin.