Kommentar: Chefkoch.de? Da sträubt sich sogar das Balg (Haut und Fell), in dem der tote Hase für die Zubereitung königlicher Art noch liegt.
Schreibt jemand in einem Rezept «Wildhasen herrichten», fragt man sich, was das bedeutet. Ein junger Schneehase von 3 kg oder ein ausgewachsener Feldhase von 5 kg? Ist der noch im Balg (Fell) oder muss der noch abgebalgt (Haut und Fell abgezogen) werden? Und wer, ausser einem Spitzenkoch und/oder Jäger bekommt einen Hasen so frisch geschossen, dass er, wie im Rezept beschrieben, noch Innereien und Blut beinhaltet, das man zur Seite legen soll? Das riecht nach Märchen oder nach Kopien von Rezepten wie zum Beispiel das auf Chefkoch.de: Hase königlicher Art.
Das wäre eigentlich noch wurscht und nicht der Rede wert. Doch vor einiger Zeit äusserte sich ein sogenannter Vertreter des Schweizer Kochberufes uns gegenüber allen Ernstes wie folgt: «Die Zukunft des Schweizer Kochberufes wird chefkoch.de sein». Das wird dann als Digitaler Fortschritt verkauft. So weit sind wir gesunken.
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Kommentar: Romeo Brodmann | Bilder: Screenshot und MobilePhotos von rb
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Bild: Unsplash, Andy Kennedy | Echter Hase, Feldhase.
Es liegt mir fern, Chefkoch.de schlecht zu machen. Für viele ist es eine Rezeptdatenbank, auf der jeder tun und lassen kann, wie er will. Das ist in Ordnung, solange es sich wie im Film Ratatouille um das «jeder kann kochen» dreht. Doch selbst da wird diese Aussage im Grunde heftig ausgehebelt: Ein gelernter Koch, der sich von einer Ratte lenken lässt. Das kommt davon, wenn Berufsleute auf den Markt gelangen, die sich eigentlich nicht Berufsleute nennen dürfen, weil ihnen die elementarsten Grundlagen und vor allem Einsichten fehlen.
Chefkoch.de ist eine nette Rezept-Unterhaltungs-Plattform. Aber als Basis für den Beruf ist die Plattform ein struktur- und zusammenhangloses Durcheinander das nichts, aber auch gar nichts mit dem Kochhandwerk zu tun hat. «Die Zukunft des Schweizer Kochberufes liegt in Chefkoch.de.» Was für ein Armutszeugnis.
Zum Beispiel werden auf solchen Rezeptplattformen grundsätzlich keine Quellen angegeben, sondern alles mögliche, zusammenrammisierte als eigene Leistung ausgegeben. Das verunmöglicht unter anderem das erkennen historischer und fachlicher Zusammenhänge. Aber offensichtlich sind diese sogenannten Berufsvertreter «d’accord» damit, dass Chefkoch.de die Sauce Espagnole erfand.
Doch bleiben wir beim Beispiel des Hasen:
Hase nach königlicher Art bzw Lièvre à la royal. Gegoogelt erscheint das Rezept hier auf Chefkoch.de ganz oben in den Suchergebnissen. Wer das Rezept liest und keine Ahnung hat, nimmt das alles für bare Münze. Der Verfasser schildert z.B. wie erwähnt, die Innereien beiseitezulegen und man müsse, falls vorhanden, das Blut des Hasen auffangen. Das ist insofern schwierig, als dass Herz, Nieren und Leber dem Jäger und der Jägerin gehören. Die restlichen Innereien bleiben dort, wo das Tier geschossen wurde. Es braucht also schon eine besondere Beziehung zwischen Jäger und Koch, dass die Innereien in die Küche kommen.
Bild: Der auf Chefkoch.de von «Lametti» aus dem Buch «Bocuse Die Neue Küche» von Pauli Bocuse kopierte Hase.
Wer es genau wissen will, wie schwierig es ist, einen echten Feldhasen (Gattung Echte Hasen) mit Innereien und Blut zu bekommen, kann ja hier den «Artisan en Comestibles» Alfred von Escher fragen. Wenn echter Hase, dann kommt dieser heute tiefgefroren und in Einzelteile (Rücken und Läufe) zerlegt aus südamerikanischer Zucht, jedoch kaum am Stück und aus hiesiger Jagd. Und Hase im Detailhandel ist schon gar nicht zu bekommen. Gehen sie mal ins Feinkostgeschäft ihrer Wahl und fragen an der Theke nach einem echten Hasen. Der Fleischfachmann oder die Fleischfachfrau wird sie schräg an oder ihnen sogar den Wildvogel zeigen.
Ein geschossener europäischer Hase ist, wenn, dann vom Profi beim Comestibles zu bekommen. In Deutschland werden laut Jagdgesellschaft noch etwas über 200.000 Hasen pro Jahr geschossen. In der Schweiz laut Jagdschweiz.ch heute kaum mehr einer, in den 1980ern waren es noch rund 15.000.
Wie dem auch sei, wenn man dann tatsächlich so einen frisch geschossenen Hasen bekommt, wurde dieser auch noch als flüchtendes Niederwild mit der Flinte per Schrotschuss geschossen. Das heisst, man hockt dann eine Stunde da und sucht mit der Pinzette nach den Schrotkugeln, sonst wird es später unangenehm. Hätte der Verfasser auf Chefkoch.de wirklich mal einen geschossenen Hasen zubereitet, hätte er all diese wunder- und sonderbaren Erfahrungen und Erkenntnisse mit Genuss beschrieben - nämlich das was im Original eben nicht steht.
Das Original? Das Rezept Hase auf königliche Art hier (siehe vorangehendes Bild) auf Chefkoch.de ist lediglich eine ganz üble und verstümmelte Abschrift. Das zeigt sich am Umgang mit dem Hasenblut genauso, wie beispielsweise an der Menge Knoblauch. Das Rezept stammt aus dem Buch «Bocuse Die Neue Küche». Paul Bocuse selbst nennt darin die Quellen und Philosophiert, woher das Rezept «Lièvre à la royale du sénateur Couteaux», wie es im Original heisst, kommen könnte und er verwendet 30 Knoblauchzehen. Der Verfasser auf Chefkoch.de macht, um die Herkunft zu verschleiern, daraus 3 Knollen (vermutlich é 10 Zehen) Knoblauch.
Bild: Mobile-Foto des aufgeschlagenen Buches mit «Hase auf Königliche Art des Senators Couteaux» in «Bocuse Die Neue Küche» von Pauli Bocuse.
Ich darf mich «von und zu» schreiben, dass ich den «Lièvre à la royale» zwar nicht bei Bocuse, dafür bei und nach «façon Paul Häberlin» ab ende der 1980er-Jahre drei mal essen durfte. Zwei Mal bei Paul und einmal bei Sohn Marc Häberlin. Die Komplexität und Deftigkeit solcher Gerichte ziehen einem schon mal die Socken aus. Im Buch von Bocuse selbst wird geschildert, dass in der Enzyklopädie Larousse das Gericht als ganz und gar nicht königlich, sondern als mittelmässiger Brei beschrieben wird. Und mir als Jungspund erklärte der Bruder von Paul, Jean-Pierre Häberlin, er führte das Restaurant, in breitem Eslässerdeutsch, wie deftig das Gericht sei und ob ich das wirklich wolle. Er sah mir wohl an, dass ich mein Sparkässeli plünderte, um mit dem Maxi Puch S von Basel nach Illhäusern zu fahren um in der Herberge de L’ill zu essen und mitten in der Nach vollgefressen und halb besoffen mit einer Gitan bleu sans filtre im Mundwinkel wieder nachhause zu fahren. Darauf bin ich schon noch stolz - das reservieren per internationale Telefon-Auskunft war ja damals auch noch ein Abentheuer.
Gar nicht mehr stolz bin ich auf einen Beruf unter seinen Vertretern, die solches Zeugs rauslassen: «Die Zukunft des Schweizer Kochberufes wird chefkoch.de sein».